Innenminister Gerhard Karner (ÖVP).
Sieht sich im Kampf gegen die Kalifat-Treuen bestens gerüstet: Innenminister Gerhard Karner (ÖVP).
APA/EVA MANHART

Der Aufmarsch von Islamisten in Hamburg vor etwas mehr als einer Woche sorgt weiter für Aufregung. Das liegt auch daran, dass die vom deutschen Staatsschutz als "gesichert extremistisch" eingestufte Organisation Muslim Interaktiv für das kommende Wochenende bereits einen weiteren Protest in der Hansestadt angekündigt hat. Die Gruppe setzt sich unverhohlen lautstark für ein Kalifat ein, also für einen Gottesstaat, der auf islamischem Recht basiert.

In Deutschland schlug Christoph de Vries, Politiker der konservativen Union, prompt vor, den Ruf nach einem Kalifat auf deutschem Boden unter Strafe zu stellen. "Auch wenn dies grundrechtssensibel ist und einen Eingriff in die Meinungsfreiheit bedeutet, müssen wir diese Debatte ernsthaft führen", sagte de Vries. Von sozialdemokratischer und liberalerer Seite stieß der Vorschlag aber auf Widerstand. Das schlichte Ablehnen der Demokratie sei von der Meinungsfreiheit gedeckt, hieß es zudem aus dem Bundesjustizministerium in Berlin.

"Dann relevant, wenn Umsturzpläne geäußert werden"

In Österreich hingegen sieht man sich da offenbar schon einen Schritt voraus. "Kalifat – das Ausrufen eines Gottesstaates ist in Österreich verboten", sagte der türkise Innenminister Gerhard Karner am Wochenende in der Kronen Zeitung. "Wer unsere demokratische Grundordnung so attackiert, wird konsequent verfolgt und der Bestrafung zugeführt." Karner machte sogleich Werbung für den Straftatbestand des religiös motivierten Extremismus, der den Kalifat-Ruf angeblich unterbinde. Der Straftatbestand wurde nach dem Terroranschlag vom 2. November 2020 in Wien extra neu eingeführt.

Aber stimmt Karners Einschätzung überhaupt? Alois Birklbauer ist skeptisch. Die Sache sei diffiziler als vom Minister artikuliert, nämlich so, wie es das deutsche Justizministerium erklärt: "Aus meiner Sicht ist das reine Ausrufen eines Kalifats bei einer Demonstration noch von der Meinungsfreiheit gedeckt – das muss die Demokratie aushalten", sagt der Leiter des Strafrechtsinstituts der Johannes-Kepler-Universität in Linz. "Strafrechtlich relevant wird es dann, wenn konkrete Umsturzpläne geäußert werden."

(3) Eine religiös motivierte extremistische Verbindung ist eine solche, die fortgesetzt auf gesetzwidrige Art und Weise die wesentlichen Elemente der demokratischen rechtsstaatlichen Grundordnung der Republik durch eine ausschließlich religiös begründete Gesellschafts- und Staatsordnung zu ersetzen versucht, indem sie die Vollziehung von Gesetzen, Verordnungen oder sonstigen hoheitlichen Entscheidungen zu verhindern oder sich religiös begründete Hoheitsrechte anzumaßen oder solche Rechte durchzusetzen versucht.
§ 247b StGB Religiös motivierte extremistische Verbindung

Das reine Ausrufen eines Kalifats hält Birklbauer für eine Strafe also für unzureichend. Der neu eingeführte Straftatbestand des religiös motivierten Extremismus richte sich zudem nicht gegen die Demonstration selbst und das, was dort gerufen wird, sondern gegen eine Verbindung, in diesem Fall wäre das Muslim Interaktiv.

Der Straftatbestand orientiert sich an der staatsfeindlichen Bewegung gegen die Szene der Staatsverweigerer, die Organisationen ins Leben rufen, um einen Parallelstaat zu etablieren. "Das würde strafrechtlich auch für das Kalifat-Beispiel gelten: Eine bloße Äußerung erreicht die Dimension des Etablierens eines Parallelstaats noch nicht."

Die stellvertretende Leiterin des Strafrechtsinstituts der Universität Wien, Ingeborg Zerbes, sieht die Sache wie Birklbauer. Zerbes verweist darauf, dass die Strafbarkeit nach dem neuen Tatbestand erst dann beginne, wenn sich jemand gesetzeswidrig verhalte oder, wie es im Gesetz heißt, eine "ernstzunehmende gesetzeswidrige Handlung ausgeführt oder dazu beigetragen hat". Das könnte etwa eine gefährliche Drohung oder Gewalt sein, um Kalifat-Pläne durchzusetzen. Nach Einschätzung der Strafrechtlerin sei der reine Ruf nach einem Kalifat – ob in Social Media oder auf der Bühne geäußert – strafrechtlich nach wie vor unproblematisch.

Allerdings wurde auf der Demonstration der Islamisten in Hamburg von der Bühne herab eine deutliche Drohung ausgesprochen: "Deutschland, Politik und Medien – ihr alle solltet euch wohlbedacht positionieren gegenüber den Muslimen, gegenüber dem Islam und gegenüber Allah. Denn wenn die Karten neu gemischt werden und der schlafende Riese wieder erwacht, werdet ihr für das, was eure eigenen vorausgeschickt haben, zur Rechenschaft gezogen."

Ist das nicht eindeutig genug? Auch da schränkt Birklbauer ein: "Es ist die Frage, ob das hinreichend genug bestimmt ist für eine besorgniserregende Drohung", sagt der Strafrechtsprofessor. "Aus meiner Sicht fehlt es daran."

"Wissen, was sie sagen können"

Das Problem: Gruppen wie Muslim Interaktiv kennen die Grenzen des gerade noch Zulässigen. Hier lässt sich die Parallele zur rechtsextremen Identitären Bewegung ziehen, sagt Birklbauer. "Diese Gruppen wissen ganz genau, was sie sagen können, um nicht im Strafrecht zu landen." So betont ein weiterer Account rund um Muslim Interaktiv etwa, dass sich die Kalifat-Forderung angeblich nur auf die islamische Welt beziehe und nicht auf Deutschland. Auch das macht eine rechtliche Bewertung nicht unbedingt einfacher.

Das Innenministerium blieb auf Nachfrage bei seiner Linie und sendete dem STANDARD eine Aussendung mit demselben Inhalt, der in der Kronen Zeitung berichtet wurde.

Das Justizministerium wiederum hielt fest, dass "grundsätzlich eine Prüfung im Einzelfall notwendig ist, um den Zweck / die Intention des/der Äußernden beim Ruf nach einem Kalifat feststellen zu können. Neben dem objektiven Sinngehalt dieser Äußerung sind ihre Begleitumstände zu beachten." Das Kalifat sei in den Erläuterungen des Gesetzes jedenfalls explizit genannt worden. Wie oft der noch recht junge Straftatbestand des religiösen Extremismus bisher zur Anwendung kam, konnte das Ressort ad hoc nicht beantworten. (Jan Michael Marchart, 6.5.2024)