Johannes Anzengruber
Johannes Anzengruber will bis nächste Woche eine Koalition mit Rot und Grün in trockenen Tüchern haben. Annäherungsversuchen der ÖVP nach seinem Wahlerfolg erteilte er eine Absage.
Florian Scheible

Am Abend nach seinem Wahlsieg tanzte der neue Innsbrucker Bürgermeister Johannes Anzengruber Sirtaki. Nicht mit seiner Frau oder seinen Unterstützern. Sondern mit Georg Willi von den Grünen und SPÖ-Frontfrau Elisabeth Mayr. Das werteten viele als ein weiteres Vorzeichen für eine "Caprese-Koalition" aus Anzengrubers Liste JA, Grün und Rot, mit der ohnehin die halbe Stadt längst gerechnet hatte. Seit Sonntag ist es auch offiziell: Anzengruber führt Koalitionsgespräche mit Grünen und SPÖ, die am Montag starteten. Ein Gespräch über Innsbrucks neues Mitte-links-Bündnis, Sebastian Kurz, Basilikum und Mozzarella.

STANDARD: Herr Anzengruber, bis zur konstituierenden Gemeinderatssitzung in gut einer Woche soll Ihre Koalition unter Dach und Fach sein. Nicht gerade viel Zeitpuffer, oder?

Anzengruber: Der Plan ist, dass die Koalition bis dahin steht. Die Frist geht aber noch ein bisschen länger als bis zur Sitzung am 16. Mai. Das Ziel ist allerdings, rasch in die Gänge zu kommen. Und damit rasch ins Arbeiten.

STANDARD: Noch rascher wären Sie ins Arbeiten gekommen, hätten Sie die Koalitionsgespräche gleich begonnen, statt eine Woche mit allen Parteien zu sondieren. Wäre das nicht besser genützte Zeit, als symbolisch Signale zu senden, dass Sie eh mit allen reden wollen?

Anzengruber: Das sind nicht nur Signale. Es war mir immer ernst, mit allen zu reden und zu hören, wie sie sich die Zukunft der Stadt und die Mitarbeit daran vorstellen. Auch in den Koalitionsgesprächen wollen wir gute Ideen der anderen Fraktionen mit aufnehmen.

STANDARD: Ihre Erzählung nach der Wahl, wonach die Koalitionsfrage noch völlig offen sei, hatte dagegen wohl eher den Zweck, Wähler von weiter rechts nicht gleich wieder zu verschrecken und den eigenen Preis für eine Koalition in die Höhe zu treiben. War das ein strategischer Akt?

Anzengruber: Nein, das war kein strategischer Akt. Es war mir wichtig, alle zu hören und dabei zu sehen, welche Möglichkeiten sich auftun. Die Bevölkerung soll spüren, dass wir einen neuen Weg gehen, das Gemeinschaftliche und das Miteinander in den Mittelpunkt stellen. Insofern war für mich nicht von vorneherein klar, dass es "Caprese" mit Grün und Rot wird (Anspielung auf den italienischen Caprese-Salat, der aus Tomaten, Basilikum und Mozzarella besteht – Anzengrubers Listenfarbe ist weiß, Anm.). Mir gefällt die Bezeichnung auch nicht besonders. Eine Koalition der Wahlgewinner trifft es besser. Wobei man schon sagen muss, dass der überwiegende Anteil beim Caprese der Mozzarella ist. Basilikum ist da eher eine Randerscheinung. Das will ich jetzt aber natürlich nicht politisch verstanden wissen.

STANDARD: Was werden die härtesten Brocken in den Verhandlungen mit Rot und Grün?

Anzengruber: Am schwierigsten ist es, wenn die Ideologie sehr stark herauskommt. Aber das spüre ich momentan nicht. Mir ist es wichtig, die Sache voranzustellen. Ich habe die anderen Fraktionen gefragt, ob sie bereit sind, zum Wohle der Stadt und der Bürger Partei und Ideologie hintanzustellen. Das habe ich gespürt.

STANDARD: Ihre Liste hat acht Mandate, Rot und Grün haben gemeinsam 14. Das große Abholen Ihrer konservativeren Wählersegmente wird in dieser Mitte-links-Koalition also nicht möglich sein. Das werden die Ihnen bei der nächsten Wahl übelnehmen, nicht?

Anzengruber: Natürlich wird eine weiß-grün-rote Koalition als Politikum gesehen. Aber ich bin unabhängig und parteifrei. Meine gesamte Liste deckt die Vielfalt der Stadt und der Stadtteile ab. Ich halte für entscheidend, dass wir Projekte umsetzen und die Sache voranstellen. Gerade auf der kommunalen Ebene. Im Angelobungstext in Innsbruck heißt es "unparteiisch, uneigennützig, zum Wohle der Stadt und der Bürger". Ich bin überzeugt, dass das funktionieren kann.

STANDARD: Ein Hauptthema für die Koalition wird leistbarer Wohnraum sein, den Sie wie Grüne und SPÖ als drängendes Thema benannt haben. In der vergangenen Legislaturperiode haben Sie allerdings gegen Vorbehaltsflächen für geförderten Wohnbau gestimmt. Warum?

Anzengruber: Da geht es um eine Widmungskategorie in der Raumordnung. Die entsprechende Erhebung über mehr als 30 Grundstücke hat man einfach pauschal gemacht, ohne mit den Grundstückseigentümern zu sprechen. Man kann da nicht einfach drüberfahren. Ich habe damals mit allen Eigentümern gesprochen. Und dabei durchaus gespürt, dass viele bereit sind, wenn man sie einbindet.

STANDARD: Der Wohnbedarf in Innsbruck ist allerdings eklatant, die Preise gehören zu den höchsten Österreichs. Wenn man sich nicht mit genügend Eigentümern einigt, wird es auch Verpflichtungen brauchen, oder?

Anzengruber: Durchs Reden kommen die Leut zam. Das funktioniert. Sonst macht der Eigentümer eine Klage, dann landet das Ganze vor Gericht und verzögert sich erst recht. Wir wollen bauen, aber sinnvoll. Dafür muss das Miteinander funktionieren. Es ist auch wichtig, dass wir Wohnraum verdichten, uns dazu die Leerstände genau anschauen und nicht nur neue Flächen versiegeln. Ich will außerdem eine Bau- und Raumordnungsrichtlinie einführen, die Grundstücksspekulationen ausschließt und für alle gleiche Rahmenbedingungen schafft. Das sorgt für noch mehr geförderten Wohnbau.

STANDARD: Wie wollen Sie als Bürgermeister sicherstellen, dass sich die Intrigen und Zank-Eskapaden der vergangenen Innsbrucker Stadtregierung nicht wiederholen?

Anzengruber: Das habe ich in den Sondierungsgesprächen sehr klar gesagt: Wir müssen uns gemeinsam an den Tisch setzen, die Dinge aussprechen und Überschneidungen mit den Gemeinderatsfraktionen, die nicht Teil der Koalition sein werden, mitnehmen und konstruktiv einbinden.

STANDARD: Nicht gar so herzlich war im Wahlkampf Ihr Verhältnis zur ÖVP, nachdem die Sie abgesägt und aus der Partei ausgeschlossen hat. Die will sich Ihnen aber wieder annähern, seit Sie den Bürgermeister gewonnen haben. Schon bereit für die Friedenspfeife?

Anzengruber: Nein. Konstruktive Zusammenarbeit: ja. Aber Annäherung im Sinne von Wiedervereinigung mit der ÖVP: nein.

STANDARD: Ich frage, weil auch das in Innsbruck Tradition hätte. Schon der in den 1990er-Jahren abtrünnig gewordene Herwig van Staa kehrte einst als verlorener Sohn wieder in den Schoß der ÖVP zurück. Zuletzt auch Ex-Bürgermeisterin Christine Oppitz-Plörer.

Anzengruber: Zu genannten Personen und deren getätigten Aussagen kann sich, glaube ich, jeder selbst sein Bild machen. Ich weiß nicht, ob alle einen Spiegel zu Hause haben. Ich habe jedenfalls einen und kann gut in den Spiegel schauen.

STANDARD: Eine Wiedervereinigung mit der ÖVP schließen Sie auch für die Zukunft aus?

Anzengruber: Das ist überhaupt kein Thema.

STANDARD: Sie waren nicht immer so ÖVP-kritisch wie heute. Als unter Sebastian Kurz, den Sie damals unterstützten, einmal eine Wahlkampfveranstaltung auf der da noch von Ihnen betriebenen Arzler Alm aufschlug, waren Sie im Handumdrehen türkis dekoriert.

Anzengruber: Auf der Arzler Alm habe ich Sebastian Kurz noch nie gesehen. Aber in seiner Zeit hat die ÖVP dort einmal eine Wahlkampfveranstaltung angemeldet. Und wir haben einmal als Gag eine Topfentorte türkis eingefärbt.

STANDARD: Wie sehen Sie im Nachhinein die ÖVP-Spitze von damals, die über diverse Affären und Ermittlungen zerbröselt ist?

Anzengruber: Die vergangenen Monate und Jahre waren in der Politik generell eine sehr schwierige Zeit. Die Gesellschaft hat sich aufgrund großer Transparenz und guter medialer Berichterstattung ihr Bild gemacht. Alle Großparteien müssen sich bei der Nase nehmen, wieder den Menschen in den Mittelpunkt stellen und geerdet werden.

STANDARD: Ihre eigene Liste ist ja doch sehr bunt durchmischt. Da gibt es etwa den von der SPÖ kommenden Unternehmer Andreas Tomaselli auf Platz drei, aber auch Mariella Lutz, die Lebensgefährtin von FPÖ-Chef Lassenberger, auf Platz zwei. Sorgen, dass dieser bunte Haufen während Ihrer sechsjährigen Amtszeit auseinanderbricht?

Anzengruber: Überhaupt nicht. Wer die Teamarbeit in unserem Wahlkampf erlebt hat, hat auch gespürt, dass die Leute mit Herzblut bei der Sache sind. Wir pflegen eine offene Kultur, wer sich nicht mehr wohlfühlt, kann klar seine Meinung sagen. Ich glaube kaum, dass uns jemand in den Rücken fallen würde, weil auch jeder weiß, wie viele Leute er damit enttäuschen würde.

STANDARD: Wen wählen Sie eigentlich bei der anstehenden EU- und Nationalratswahl? Ihre Ex-Partei ÖVP? Oder gar den künftigen grünen Koalitionspartner?

Anzengruber: Gute Frage. Darüber habe ich vor kurzem mit meiner Frau diskutiert, und die Diskussion haben wir noch nicht beendet.

STANDARD: Sie stimmen sich mit Ihrer Frau ab, wen Sie wählen?

Anzengruber: Ja. Aber es gibt ein Wahlgeheimnis. Ich darf ja offiziell nichts sagen (lacht).

STANDARD: Das Wahlgeheimnis ist ein Recht, aber keine Pflicht. Sie selbst dürfen es natürlich auflösen, wenn Sie wollen.

Anzengruber: Danke, ich verzichte. (Martin Tschiderer, 7.5.2024)