Der einflussreiche Musiker und Aufnahmetechniker Steve Albini ist im Alter von 61 Jahren gestorben.
Der einflussreiche Musiker und Aufnahmetechniker Steve Albini ist im Alter von 61 Jahren gestorben.
Christian Fischer

Im letzten Jahr saß er anlässlich des 30-jährigen Jubiläums des Nirvana-Albums In Utero mit den beiden überlebenden Nirvana-Mitgliedern Dave Grohl und Krist Novoselic zusammen und memorierte fröhlich. Da erzählte Steve Albini von Streichen, die er dem Kiss-Bassisten Gene Simmons am Telefon spielte, als er sich als Kurt Cobain ausgab. Und er sprach über den Brief, den er an Nirvana geschickt hatte, in dem er der damals heißesten Band des Planeten die Bedingungen diktierte, unter denen er ihr neues Album aufnehmen würde. Jeder andere Produzent der Welt hätte den Job, ohne zu überlegen, mit Handkuss angenommen, nicht Albini. Eine seiner Bedingungen war: Er dürfe keine Tantiemen erhalten.

Diese Anekdote, die auf Albinis Konto über die Jahrzehnte einen Unterschied von mehreren hunderttausend Dollar gemacht hat, zeigt: Steve Albini war eine Ausnahmepersönlichkeit im Musikgeschäft. Eine Figur von sturer Integrität, die Werte hochhielt, die ihm der Punk gelehrt hatte. Diese lebte er als Musiker, diese lebte er als Chef des Tonstudios Electrical Audio in Chicago. Nun ist Steve Albini an einem Herzversagen gestorben. Er wurde 61 Jahre alt.

Groß und Schwarz

Albini war ein manischer Typ. Geboren 1962 in Kalifornien, aufgewachsen in Montana, kam er als Teenager über die Ramones zum Punk und gründete 1981 die unheilvoll benannte Band Big Black. Die löste er 1987 auf, als sie zu erfolgreich wurde. Geschaffen hat er mit dem Trio ein Erbe, das zu den wesentlichen Säulen der Underground-Musik jener Zeit gehört.

Alben wie Atomizer (1986) oder das finale Songs About Fucking (1987) durchmaßen den amerikanischen Albtraum mit schrillen Gitarren und einem unerbittlichen Rhythmus aus dem Drum-Computer. Dieser, ein Roland TR-606, wurde auf den Alben stets wie ein Bandmitglied ("Roland") angeführt und trieb Meisterwerke wie Jordan, Minnesota oder das epochale Kerosene an. Albini gab dazu den irren Chronisten, der sich die Finger an den Stahlsaiten blutig spielte.

Big Black - Kerosene
1985cactus

Er war damals ein dürrer Typ mit Nickelbrille, die Band-T-Shirts, die er trug, hingen an ihm wie an einem Kleiderhaken. Er studierte Journalismus und wütete in einschlägigen Magazinen wie Forced Exposure, wo er vornehmlich über Underground-Bands schrieb — auf unerbittliche Art. Genauso, wie es die Musik war, die er mit Big Black veröffentlichte. Schnell wurde die Band Kult, schnell besaß Albini den Ruf als schwieriger Typ, dem man besser keine falsche Frage stellte.

Meilensteine

Nach dem Ende von Big Black formierte er Rapeman, war an der Band Flour beteiligt und wechselte immer öfter ans Mischpult, um Bands aufzunehmen. 1988 hob er "Surfer Rosa" von den Pixies aus der Taufe — einen Meilenstein — und setzte mit seinem trockenen, analogen Sound den Grundstein für seine zweite, noch einflussreichere Karriere als Aufnahmetechniker.

Neben den Pixies und Nirvana nahm er Alben auf für Acts wie Breeders, Killdozer, PJ Harvey, Godspeed You! Black Emperor, Cheap Trick, Jimmy Page und Robert Plant von Led Zeppelin, The Jesus Lizard oder das Linzer Trio Valina. Und ein paar Hundert mehr.

Eher Hobby-mäßig rief er ab 1992 die Band Shellac ins Leben, ein Trio, mit dem er als besserer Feierabend-Gitarrist alle paar Jahre ein neues Album veröffentlichte und auf Tour ging. Selbst da hielt er das Punk-Ethos hoch und schleppte selbst Verstärker und Instrumente in die Veranstaltungsorte, verzichtete auf PR-Quatsch wie eine Homepage für die Band. Warum, erklärt er in diesem Interview mit dem STANDARD aus 2008.

Gekleidet war er meist in einem grauen Overall, der ihm eine Art zweite Haut geworden war und das Aufnehmen von Platten als Handwerk unterstrich. Den Begriff Produzent lehnte er ab. Für ihn waren das klassische Handlanger der Musikindustrie, die Geld, aber den Bands nichts Gutes wollten. Er hasste sie leidenschaftlich. Er hielt dazu Vorträge auf Universitäten, in denen er die Methoden der Musikindustrie offenlegte, und vorrechnete, warum es für eine junge Band keine gute Idee ist, sich in die Hände eines Majors zu begeben.

Kultureller Einfluss

Sein kultureller Einfluss wuchs über diese Umtriebigkeit ins Enorme. Albini hat hunderte Bands betreut, große Namen und wenig bekannte. Seine Tarife blieben stets leistbar, er widmete sich jedem Act mit derselben Hingabe. Und man bekam eine Million Anekdoten gratis dazu. Und Haltung. Bis zuletzt hielt der leidenschaftliche Pokerspieler nicht mit seiner Meinung zu Strömungen und Namen des Musikbusiness hinterm Berg, wobei er über die Jahre doch milder wurde und zugab, dass ein Bandname wie Rapeman von heute aus gesehen keine Glanzleistung war.

Mit Steve Albini verliert die Musikwelt, die wirklich alternative Musikwelt, einen ihrer brillantesten Köpfe. Einen Unbeirrbaren, der es sich in einem grundsätzlich feindlichen Gebiet gut eingerichtet hat. Zum Wohle unzähliger Musikerinnen und Musiker, im Dienste vieler unglaublich guter Alben. (Karl Fluch, 8.5.2024)