"An die Marionettenregierung von Georgien, die von Russland kontrolliert wird": So beginnt das Hackerkollektiv Anonymous in der Nacht auf Donnerstag seine Nachricht. Man habe sie gewarnt, jedoch habe die Regierung die Polizeigewalt und die Repression gegen die Demonstrierenden nicht unterbunden. Deshalb habe man nun die Internetseite der Regierungspartei Georgischer Traum vorerst einmal vom Netz genommen. Auch das regierungsnahe Medium POSTV war nicht länger erreichbar. Danach das Versprechen von Anonymous: "Für Ihr unmenschliches Vorgehen gegen Ihre eigenen Bürger werden wir weiterhin alle webbasierten Auftritte Ihrer Regierung verunstalten und offline nehmen. Solange die Gerechtigkeit nicht siegt, werden sie Hackerangriffe und Proteste ersetzen."

Die zehntausenden Protestierenden, die sich immer wieder auf der Rustaveli Avenue einfinden, freuen sich über diese konkrete Unterstützung, können sie sich doch bisher nur auf vorsichtige Statements aus dem US-Außenministerium oder Brüssel stützen, wonach man "die Situation in Georgien mit großer Sorge" verfolge und "die Gewalt auf den Straßen von Tiflis verurteilt", wie es EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen vor wenigen Stunden formulierte. Georgien müsse auf dem Weg Richtung Europa bleiben, fügte von der Leyen aber zumindest an. Und tatsächlich entzündeten sich die wütenden Massenproteste wieder einmal am Versuch der georgischen Regierung, ihr Land davon ein weiteres Stück abzubringen und sich gen Moskau zu orientieren. Umfragen gehen dabei davon aus, dass vier Fünftel der Bevölkerung den EU-Beitritt wollen.

Das "Über die Transparenz ausländischer Einflussnahme" getaufte Gesetz, das am Mittwoch in zweiter von drei Lesungen mit 83 zu 23 Stimmen abgesegnet wurde, wird nicht umsonst "russisches Gesetz" genannt. Es ähnelt in Diktion und Vorhaben jenem in Moskau verabschiedeten Gesetz, welches seit 2012 die dortige außerparlamentarische Opposition und Nichtregierungsorganisationen drangsaliert und Regimekritiker hinter Gitter bringt. Laut Gesetz müssen alle NGOs, die mehr als 20 Prozent ihrer Einnahmen aus dem Ausland erhalten, das künftig offenlegen und damit angeben, "im Interesse einer ausländischen Macht" zu agieren. Legen sie sensible Informationen nicht offen, drohen Strafen um die 8700 Euro. Kritiker des Gesetzes sehen darin nicht die von der Regierung propagierte Transparenz, sondern einen Vorwand, kritische Stimmen und Medien im Land mundtot zu machen und als "ausländische Agenten" in Haft zu bringen.

Straßenproteste in Tiflis.
Straßenproteste in Tiflis.
EPA/DAVID MDZINARISHVILI

Ausweitung der Proteste

Bei den seit Mitte April anhaltenden Demonstrationen im 3,7-Millionen-Einwohner-Land geht die Polizei teils mit Wasserwerfern, Tränengas und großer Brutalität vor, wie Videos in den sozialen Medien belegen. Im Parlament flogen Bücher, es gab Rangeleien. Auf der Straße wurde das Parlament großflächig vor einer Schar von Demonstranten geschützt. Der von schweren Blessuren gezeichnete Oppositionsführer Levan Khabeishvili von der prowestlichen United National Movement gab in einer Rede vor dem Parlament an, Anfang der Woche von Spezialeinheiten der Polizei bei einem Protest zusammengeschlagen worden zu sein. Die Sicherheitsbehörden sagen, er habe versucht, eine Polizeiabsperrung zu durchbrechen.

Khabeishvili rief vor der Abstimmung zu weiteren Protesten auf. Allein am Dienstag kam es zu 63 Festnahmen. Dennoch blieben vor allem junge Menschen bis spätnachts und frühmorgens in den Straßen, sangen die "Ode an die Freude" und schwenkten die Fahne der EU. Die Proteste weiten sich zudem in andere Landesteile aus. In der Schwarzmeerstadt Batumi im Osten des Landes gingen ebenso Tausende auf die Straßen. Und es wird erwartet, dass die Proteste in den kommenden Tagen und Wochen noch einmal größer werden.

Die prorussische Regierung plant, das Gesetz in den kommenden Wochen trotz allen Gegenwinds durchzudrücken. In zwei Wochen wird die dritte und finale Lesung erwartet, woraufhin mit einem Veto von Präsidentin Salome Surabischwili zu rechnen ist.

Die einst von der Regierungspartei Georgischer Traum nominierte Surabischwili zeigte sich in den vergangenen Jahren zusehends sehr kritisch in ihren Äußerungen zu Russland. Sie zog nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine Parallelen zur Invasion Russlands in Georgien 2008. Sie verband ebenso das Schicksal der von Russland annektierten Regionen im Südosten der Ukraine mit den immer noch besetzten georgischen Regionen Abchasien und Südossetien.

Auch deshalb dürften EU-Beitrittsverfahren nicht zu lange dauern, forderte die Präsidentin des EU-Beitrittskandidaten sinngemäß. Das öffne dem Nachbarn im Norden die Möglichkeit zu intervenieren. Georgien erhielt im Dezember 2023 Kandidatenstatus. Das Gesetz dürfte den Beitritt aus Sicht von EU-Politikern deutlich erschweren.

Georgischer Traum – das zuletzt ein Amtsenthebungsverfahren gegen Surabischwili anstrebte, mit dem Vorhaben aber scheiterte – möchte Mitte Mai dann das Votum der Präsidentin zumindest mit seiner knappen Parlamentsmehrheit zum Gesetz des Landes machen. Schon einmal hatte die Regierung versucht, ein solches Gesetz zu beschließen. Im vergangenen Jahr zog man es nach vergleichbaren Massenprotesten aber zurück.

Präsidentin Surabischwili hat ihren Blick jedenfalls schon auf die Parlamentswahlen im kommenden Herbst gerichtet. Sie rief die Demonstrierenden dazu auf, den Protest weiter friedlich zu halten, und machte ihnen Mut: "Unser Schicksal wird nicht von diesem Gesetz bestimmt werden." Der wahre Kampf werde bei den kommenden Wahlen stattfinden. Und danach würden nicht nur dieses, sondern auch viele weitere Gesetze der vergangenen Regierungen wieder aufgehoben werden, so die Präsidentin.

Gut möglich also, dass die Eile der Regierung eben auch mit der Wahl zusammenhängt, damit das Gesetz bis dahin möglichst viel Anwendung finden könnte. Gepaart mit zu erwartenden Desinformationskampagnen und russischen Einflussversuchen dürfte es nicht nur eine wegweisende Wahl, sondern auch eine hart umkämpfte werden. Eine Ausgangslage, die für viele Ukrainerinnen und Ukrainer wie ein Déjà-vu wirkt. (Fabian Sommavilla, 2.5.2024)