Volksanwalt Achitz
Bernhard Achitz hat derzeit den Vorsitz in der Volksanwaltschaft inne.
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In der österreichischen Verwaltung läuft bei weitem nicht alles rund. Das belegt wieder einmal der Jahresbericht der Volksanwaltschaft, der am Dienstag in Wien präsentiert wurde. 2023 hatten es Volksanwältin Gaby Schwarz und ihre beiden Kollegen Bernhard Achitz und Walter Rosenkranz mit insgesamt 23.124 Beschwerden zu tun – nur geringfügig weniger als im bisherigen Rekordjahr 2022. Ein Drittel davon fiel nicht in die Kompetenz der Volksanwaltschaft und wurde an zuständige Stellen – meist die Justiz – weitergeleitet. In 7802 Fällen wurde ein Prüfverfahren eingeleitet, 2437 Beschwerden führten zur schärfsten Sanktion der Volksanwaltschaft, einer sogenannten Missstandsfeststellung. Dabei wurden sowohl systematische Probleme als auch akutes Versagen in Einzelfällen aufgedeckt.

Nach wie sehr hoch ist die Zahl von Beschwerden, die in die Ressortzuständigkeit des Gesundheitsministeriums fallen. Volksanwalt Achitz, der derzeit den Vorsitz der parlamentarischen Ombudsstelle innehat, kritisierte unter anderem den Umgang mit Menschen, die an einer postviralen Erkrankung leiden. Bis zu 100.000 Menschen seien in Österreich davon betroffen. Das Long-Covid-Syndrom werde sehr oft nicht richtig diagnostiziert oder falsch behandelt.

Die Folgen reichten vom Verlust des Arbeitsplatzes bis hin Arbeitsunfähigkeit. Trotzdem, so Achitz, komme es immer wieder vor, dass erkrankte Menschen, die das Haus nicht verlassen könnten, zu Untersuchungsterminen bei Krankenkassen geladen werden. Er fordert eine bessere Schulung von medizinischen Gutachterinnen und Gutachtern sowie sensiblere Maßnahmen von Versicherungsträgern.

Unterschiedliche Regelungen

Achitz wies außerdem darauf hin, dass medizinischen Leistungen in Bundesländern unterschiedlich geregelt seien. "Manche Erkrankungen werden beispielsweise in Oberösterreich von niedergelassenen Ärzten behandelt, in Niederösterreich muss man dafür ins Spital. Das versteht kein Mensch", so Achitz. Auch dass Impfungen, die im österreichischen Impfplan als notwendig und nützlich ausgewiesen sind, nach wie vor kostenpflichtig sind, sei ein Missstand. Hart ins Gericht ging Achitz auch mit dem Frauen- und Familienministerium. Trotz höchstgerichtlicher Entscheidungen müssten Eltern oft jahrelang auf die Auszahlung des Kinderbetreuungsgeldes warten.

Unterschiedliche Kooperationsbereitschaft stellte die Volksanwaltschaft bei Bund und Ländern im Umgang mit dem Heimopfergesetz fest. Nach wie vor können Menschen, die zwischen 1915 und 2000 in Heimen misshandelt wurden, Anträge auf eine Rente sowie auf Entschädigung stellen. Nur in Salzburg, Tirol und in der Steiermark funktioniere das noch gut, heißt es im Jahresbericht. Ein Schwerpunkt betreffe derzeit gehörlose Menschen, die in früher als Taubstummenanstalten bezeichneten Einrichtungen misshandelt wurden. Das Bildungsministerium habe inzwischen für zwei frühere Einrichtungen in Speising und Kaltenleutgeben, die damals in staatliche Kompetenz fielen, überhaupt Entschädigungszahlungen eingestellt.

Mehr Prüfverfahren im polizeilichen Bereich

Gestiegen gegenüber dem Vorjahr sind Prüfverfahren im Bereich Innere Sicherheit (plus 14 Prozent). Sie betrafen mit 2064 Akten die meisten Verfahren. Die Beschwerden behandelten zum Großteil Fragen des Asyl-, Niederlassungs- und Fremdenpolizeirechts, gefolgt von Beschwerden über die Polizei. Volksanwalt Rosenkranz bemängelte die lange Dauer von fremdenrechtlichen Verfahren. Grundsätzlich sei zwar eine Beschleunigung durch Personalaufstockung und Digitalisierung bemerkbar, doch immer wenn gerade überdurchschnittlich viele Asylanträge oder Staatsbürgerschaftsbegehren anfielen, komme es zu untragbaren Verzögerungen. Rosenkranz wies darauf hin, dass die Wiener Fremdenrechtsbehörde MA 35 allein die Staatsbürgerschaftsanträge von NS-Opfern bewältigen müsse. Nach dem entsprechenden Gesetzesbeschluss seien in der ohnehin unter Personalmangel leidenden MA 35 "praktisch über Nacht" 20.000 Anträge dazugekommen.

Missstände im Strafvollzug

Nach Beschwerden wegen mutmaßlicher Polizeiübergriffe habe es 22 Überprüfungen der Volksanwaltschaft gegeben, alle hätten sich als nicht gerechtfertigt herausgestellt, so Rosenkranz. In allen Fällen habe es aber Gespräche über deeskalierendes Verhalten gegeben. Es gab auch Beschwerden darüber, dass Polizisten Anzeigen verweigert hätten, schlampig ermittelt worden sei oder dass ein Polizeihubschrauber-Einsatz zu laut gewesen sei. In manchen Fällen hat das Innenministerium Nachschulungen angekündigt beziehungsweise Verbesserungsmaßnahmen in Aussicht gestellt. Bei präventiven Kontrollen der Menschenrechte, die die Kommissionen der Volksanwaltschaft durchführen, wurden im polizeilichen Bereich (Polizeihaft, Schubhaft, Abschiebungen) keine Verfehlungen festgestellt.

Zu einem anderen Ergebnis kamen die parlamentarischen Kontrollore im Bereich des Straf- und Maßnahmenvollzugs, der dem Justizministerium untersteht. Von 721 Beschwerden, die aus Gefängnissen und psychiatrischen Anstalten eingingen, waren fast alle auf einen eklatanten Mangel an Justizwachebeamten und Fachpersonal (Sozialarbeiter und Ärztinnen) sowie auf einen Überbelag der Anstalten zurückzuführen, wie Volksanwältin Schwarz ausführte. In der Justizanstalt Eisenstadt seien sogar die Notbetten ausgegangen, Inhaftierte hätten auf Matratzen auf dem Boden übernachten müssen.

Bessere Suizidprävention gefordert

Was Schwarz außerdem Sorgen bereitet, ist eine unzureichende Suizid-Prävention in Österreichs Haftanstalten. Im Vorjahr haben 13 Menschen hinter Gittern Suizid begangen, weitere 33 überlebten einen Versuch. Die Volksanwaltschaft fordert bessere und mehr Gespräche mit Insassen, um eine Suizid-Gefährdung rechtzeitig zu erkennen. Insgesamt führe an einer Aufstockung des Personals in Justizanstalten kein Weg vorbei, so Schwarz. Sie kritisiert auch, dass ein Gesetzesentwurf zur Ausweitung der elektronischen Fußfessel seit Monaten in der Schublade eines Koordinierungsausschusses liege. Die Volksanwaltschaft tritt dafür ein, dass bis zu zweijährige Haftstrafen im überwachten Hausarrest verbüßt werden können.

Sehr häufig sind auch Beschwerden im Zusammenhang mit dem Klimabonus. Insgesamt wurden dazu im Vorjahr 1480 Prüfverfahren eingeleitet. Es gebe Fälle, in denen das Finanzministerium behauptet habe, das Geld überwiesen zu haben, aber bei Betroffenen kein Geld angekommen sei, so Rosenkranz. Auch Nachfrage im Ministerium nach einem Überweisungsbeleg sei nur die Antwort gekommen, dass das im Einzelfall nicht möglich sei, weil auf einem Datenträger mehrere Millionen Transaktionen gespeichert seien.

Auf eine kuriose Gesetzeslücke ist die Volksanwaltschaft nach einer Beschwerde aus Oberösterreich gestoßen: Darin ging es um Treibholz aus dem Traunsee. Alle kontaktierten Stellen – Gemeinde, Land, Landwirtschafts-, Wirtschafts- und Finanzministerium – hätten einander die Zuständigkeit zugespielt. "Also ist niemand zuständig", resümierte Rosenkranz und ersuchte um eine gesetzgeberische Reparatur. (Michael Simoner, 7.5.2024)