Eine Forscherin von BioNtech im Labor
Schon länger forschen Expertinnen und Experten an einer Impfung gegen Krebs, hier etwa bei Biontech in Deutschland.
REUTERS/WOLFGANG RATTAY

Seit Corona ist die Bezeichnung "mRNA" wohl nahezu allen ein Begriff – vorrangig wohl als wirksame Impfstofftechnologie zum Schutz vor Corona. Dieser Ansatz stammt jedoch eigentlich aus der Krebsforschung. Schon seit einiger Zeit forschen Fachleute an einem wirksamen Mittel gegen Krebs, DER STANDARD berichtete dazu etwa hier. Zugelassen ist bisher zwar kein Impfstoff, aber auf mRNA-Basis entwickelte individualisierte Immuntherapien sind dennoch einer der vielversprechendsten Hoffnungsträger der künftigen Krebsbehandlung.

Anlass zur Hoffnung lieferten in den vergangenen Jahren immer wieder erfreuliche Studienergebnisse auf dem Gebiet – zuletzt etwa ein Forschungsteam der University of Florida. Die Studiengröße ist mit vier Patientinnen und Patienten zwar überschaubar, die Ergebnisse aber dennoch vielversprechend: Ein eigens entwickelter mRNA-Impfstoff konnte das Immunsystem von Patientinnen und Patienten rasch umprogrammieren, um das Glioblastom, den aggressivsten und tödlichsten Hirntumor, zu bekämpfen. Betroffene von dieser Form des Hirntumors haben eine durchschnittlichen Überlebenszeit von etwa 15 Monaten. Die derzeitige Standardbehandlung umfasst Operation, Bestrahlung und eine Kombination aus Chemotherapie.

Immunsystem stößt Tumor ab

Diese Untersuchung, die in der Fachzeitschrift Cell publiziert wurde, stelle einen potenziellen neuen Weg in der Bekämpfung von bisher behandlungsresistenten Krebsarten dar, sind die Autorinnen und Autoren überzeugt. Im Grunde geht es bei der Technologie – so wie bei anderen Immuntherapien auch – darum, dem Immunsystem beizubringen, dass der Tumor fremd ist.

Gelingen soll das mithilfe mRNA-Technologie, ähnlich wie bei den Covid-19-Impfstoffen, jedoch mit zwei entscheidenden Unterschieden: mit der Verwendung patienteneigener Tumorzellen zur Herstellung eines personalisierten Impfstoffs und einem neuentwickelten komplexen Verabreichungsmechanismus.

"Anstatt einzelne Partikel zu injizieren, injizieren wir Cluster von Partikeln, die sich wie Zwiebeln umeinanderwickeln. Diese Cluster alarmieren das Immunsystem nämlich auf eine viel tiefgreifendere Weise, als es einzelne Partikel tun würden", erklärt der Kinderonkologe und Studienerstautor Elias Sayour.

Dafür wurde bei den vier Patientinnen und Patienten erst genetisches Material, also die sogenannte RNA, aus dem operativ entfernten Tumor extrahiert. Dann wurde die Boten-RNA (mRNA) vervielfältigt und in eine Verpackung aus Partikeln eingewickelt, damit die Tumorzellen für den Körper wie ein gefährlicher Virus "aussehen", wenn sie in die Blutbahn injiziert werden und so eine Reaktion des Immunsystems auslösen.

Dabei wurde der Impfstoff für jede Patientin und jeden Patienten personalisiert, um das Beste aus dem jeweiligen Immunsystem herauszuholen. Und das funktionierte: Das Immunsystem reagierte innerhalb von weniger als 48 Stunden auf die Impfung und begann, den Tumor abzustoßen.

Vielversprechende Ergebnisse im Tiermodell

Dass der Zugang funktioniert, hatte sich schon im Tiermodell abgezeichnet. Sowohl bei Mäusen als auch bei Haushunden erzielte man vergleichbare Ergebnisse. Bereits vor einigen Jahren führte das Team eine ähnliche Studie an zehn Haushunden durch. Die Vierbeiner waren alle an Hirntumor im Endstadium erkrankt, für sie gab es keine anderen Behandlungsmöglichkeiten mehr. Mit dem Einverständnis der Besitzerinnen und Besitzer und in Zusammenarbeit mit einem Institut für Veterinärmedizin wurden sie im Rahmen der Studie mit mRNA-Impfstoffen behandelt. In der Folge lebten die zehn Hunde im Schnitt 139 Tage, verglichen mit der sonst üblichen durchschnittlichen Überlebenszeit von 30 bis 60 Tagen recht lange.

Die Erkenntnis, dass diese Technologie auch bei menschlichen Patientinnen und Patienten zu funktionieren scheint, sei eine sehr wichtige Erkenntnis, betonen die Forscherinnen und Forscher. Und obwohl es noch zu früh ist, um klinische Auswirkungen des Impfstoffs zu beurteilen, lebten die Patienten entweder länger krankheitsfrei als erwartet oder überlebten länger als erwartet, schreiben die Forschenden.

Dieser Durchbruch werde nun in einer klinischen Phase-1-Studie für Kinder mit Hirntumoren getestet. Studienautor Sayour dazu: "Ich bin zuversichtlich, dass dies ein neues Paradigma für die Behandlung von Patienten sein könnte, eine neue Plattformtechnologie, mit der wir das Immunsystem modulieren können." (poem, 8.5.2024)