Der Vorwahlkampf in Österreich ist erst angelaufen, aber es zeichnet sich bereits ab, dass Arbeitszeit eines der großen Themen im Wahlkampf sein wird. Die SPÖ propagiert ihren Vorstoß für die 32-Stunden-Wochen. SPÖ-Chef Andreas Babler hat die Forderung inzwischen zwar abgeschwächt: Er ruft in seinem 24-Punkte-Programm nur noch die Sozialpartner dazu auf, ein Modell zur Arbeitszeitverkürzung auszuarbeiten, und will nichts gesetzlich vorgeben. Die Arbeitgeber sehen in dem Vorschlag, obwohl sie dabei selbst mitverhandeln könnten, dennoch weiter Gift für den Standort. Am Montag trat auch Wirtschaftskammer-Chef Harald Mahrer vor die Presse, um vor Bablers "Märchenerzählung" zu warnen. Zuvor hatte die Industriellenvereinigung das Thema getrommelt.

Mahrers Tenor: Wer den Wohlstand im Land und das starke Sozialsystem erhalten wolle, müsse sich darüber Gedanken machen, mehr Menschen zu mehr Arbeitsstunden zu bewegen. Mahrer fordert dabei einerseits eine Entlastung bei den Lohnnebenkosten. Er will die Beiträge der Arbeitgeber für den Familienlastenausgleichsfonds (Flaf) streichen und die Leistungen stattdessen aus dem Budget finanzieren. Das wäre keine Kleinigkeit: 3,7 Prozent der Lohnsumme müssen Arbeitgeber in den Fonds einzahlen, allein heuer sollen da 8,6 Milliarden Euro zusammenkommen.

Wirtschaftskammer-Chef Harald Mahrer will Überstunden steuerlich entlasten. Auch Menschen, die in der Pension arbeiten, sollen weniger Einkommensteuer zahlen, um Anreize zu setzen.
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Wie soll dieser Betrag für Familienleistungen wie Schülerfreifahrten gestemmt werden, wenn Arbeitgeber nicht mehr zahlen? Mahrer nennt dazu keine konkreten Sparvorschläge, sondern sagt nur, Bund und Länder müssten sich gemeinsam Gedanken über Einsparungen machen.

Dafür legte er Ergebnisse einer Umfrage vor: Die Wirtschaftskammer hat das Market-Institut 1005 Menschen in Österreich zur Arbeitszeit befragen lassen. Die Umfrage brachte aus Sicht Mahrers viele wünschenswerte Ergebnisse: 63 Prozent der Befragten halten demnach eine 32-Stunden-Woche für nicht realistisch. 62 Prozent sagen, die Leistungen aus dem Flaf sollen aus dem allgemeinen Budget finanziert werden – interessant, dass der Flaf überhaupt so eine Bekanntheit genießt.

Bemerkenswert ist eine Zahl zu Überstunden: Demnach geben fast Zwei Drittel der Befragten an, sie würden mehr arbeiten, wenn sich dies steuerlich stärker auszahlte.

Franzosen arbeiteten nicht mehr, verrechneten jedoch mehr Überstunden

Die Wirtschaftskammer ist mit dem Ruf nach einer günstigen steuerlichen Behandlung von Überstunden nicht allein. Bereits Kanzler Karl Nehammer (ÖVP) hat in seinem Österreich-Plan gefordert, Überstunden steuerlich komplett zu befreien. Aktuell gibt es hier bereits ein Goodie, aber ein überschaubares: So dürfen pro Monat derzeit 18 Überstundenzuschläge steuerfrei sein, maximal jedoch 200 Euro im Monat. Der ÖGB sieht das kritisch, weil er eine Benachteiligung von Frauen ortet, die mehr Teilzeit arbeiten und daher weniger Überstunden leisten. Profitieren würden von so einer Regelung vor allem Topverdiener, während viele klassisch Beschäftigte Überstunden gar nicht bezahlt bekämen, so die Gewerkschaft.

Aber würde eine steuerliche Entlastung der Überstunden tatsächlich dafür sorgen, dass mehr gearbeitet wird? Das darf zumindest bezweifelt werden.

Im Oktober 2007 hat Frankreich per Gesetz Überstunden komplett steuerfrei gestellt und die bei Überstundenentgelten fälligen Sozialabgaben deutlich reduziert. Welchen Effekt hatte diese Maßnahme? Auf die Arbeitszeit erstaunlicherweise gar keinen. Das ist die Erkenntnis einer Studie der Ökonomen Pierre Cahuc (Sciences Po) und Stéphane Carcillo (OECD, Sciences Po).

Ziel der Reform unter dem damals frisch gewählten Präsidenten Nicolas Sarkozy war im Herbst 2007, Franzosen zur Mehrarbeit zu bewegen und die starren Vorgaben der 35-Stunden-Woche aufzubrechen. Cahuc und Carcillo bauten ihre Studie auf Zahlen aus einer regelmäßigen Befragung von mehr als 70.000 Beschäftigten durch das französische Statistikamt auf. Sie haben die Daten zur Arbeitszeit der Franzosen auch verglichen mit Zahlen zu Beschäftigten in Frankreich, die für ausländische Firmen tätig waren und für die die steuerliche Vergünstigung nicht gegolten hat.

Die Analyse der Ökonomen ergab, dass sich die durchschnittliche Wochenarbeitszeit der Beschäftigten gar nicht verändert hat. Als Folge der Reform ist die Zahl der gemeldeten Überstunden um zehn Prozent gestiegen, heißt es in der 2011 veröffentlichten Studie.

Diesen Anstieg gab es allerdings nur bei gut bezahlten und hochqualifizierte Arbeitnehmern, "die viele Möglichkeiten haben, ihre Überstunden zu manipulieren, um eine steuerliche Optimierung zu erreichen". Der Rest der Beschäftigten profitierte nicht.

"Diese Ergebnisse legen nahe", dass das gesamte Projekt zur steuerliche Entlastung der Überstunden im Wesentlichen bloß zu mehr Steueroptimierung geführt hat, heißt es in dem Paper.

"Bei jedem Vorschlag gibt es fünf Bedenken"

Sieht Mahrer nicht auch diese Gefahr angesichts der Studie? Der französische Arbeitsmarkt sei mit jenem in Österreich nicht 1:1 vergleichbar, sagt der Wirtschaftskammer-Chef dazu. Risiken gebe es immer, aber wer nichts ausprobiere, könne keine Fortschritte erzielen, "bei jedem Vorschlag fallen mir fünf Bedenken ein".

Welche Erzählung zur Arbeitszeit richtig ist, jene der Befürworter einer Arbeitszeitverkürzung oder jene ihrer Gegner, lässt sich gar nicht so leicht sagen. Ohne Zweifel ist es richtig, dass die heimische Produktivität über die vergangenen Jahrzehnte enorm gestiegen ist. Die letzte Arbeitszeitverkürzung ist schon lange her, zwischen 1970 und 1975 wurde die Regelarbeitszeit zuletzt reduziert. Das alles spricht dafür, dass wir uns weniger Arbeitszeit fürs gleiche Geld leisten können.

Dagegen spricht, dass in Österreich zwar die Arbeitslosigkeit gestiegen ist, tendenziell aber am Jobmarkt zunehmend Mangelerscheinungen auftreten. Trotz schrumpfender Wirtschaft sind beim AMS 93.000 offene Stellen gemeldet. Das sind um 13.000 mehr als zur selben Zeit vor der Pandemie, obwohl damals die Wirtschaft gewachsen ist. Dazu kommt, dass ab heuer auch die Zahl der Personen im arbeitsfähigen Alter zu schrumpfen beginnt. Rund sechs Millionen Menschen gehören aktuell zu dieser Gruppe, 2030 sollen es rund 125.000 weniger sein. Dazu kommt, dass der Arbeitsmarkt Jahr für Jahr mehr Beschäftigte braucht. All das spricht dafür, dass wir tendenziell mehr und nicht weniger arbeiten werden. (András Szigetvari, 7.5.2024)