Viel war es nicht, was der französische Präsident Emmanuel Macron seinem chinesischen Amtskollegen Xi Jinping bei dessen erstem Besuch in Europa seit fünf Jahren abringen konnte. Gerne hätte man Zugeständnisse in Handelsfragen, etwa bei der Subventionierung chinesischer E-Autos, erreicht. Noch lieber hätte man klare Bekenntnisse dazu gehört, dass man gemeinsam Moskau von seinem Angriffskrieg in der Ukraine abbringen wird. Dazu kam es nicht. Aber Xi war zumindest dazu bereit, in Richtung eines olympischen Friedens für die Pariser Sommerspiele Anstrengungen zu unternehmen, wie Macron lobend anmerkte. Doch was ist das eigentlich, so ein olympischer Friede?

Gefühlt gab es ihn ja schon immer. Und tatsächlich fand der antike olympische Frieden, das "olympische Händehalten", wie man den griechischen Begriff ekecheiria übersetzen kann, von Beginn an Anwendung unter den griechischen Stadtstaaten. Eine Unterbrechung jedweder Feindseligkeiten, damit den Athleten sieben Tage sichere Anreise sowie sieben Tage sichere Abreise gewährt werden können, so die Idee. Das hat auch heute noch Tradition, darauf beruft man sich auch heute noch in den offiziellen Texten. In einer von Militärinterventionen, Bürgerkriegen und Terrorismus geprägten Welt sind in der Uno-Diktion vor allem die zwischenstaatlichen Kriege gemeint, wenngleich natürlich bestmöglich alle Waffen schweigen sollten.

Seit Pierre de Coubertin die Olympischen Spiele der Antike 1894 wiederbelebte und diese 1896 erstmals wieder abgehalten wurden, galten die Spiele aber eher inoffiziell als Friedensperiode, wenngleich durch die beiden Weltkriege in den Jahren 1916, 1940 und 1944 gleich drei Spiele wegen verheerender Konflikte abgesagt werden mussten. Noch dazu kam es aufgrund der politischen Weltlage bei zahlreichen Spielen des 20. Jahrhunderts zu wechselseitigen Boykotten der Großmächte und ihrer Blöcke sowie zu zwischenzeitlichen Ausschlüssen für Kriegstreiber oder Unrechtsstaaten.

Wladimir Putin in Sotschi, 2014.
AP/Alexei Nikolsky

Drei Brüche, dreimal Russland

Das, was wir heute unter dem olympischen Frieden verstehen, ist jene nicht bindende Resolution, die seit Lillehammer 1994 alle zwei Jahre bei der Uno vom Veranstalter eingebracht und für gewöhnlich einstimmig angenommen und von einer überwältigenden Mehrheit an Staaten co-gesponsert wird, sofern die Spiele nicht gerade in Staaten stattfinden, die für völkerrechtlich bedenkliche Abenteuer bekannt sind. So gab es für London 2023 mit 193 von 193 Co-Sponsoren die komplette Uno-Bandbreite für einen olympischen Frieden. Für Sotschi 2014 waren es nur 121 von 193.

Ein Grund dafür könnte sein, dass man Russland die Sache mit dem olympischen Frieden zu Recht nicht länger glaubhaft abnimmt. Seit der olympische Friede 1994 wiederbelebt wurde, gab es nämlich drei Brüche des Friedens – begangen allesamt von Russland. So rollten just am Tag der Eröffnung der Sommerspiele von Peking 2008 russische Panzer in Georgien ein. Drei Tage vor Ende der Winterspiele in Sotschi 2014, also im eigenen Land, begann Russland die als "Rückeroberung" deklarierte, völkerrechtswidrige Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim und scherte sich nicht einmal dort um den Frieden. Und zweieinhalb Wochen vor Ende der Paralympischen Spiele von Peking 2022 begann die Vollinvasion in der Ukraine.

IOC-Präsident Thomas Bach plädiert vor der Uno für die Einhaltung des olympischen Friedens.
REUTERS/BRENDAN MCDERMID

Warnende Geschichte

Und das obwohl Russland die traditionell im Jahr davor eingereichte Resolution freilich auch vor Peking 2022 mittrug. Der russische Diplomat Stepan Kusmenkow sagte damals, am 2. Dezember 2021, dass Sport ein "Botschafter des Friedens" sein könne und dabei helfe, künftige Generationen in einer gewaltfreien Welt aufwachsen zu lassen. Er forderte die anderen UN-Mitgliedsstaaten auf, sich an den olympischen Frieden zu halten, Sport niemals zu politisieren, und kritisierte die "kollektive Bestrafung von Athletinnen und Athleten" – eine Anspielung darauf, dass russische Sportlerinnen und Sportler bereits damals wegen Dopingvergehen nur unter IOC-Flagge antreten durften. Heuer braucht man gar nicht die Hoffnung zu hegen, dass Russland Wort halten könnte, gemeinsam mit Syrien enthielt man sich, als einzige Staaten, bei der Verabschiedung des Textes für Paris 2024.

Russland, das für seine neokolonialen Abenteuer ja gerne (seine spezielle Version der) Geschichte bemüht, sollte diese vielleicht als warnendes Beispiel nehmen. Denn auch in der Antike gab es mit dem griechischen Pisa einen notorischen Brecher des olympischen Friedens. Als Pisa die Region Elis trotz Nichtangriffspakten in den Jahren 748, 644 und 588 vor Christus erfolglos attackierte, endete es letztendlich mit der vollständigen Unterwerfung und schließlich der Zerstörung Pisas. (Fabian Sommavilla, 7.5.2024)