Bau am Südbahnhof.
Die Debatten um zeitgemäße Arbeitszeiten erhitzten die Gemüter. Während sich so mancher Betrieb und Arbeiter ob des 2018 eingeführten Zwölf-Stunden-Tages glücklich schätzt, pochen andere auf eine Reduzierung der Arbeitszeiten.
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Was dieser Tage die Debatte um die 41-Stunden-Woche ist, war vor gut sechs Jahren jene um den Zwölf-Stunden-Tag – nur handfester. Mittels eines Initiativantrags peitschte Türkis-Blau eine neue Höchstarbeitszeit von zwölf Stunden pro Tag und 60 Stunden in der Woche durch. Was auf Bestreben der Wirtschaftsvertreter saisonale und betriebliche Schwankungen ausgleichen sollte, sorgte aufseiten der Gewerkschaften für Demonstrationen – obwohl an der gesetzlich festgeschriebenen täglichen Normalarbeitszeit von acht Stunden und der wöchentlichen Normalarbeitszeit von 40 Stunden nicht gerüttelt wurde. Alles, was darüber hinaus gearbeitet wird, sind zuschlagspflichtige Überstunden.

Ohne Konsequenzen blieb die Novelle aber nicht, bilanziert der Arbeitsrechtsexperte der Arbeiterkammer (AK), Philipp Brokes. Ihm zufolge sei es bereits 2018 um dasselbe Problem gegangen wie heute: die Ungleichverteilung von Arbeitszeit. Zu viele unfreiwillige Teilzeitkräfte auf der einen, zu viele Überstunden auf der anderen Seite. „Diese Schieflage hat man mit dem Zwölf-Stunden-Tag einzementiert", sagt der Jurist. Jede zweite erwerbstätige Frau war laut Statistik Austria zuletzt in Teilzeitbeschäftigung, bei den Männern stieg der Anteil auf 13,4 Prozent. Die andere Seite der Medaille: 180 Millionen Überstunden, davon laut AK rund ein Viertel unbezahlt.

Brokes stößt sauer auf, dass seit Jahren vor allem Anreize gesetzt würden, um jene zu noch mehr Arbeit zu verleiteten, die ohnehin viel Zeit in den Unternehmen verbrächten. Stichwort Zwölf-Stunden-Tag, All-in-Verträge, steuerbefreite Überstunden. Für dieses und kommendes Jahr etwa gibt es eine befristete Aufstockung steuerbefreiter Überstunden von zehn auf 18.

Widersprüchliche Umfragen

Wirtschafts- und Industrievertretern geht dies angesichts des vielbeklagten Arbeitskräftemangels nicht weit genug, erst am Montag bekräftigte Wirtschaftskammer-Chef Harald Mahrer sein Anliegen, Überstunden steuerlich stärker zu entlasten. Und auch im Österreich-Plan Karl Nehammers (ÖVP) ist ein solches Ziel verankert.

Noch mehr Überstunden seien Brokes zufolge aber keineswegs zielführend. Als Resultat der Novellierung des Arbeitszeitgesetzes unter Türkis-Blau hätte die Zahl der geleisteten Überstunden zugenommen, erst die Pandemie habe den Trend gestoppt. Hinzu kommt, dass der Wunsch nach weniger Stunden ohnehin groß ist. Laut aktueller Erhebung der Statistik Austria will jeder fünfte Vollzeitbeschäftigte seine Stunden reduzieren – und würde dafür sogar in Kauf nehmen, ein geringeres Einkommen zu beziehen.

Andere Ergebnisse liefern von der Wirtschaftskammer beauftragte Umfragen. Demnach würden zwei Drittel der Befragten mehr arbeiten wollen, wenn sich dies steuerlich mehr auszahle. Der Arbeitsklimaindex der AK-Oberösterreich steht dazu im Widerspruch: 46 Prozent jener Befragten, die Schichtdienste schieben oder reichlich Überstunden leisten, geben an, mit der aktuellen Belastung nicht bis zur Pension durchhalten zu können.

"Der Hebel über den Zwölf-Stunden-Tag, den man damals gewählt hat, war der völlig falsche. Das eigentliche Potenzial besteht dort, wo Menschen mehr arbeiten wollen, aber nicht können", so Philipp Brokes. Das betreffe etwa jene, die auf ihre Kinder aufpassen oder Angehörige pflegen müssen. Aber auch jene, die in Branchen arbeiten, wo hauptsächlich Teilzeitstellen ausgeschrieben sind. Für so manchen Betrieb sei das schlicht billiger, schließlich sei der Überstundenzuschlag mit 50 Prozent höher als jener für Teilzeitmehrarbeit mit nur 25 Prozent. "Bei zeitnaher Gewährung von Zeitausgleich spart sich der Arbeitgeber den Zuschlag sogar gänzlich", kritisiert der AK-Jurist.

Homeoffice-Ausweitung als kleine Erleichterung

Eine zumindest kleine Erleichterung könnte die Ausweitung des Homeoffice-Gesetzes bringen, dessen Entwurf am Montag in Begutachtung geschickt wurde. Damit könnte es künftig möglich sein, auch außerhalb der eigenen vier Wände legal und unfallversichert zu arbeiten, etwa bei Angehörigen oder im Kaffeehaus.

Insgesamt braucht es Brokes zufolge vor allem eines: eine neue Verteilung der Arbeitszeit. Eine neue Vollzeitnorm zu schaffen sei ein Schritt eines größeren Ganzen. "Solange die meisten Teilzeitkräfte aus strukturellen Gründen keiner Vollzeitbeschäftigung nachgehen können und damit über keine Wahlfreiheit verfügen, ist es schlicht unlauter, Vollzeitkräften einen 1000-Euro-Bonus zu versprechen und Teilzeitkräften gleichzeitig anzudrohen, ihre Sozialleistungen zu kürzen."

Im Kern scheinen sich die Sozialpartner einig zu sein: Es braucht mehr Vollzeitbeschäftigung. Was genau Vollzeit bedeuten soll und wie man das Ziel erreicht, darüber wird wohl noch länger debattiert werden. So ruhig wie um die Zwölf-Stunden-Woche wird es so bald wohl nicht werden. (Nicolas Dworak, 8.5.2024)