Es ist gut zehn Jahre her, dass der damalige Wirtschaftskammerpräsident Christoph Leitl mit seinem "Abgesandelt"-Urteil über den Wirtschaftsstandort Österreich viele erzürnte. Leitl entfachte damals eine heiße Debatte. Doch wie sieht es heute aus? Gab es die vergangenen zehn Jahre Fortschritt, Rückschritt oder Stillstand? Deloitte nähert sich der Frage in einem jährlich erhobenen Radar. Das erste Mal wurde er vor zehn Jahren publiziert. Demnach ist auch jetzt wieder Feuer am Dach.

Das Beratungshaus ortet bestenfalls Stillstand, in den letzten vier bis fünf Jahren sei Österreich sogar wieder im Rückwärtsgang unterwegs gewesen. Das zeigten die Außen- und die Innenschau, sagte Deloitte-Österreich-Chef Harald Breit am Montag in einem Pressegespräch. Höhere Inflation als in den meisten anderen Ländern der EU, maues Wirtschaftswachstum, wenig Esprit bei der Energiewende oder anderen wichtigen Vorhaben, all das schlage auch den Unternehmen aufs Gemüt, zitiert Breit eine Umfrage unter 600 Führungskräften.

Zwei Arbeiter gehen auf einer Straße. 
Viele Baustellen zählt das Beratungshaus Deloitte in seinem aktuellen Radar auf. Bekannt sind die meisten.
Arnulf Hettrich via www.imago-im

Demnach sind mit knapp 60 Prozent zwar die meisten optimistisch für das eigene Unternehmen, mit Blick auf den Wirtschaftsstandort verflüchtigt sich die positive Stimmung jedoch. Hier bewertet fast jeder zweite Befragte die Stimmung nur mit einem "Genügend" oder "Nicht genügend", und nur rund ein Viertel vergibt ein "Gut" oder "Sehr gut". Was wird neben dem Positiven auf der Habenseite wie Rechtsstaatlichkeit, Sicherheit der Energieversorgung und Innovationsfähigkeit als die größte Last empfunden? Die Preisentwicklung, die Verfügbarkeit von Arbeitskräften und die politische Stabilität nennen die Führungskräfte als ihre größten Sorgen.

Auch in Sachen Lebensqualität "bröckelt es in der Fassade", ergänzt Deloitte-Partnerin Elisa Aichinger. Zwar werde die weitgehend intakte Umwelt honoriert, aber nur 44 Prozent der Befragten bewerten den sozialen Zusammenhalt im Land mit einem "Sehr gut" oder "Gut". In den vergangenen Jahren lagen diese Werte deutlich höher. Auch mit dem Gesundheitssystem macht sich zunehmend Unzufriedenheit breit.

Bestenfalls Mittelmaß

Und wie sieht die Welt Österreich? Internationale Rankings verheißen dem Beratungshaus zufolge ebenso wenig Gutes. So ist Österreich 2023 im World Competitiveness Ranking des Managementinstituts IMD der Schweizer Eliteuniversität Lausanne als Wirtschaftsstandort abgerutscht. Nach Platz 20 im Jahr 2022 war für Österreich im Vorjahr nur noch Platz 24 drin. Ähnlich große Länder wie Schweden, Dänemark, Finnland, Irland, die Niederlande oder die Schweiz liegen in den Rankings konstant vor Österreich.

Etwas besser sieht es in Spezialbewertungen wie dem World Happiness Report (2023 Platz sieben in Europa, Platz elf weltweit) oder dem Global Sustainable Competitiveness Index (2023 Platz acht in Europa und weltweit) aus. Im wichtigen Global Innovation Index liegt Österreich 2023 auf Platz 18. Alles in allem lautet die Kernbotschaft für Breit: Wir kommen seit vielen Jahren nicht vom Fleck. Das BIP pro Kopf sei niedriger als vor zehn Jahren, "wir sind ärmer geworden". Ist dieses Mittelmaß alles, was wir zusammenbringen, fragen die Berater. Sie orten naturgemäß Handlungsbedarf und fordern einen Masterplan.

Die To-do-Liste ist im Großen und Ganzen bekannt: Senkung der Einkommen- und Mehrwertsteuer sowie der Lohnnebenkosten, eine Vereinfachung der Bürokratie, Ausbau der Betreuungsangebote für Kleinkinder, leichtere Zuverdienstmöglichkeiten für Pensionistinnen und Pensionisten sowie ein schnellerer Arbeitsmarktzugang und eine Qualifizierungsoffensive für Menschen mit Migrationshintergrund. Was die Steuern betrifft, so hält Herbert Kovar nichts von kosmetischen Operationen, also einer Senkung im Ein- bis Zwei-Prozentpunkte-Bereich, sie sollte sich in einer Größenordnung von fünf Prozentpunkten bewegen. Auch die mittleren Einkommen müssten entlastet werden, sagt Deloitte-Österreich-Chef Breit. Unternehmen und Beschäftigte bräuchten "Luft zum Atmen". (Regina Bruckner, 6.5.2024)