Zsolt Wilhelm und Eric Frey beim Journalismusfest in Innsbruck.
Zsolt Wilhelm und Eric Frey beim Journalismusfest in Innsbruck.
Foto: Rachel Mabala, Journalismusfest Innsbruck

Die Uhr schlägt fünf vor zwölf! Aber tut sie das auch für den dritten Weltkrieg? Schauen wir auf die Doomsday Clock, die sogenannte Atomkriegsuhr, sind wir dem Weltuntergang so nahe wie noch nie. Kein Wunder, in einer Gesellschaft, in der wir mit Überlichtgeschwindigkeit der Zukunft entgegenreisen. Neue Technologien und die globale Vernetzung sorgen dafür, dass Grenzen nicht nur regional, sondern auch auf zwischenmenschlicher Ebene verschwimmen. Hasspostings und Fake-News sind mittlerweile Teil des Alltags. Und auch die Technik von Raketen und Drohnen wird weiterhin perfektioniert.

Da stellen sich folgende Fragen: Haben wir uns wirklich weiterentwickelt, oder findet hier ein menschlicher Drang zur Selbstzerstörung seinen Ausdruck? Ist das Konzept des In-den-Krieg-Ziehens tatsächlich so verpönt, dass Kriege kein globales Ausmaß mehr annehmen? Und was bedeuten KI-gesteuerte Drohnen, virtuelle Kriegssimulationen und Informationskriege für heutige Formen der Kriegsführung?

An den Versuch, diese Fragen zu beantworten, wagten sich Eric Frey, Leitender Redakteur beim STANDARD, und Zsolt Wilhelm, Chef vom Dienst für Audio und Video (DER STANDARD), in einem Gespräch für den Podcast "Thema des Tages".

Ist die Angst vor dem dritten Weltkrieg berechtigt?

"Es gab in den vergangenen Jahrzehnten seit 1945 Momente, wo die Welt näher an der Selbstzerstörung war als heute", erklärte Eric Frey in Bezug auf die Doomsday Clock, die 90 Sekunden vor zwölf anzeigt. Er erwähnte dabei die ideologischen Konflikte des Kalten Kriegs und wies darauf hin, dass auch die Angst vor einem Atomkrieg zu dieser Zeit berechtigter erschien als heute. Doch was die Furcht vor einem dritten Weltkrieg anfeuert, sei die Vielzahl an regionalen Konflikten, die ein unvorstellbares Ausmaß angenommen hätten.

Neben dem Ukrainekrieg ist der Krieg zwischen Israel und Palästina grausamer denn je. Auch viele Gebiete im Nahen Osten, in Afrika und in Asien sind von zahlreichen, langandauernden Krisen betroffen. Jedoch würde es, argumentierte der STANDARD-Redakteur im Interview, zur Auslösung eines globalen Kriegs beziehungsweise eines Weltkriegs nicht nur einzelne weltweit verbreitete Kriegsschauplätze benötigen, sondern vor allem die Kriegsbeteiligung der Supermächte, deren Ausmaß sich über weite Teile der Kontinente erstreckt. "Das macht die regionalen Konflikte und das Leid der Zivilisten und Soldaten vor Ort nicht minder schlimm", so Eric Frey.

Wo werden die Grenzen des Kriegs gezogen?

Ein zentrales Thema des Live-Podcasts war der Ukrainekrieg und dessen Potenzial, sich über die Staatsgrenzen und somit europaweit oder gar weltweit auszubreiten. "Der Ukrainekonflikt geht weit über die Grenzen des Landes hinaus, weil es hier um die Zukunft Europas geht", sagte Eric Frey und meinte damit, dass Russland mit dem Angriff auf die Ukraine deren Beitritt zur EU beziehungsweise deren Annäherung an die Nato verhindern wollte und somit die ideologischen und politischen Werte der Staatenvereinigung infrage stellt. Die Europäische Union wurde damit zum direkten Akteur des Kriegs, und die Grenzen des Konflikts verschwammen zunehmend. Mit der Unterstützung aus den USA, die als Schutzmacht für Europa eintritt, wurde auch eine Großmacht zum direkten Feind Russlands ernannt.

Doch trotz der immensen Gefahr eines globalen Kriegs durch das Zusammentreffen von zwei Atommächten kann von einem dritten Weltkrieg noch nicht die Rede sein. Der STANDARD-Redakteur begründete dies folgendermaßen: "Atomwaffen sind dann wirkungsvoll, wenn sie nicht eingesetzt werden. Das heißt, als Bedrohung haben sie eine unglaubliche Kraft. Putin hat diese Atomdrohung im Ukrainekrieg immer wieder eingesetzt und hat damit auch eine Vorsicht in Europa und den USA ausgelöst, wo man gesagt hat: 'Warten wir. Machen wir nicht zu viel. Wir wollen keinen Atomkrieg auslösen.'"

Ein tatsächlicher Einsatz der Atomwaffen, so Eric Frey, sei schwer vorstellbar, da dieser auf dem Schlachtfeld nichts bringen beziehungsweise keinen militärischen Zweck erfüllen würde. "Ich persönlich glaube, sollte Russland dennoch in der Ukraine eine Atomwaffe zünden, dass die USA und die Europäer sagen würden: 'Nein, wir folgen dem nicht. Wir rechnen mit der extremen Empörung in der Welt und der Isolation Russlands als Folge'", schätzte Eric Frey die Reaktion des Westens ein. Außerdem seien sich beide Seiten bewusst, dass es Grenzen gebe, die man nicht überschreiten sollte.

Zwischen Neutralität und Aufrüstung

Bei all der Spekulation über einen möglichen dritten Weltkrieg, fragt man sich: Ist man in der Europäischen Union auf einen Krieg vorbereitet, und welche Position nimmt Österreich ein? Die Antwort darauf formulierte Eric Frey wie folgt: "Mit dem Ende des Kalten Kriegs haben alle europäischen Staaten ihre Verteidigungsausgaben deutlich zurückgefahren und waren damit nicht mehr in der Lage, sich gegen einen klassischen militärischen Aggressor, so wie es jetzt Russland gegenüber der Ukraine ist, effektiv zu verteidigen. So könnte man sagen: Ja, Europa hat es versäumt, sich auf einen Krieg vorzubereiten. Gleichzeitig hat es wenig Sinn, dass man militärische Ausgaben tätigt und aufrüstet, wenn keine Bedrohung da ist. Also ich glaube nicht, dass Europa hier so schreckliche Fehler gemacht hat. Aber es ist zumindest jetzt an der Zeit, dass man erstens mehr Ressourcen in die Rüstung und ins Militär steckt, aber vor allem, dass man das Geld, das ohnehin ausgegeben wird und seit vielen Jahren ausgegeben wurde, effektiver einsetzt."

Trotz der späten Aufrüstung sei Europa aber nicht wehrlos. Unterstützt von der Nato hat die Europäische Union die Mittel und die Vernetzung, die sie für einen potenziellen Krieg benötigen würde. Anders ist es hier um die Neutralität Österreichs bestellt, diese sei im Falle eines Kriegs nicht gesichert. "Das Szenario, in dem Österreich direkt von einem Krieg betroffen wird, kann ich mir im Moment nicht vorstellen, aber eines weiß ich: Wenn es dazu käme, dann würde uns die Neutralität überhaupt nichts helfen. Wenn ein Land militärisches Interesse hat, durch irgendein Gebiet durchzumarschieren oder es zu erobern, dann wird es das tun, egal ob dieses Land sich für neutral erklärt oder nicht. Das war die Erfahrung, die im Ersten Weltkrieg beispielsweise auch Belgien gemacht hat. Die Neutralität ist also kein Schutz, sondern es geht eher darum, dass man insgesamt vielleicht einen kleinen Beitrag liefern kann, dass es nicht zu einem ganz großen Krieg zwischen Russland und dem Westen kommt", beschrieb Eric Frey die Rolle Österreichs in diesem potenziellen Krieg.

Live- Aufzeichnung des STANDARD-Podcast
Live-Aufzeichnung des STANDARD-Podcasts "Thema des Tages" mit Zsolt Wilhelm und Eric Frey.
Foto: Rachel Mabala, Journalismusfest Innsbruck

Ist der Krieg zeitlos und der Friede eine Illusion?

Immer wieder sprach STANDARD-Redakteur Eric Frey von jahrzehntelang andauernden Konflikten und Parallelen in Bezug auf den Kalten Krieg. Daraus lässt sich schließen, dass sich das Konzept "Krieg" über die Jahre hinweg kaum geändert hat, geschweige denn verschwunden ist. Eric Frey meinte dazu: "Was sich nie verändern wird, ist, dass Menschen sterben, dass Länder zerstört werden und dass die Wirtschaft ruiniert wird. All das ist ein Fixum jedes Kriegs." Außerdem seien die Formen der Kriegsführung nicht unbedingt neu: "Das Interessante an diesem Ukrainekrieg ist, dass man zuerst gedacht hat, dass es sich um einen neuen Krieg des 21. Jahrhunderts mit neuen Technologien handelt. Doch in späteren Phasen des Kriegs wurden ein Panzerkrieg und ein Krieg in den Schützengräben geführt, die beide an die vergangenen Weltkriege erinnerten", erläuterte Eric Frey die Beobachtungen in der Ukraine.

Dennoch ist Eric Frey der festen Überzeugung, dass sich die Motivation für einen Krieg beziehungsweise dessen Ursprung mit der Zeit verändert. "Im Jahr 1914 war man in Österreich noch absolut bereit, in den Krieg zu ziehen, da man den Krieg als etwas Großartiges und Ehrenhaftes betrachtet hat. Heute ist der Krieg zumindest hier in Westeuropa sehr verpönt", hält der Journalist fest. Einen Krieg auf europäischem Boden schließt er aber nicht gänzlich aus: "Es gibt immer wieder Konflikte, die leider mit kriegerischen Mitteln ausgetragen werden. Beispielsweise der Zerfall Jugoslawiens, der zu einem schrecklichen Krieg geführt hat, wo es um nichts anders ging als um die Frage der Identität."

"Auch der Nationalismus ist eine dauernde Quelle von kriegerischer Bedrohung. Es sind also die Frage der Identität, der Nationalismus, der Fanatismus und möglicherweise auch die Religion, die Faktoren sind, die zum Krieg führen können. Und erst wenn wir die völlig überwunden haben, werden wir uns eine Welt ohne Krieg vorstellen können." So bleibt folgendes Statement im Rahmen des Live-Podcasts in Erinnerung: "Ein Krieg ist nicht mit einem Flächenbrand zu vergleichen, denn ein Feuer breitet sich von selbst aus, aber für einen Krieg muss man sich bewusst entscheiden." (Alicia Martin Gomez, 10.5.2024)