Für die Moskauerinnen und Moskauer begann die diesjährige Siegesparade in Wirklichkeit schon Wochen zuvor mit einer Ausstellung von Beutepanzern aus dem Ukraine-Krieg im "Siegespark", in der Moskauer Innenstadt. "Geschichte wiederholt sich" – so ist das Motto der Ausstellung. Zu Tausenden kommen die Besucherinnen und Besucher, betrachten Waffen aus den Nato-Staaten, darunter auch den deutschen Schützenpanzer Marder und einen US-Kampfpanzer der Type Abrams. "Wir gewinnen auch diesen Krieg", sagt einer der Besucher mit Blick auf die Ukraine.

Alljährliche Leistungsschau und Machtdemonstration: Am 9. Mai wird in Russland des Sieges über Nazideutschland gedacht – heuer natürlich mit aktuellen Bezügen.
AFP/ALEXANDER NEMENOV

Krieg als Fest für die ganze Familie: An Ständen im Park können Besucher, darunter auch viele Kinder, eine Kalaschnikow auseinander- und wieder zusammenbauen, Soldatenausrüstungen begutachten und in einer echten Feldküche essen. Geschickt wird der Sieg im Zweiten Weltkrieg mit den Erfolgen russischer Truppen in der Ukraine verknüpft. Im Zentrum der Ausstellung steht ein erbeuteter Leopard-2-Kampfpanzer, unzerstört und angeblich fahrbereit. Deutlich sichtbar: eine aufgemalte Deutschland-Flagge. Deutsche Panzer schossen damals auf Russen, heute geschieht das wieder. Dies ist die Botschaft, die bei den Besuchern verfängt. Ein Mann mit Tochter auf der Schulter sagt: "Damals haben wir sie besiegt – und heute auch wieder. Wir unterstützen unsere Kämpfer an der Front."

Am Donnerstag, dem 79. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkrieges, dann die traditionelle Siegesparade auf dem Roten Platz. In anderen russischen Städten waren die Paraden aus Sicherheitsgründen abgesagt worden, unter anderem in den an die Ukraine grenzenden Gebieten Brjansk und Kursk. Nicht so in Moskau: Sogar die Luftparade mit Kampfjets fand statt, trotz des schlechten Wetters und trotz leichten Schneefalls auf dem Roten Platz. Noch im vergangenen Jahr hatte man aus Wettergründen auf die übliche Flugshow verzichtet.

Demonstration militärischer Stärke

Doch diesmal sollte die Parade eine Demonstration militärischer Stärke sein. Rund 9000 Soldaten aus allen Waffengattungen marschierten auf, darunter auch Soldaten, die in der Ukraine gekämpft hatten. Panzer und Raketenwerfer fuhren an der Ehrentribüne vorbei. 79 Jahre nach dem Sieg über Hitler-Deutschland war die Botschaft des neuen und alten russischen Präsidenten Wladimir Putin klar und deutlich: "Wir werden nicht zulassen, dass uns jemand bedroht. Unsere strategischen Kräfte sind immer in Kampfbereitschaft.“ Erneut drohte Putin auch mit den russischen Atomstreitkräften. Diese seien "immer in Alarmbereitschaft.“

Wladimir Putin: "Wir werden nicht zulassen, dass uns jemand bedroht. Unsere strategischen Kräfte sind immer in Kampfbereitschaft.“
AFP/POOL/MIKHAIL METZEL

Das Gedenken an den Weltkrieg nutzte Putin, um den Krieg in der Ukraine als angebliche Fortsetzung des Kampfes gegen den Faschismus darzustellen. Wie schon öfter, griff der Kremlchef die damals verbündeten Westmächte scharf an. "Sie zerstören die Gedenkstätten für die wahren Kämpfer gegen den Nationalsozialismus." Und: "Heute sehen wir, wie man versucht, die Wahrheit über den Zweiten Weltkrieg zu verzerren.“ Am Ende der Rede kündigte Russlands Präsident eine Schweigeminute an: für "unsere Helden" im Ukraine-Krieg.

Die Ausstellung im Siegespark, die Siegesparade: Russland Bevölkerung wird eingestimmt auf die zunehmende Militarisierung des Landes. Für manche Regionen Russlands bringt diese Vorteile: dort, wo die Rüstungsindustrie angesiedelt ist. Regionen mit einer starken Rüstungswirtschaft wie Tula, Rjasan oder auch Nischni Nowgorod hätten im vergangenen Jahr ein überdurchschnittliches Wachstum hingelegt, weiß die renommierte Moskauer Wirtschaftswissenschaftlerin Natalja Subarewitsch zu berichten.

Russland hält den westlichen Sanktionen zwar bisher stand, allerdings beklagen viele Menschen im Land die zunehmende Teuerung von Konsumgütern. Der Soldatenberuf verspricht in Russland sozialen Aufstieg. Umgerechnet über 2000 Euro beträgt der Sold für den Einsatz in der Ukraine – das Zehnfache der Gehälter in den ärmeren Teilen des Landes. Soldaten werden damit zu Aufsteigern in ihrer Region, die den Konsum ankurbeln.

Militarisierung schon bei den Kindern

Die Militarisierung des Landes fängt bereits bei den Kleinsten an. Inzwischen gibt es in vielen Städten Zentren für vormilitärische Ausbildung von Schulkindern und jungen Erwachsenen. "Putin hat die Aufgabe erteilt, eine neue Generation an Patrioten heranzuziehen – wie erfüllen das", sagt etwa Igor Worobjow, der Direktor des Zentrums für militärisch-sportliche Ertüchtigung und patriotische Erziehung in Wolgograd. Es gehe darum, die jungen Patrioten gut auf den Kriegsdienst vorzubereiten, so Worobjow.

Veteranen aus dem Ukraine-Krieg treten in Schulklassen auf, geben "Lektionen in Mut", berichten russische Medien. In sozialen Netzwerken machen Bilder die Runde, wie Kinder im Unterricht schusssichere Westen anprobieren. Eine Mutter in Moskau erzählt, ihre Tochter habe unlängst – wenig begeistert – eine Gasmaske zum Training überziehen müssen. (Jo Angerer aus Moskau, 9.5.2024)