Beethoven-Statue hängt in gelben Seilen in der Luft.
Was die genauen Umstände von Ludwig van Beethovens Tod angeht, ist manches noch in der Schwebe. Eine chemische Schwermetall-Analyse gibt zumindest eine Antwort.
APA/dpa/Rolf Vennenbernd

Der Geist Ludwig van Beethovens ist am 7. Mai besonders präsent. Vor genau 200 Jahren erklang seine neunte Sinfonie in Wien zum ersten Mal für die Öffentlichkeit. Noch immer macht die Verarbeitung der Ode an die Freude, eine Hymne an die Völkerverständigung, ergriffen. Für einige Liebhaber geht die Verehrung des Komponisten so weit, dass sie dorthin pilgern, wo Beethoven lebte und wirkte – und wo manch eine Reliquie ausgestellt wird. "Die Menschen lieben Beethoven so sehr, dass sie, wenn sie eine Haarlocke von ihm sehen, das Gefühl haben, dass sie in gewisser Weise in der physischen Gegenwart seines Körpers sind", sagt der emeritierte Musikhistoriker William Meredith im STANDARD-Gespräch.

Sinfonía nº 9 Beethoven Wiener Philarmoniker (Christian Thielemann). Der berühmte Teil des vierten Satzes beginnt etwa bei Minute 51.
Biel Cano

Nur wenige haben sich so intensiv mit Beethovens Locken beschäftigt wie Meredith, der Gründer des Ira F. Brilliant Center for Beethoven Studies der San José State University. Im Vorjahr erschien mit seiner Beteiligung eine umfangreiche Genomstudie, die mehr Licht in das Leben und Sterben des weltberühmten Musikgenies brachte. Beethoven selbst hatte das Bedürfnis, dass seine Krankheit – insbesondere wohl seine Schwerhörigkeit – dokumentiert werden solle. Dem kommen Fachleute von der Anatomie bis zur Molekularbiologie noch heute nach, kombiniert mit historischen Quellen: Sie fanden etwa heraus, dass Beethoven an Hepatitis B erkrankt war und genetische Risikofaktoren für Lebererkrankungen in sich trug. Das passt zur Todesursache Leberzirrhose (in Kombination mit Nierenversagen).

Ein großes Fragezeichen stand hingegen hinter dem Befund Bleivergiftung. Dieser könnte manch ein Leiden des Patienten erklären. Beethoven litt jahrzehntelang unter Magen-Darm-Beschwerden, in manchen Fällen werden sogar Hörprobleme mit einer hohen Dosis an Blei im Blut in Verbindung gebracht. Meredith selbst war lange Zeit skeptisch gegenüber Studien, die sehr hohe Bleiwerte in vermeintlichen Knochen und Haaren Beethovens nachwiesen – vor allem, weil unklar war, ob es sich um die echten Überreste des Komponisten handelte. Nachdem die Genomstudie fünf von acht historischen Haarproben als echt bewertet hatte, suchte er Experten für eine neue Analyse, die nun im Fachjournal Clinical Chemistry veröffentlicht wurde. Es ist die erste Arbeit, die auf Basis der Erkenntnisse von 2023 für echt befundene Proben auswählte und untersuchte.

Vorliebe für süße Weine

Demnach fanden sich in den beiden Strähnen vergleichbare Bleiwerte, die etwa auf das 65- bis 95-Fache des Referenzwertes kamen. Ein überraschend hoher Wert, der tatsächlich für eine Bleivergiftung spricht und auch die Nieren geschädigt haben könnte. Allerdings gehen der Erstautor der knappen Analyse, der Pathologe Nader Rifai von der Harvard Medical School in Boston (USA), und sein Team davon aus, dass die Vergiftung "eher chronisch als akut" war. "Akute Bleivergiftungen sorgen normalerweise für starke, plötzliche Symptome", sagt Rifai. Sie können zu Krampfanfällen und zu Koma führen, was für den Komponisten zumindest nicht dokumentiert worden sei.

Als plausibelste Bleiquelle gilt bei Beethoven Wein. Der gebürtige Rheinländer genoss ihn mit fortschreitendem Alter in fortschreitender Menge, und sogenannter Bleizucker wird seit mehr als 2000 Jahren Wein zugesetzt, um ihn zu süßen, was wohl schon damals zu Koliken und Magenkrämpfen führte, sagt Rifai. Der Komponist war bekannt für seine Vorliebe für süße Weine. Glas aus Bleikristall könnte den Effekt verstärkt haben. Beethovens Ärzte hielten fest, dass sie ihn zu gemäßigtem Konsum rieten, üblicherweise trank er eine Flasche Wein pro Tag.

Die Bleiwerte seien aber nicht so hoch gewesen, dass sie "den Mann hätten töten können", sagt Studienautor Kevin Brown, "sie trugen nur zu seinen Krankheiten bei, die im Laufe der Zeit in seinen Briefen gut dokumentiert wurden". Brown ist pensionierter Ingenieur und Geschäftsmann, er lieferte für die Untersuchung vor allem die Haarproben, die er für die American Beethoven Society erworben hatte. Die drei authentischen Locken in seinem Eigentum waren für ihn keine Reliquien, sondern Material für wissenschaftliche Studien. Eine davon wurde für die Genomstudie am Max-Planck-Institut für Geoanthropologie aufgebraucht, die anderen beiden für die neue Schwermetall-Analyse. Diese Haare seien nun also leider "völlig verschwunden".

Schriftstück mit zwei Haarbüscheln
Diese beiden Haarproben von Ludwig van Beethoven (die Halm-Thayer-Locke und die Bermann-Locke) wurden für die neue Analyse verbraucht.
Kevin Brown

Das ist das Problem der angewandten Methode, sagt der Wiener Gerichtsmediziner Christian Reiter, der nicht an der Studie beteiligt war, aber selbst seit langem an Beethovens Krankengeschichte forscht. Er bewertet die Analyse als "sehr aussagekräftig und hochinteressant", aber die Methode habe "den Nachteil, dass eine Haarprobe zur Gänze zu Brei zerkocht wird". So ließe sich außerdem der Durchschnittswert der Bleibelastung ermitteln, nicht aber der zeitliche Verlauf. Da ein Haupthaar durchschnittlich einen Zentimeter pro Monat wächst, ließen sich an einem zehn Zentimeter langen Haar also zehn Monate rekonstruieren. Eine der benutzten Proben, die sogenannte Halm-Thayer-Locke, wurde im Frühjahr 1826 abgeschnitten, rund ein Jahr vor Beethovens Tod mit 56 Jahren. Die zweite – die Bermann-Locke – lässt sich nur grob auf einen Zeitraum zwischen 1820 und 1827 datieren. Was unmittelbar vor seinem Tod geschah, lässt sich so kaum rekonstruieren und wäre freilich abhängig davon, wie nah am Kopf die Haare abgeschnitten wurden.

Reiter unternahm den Versuch anhand dreier anderer Haarproben. Mit einer Lasermethode maß er die Bleikonzentrationen quasi auf den Tag genau und veröffentlichte die kombinierten Daten 2023 im American Journal of Otolaryngology. Wie die Daten nach Haarprobe aufgeschlüsselt aussehen, lässt sich nicht ablesen. Das wäre aber besonders interessant, da eine der benutzten Proben, die Hiller-Locke, in der DNA-Studie als unecht eingestuft wurde und von einer Frau stammte.

Haarproben-Spalterei

Reiter vermutet, dass es sich dabei um eine Verunreinigung handelt. Doch dies wäre ungewöhnlich, da Haarproben vor den Analysen gründlich von Verschmutzungen befreit werden und da keine Spur männlicher DNA in dieser Probe entdeckt wurde, die ansonsten die meiste DNA mit den wenigsten Schäden geliefert hatte. "Um die Theorie von Professor Reiter mit diesen Erkenntnissen in Einklang zu bringen, müsste das von ihm behauptete Kontaminationsverhältnis ein wirklich beispielloses Ausmaß haben", hält Tristan Begg, Erstautor der Genomstudie im Fachblatt Current Biology, fest. "Die Hiller-Locke müsste der bizarrste und extremste Ausreißer aller Proben sein, die ich je analysiert habe." Eine weitere Probe aus Reiters Analyse dürfte aus demselben Haarbüschel stammen wie die als echt bestätigte Halm-Thayer-Locke. Aber dann wäre es wiederum überraschend, wenn ihre Bleisignatur tatsächlich zur Hiller-Locke passt, wie Reiter angibt.

Auch zu Beethovens Tod hat Gerichtsmediziner Reiter eine eher kontroverse Vermutung. Er nimmt an, dass Beethovens Bleivergiftung akuter Natur gewesen sein und von ärztlichen Therapien herrühren könnte. Das steht der These einer chronischen Bleivergiftung gegenüber, die nur einer von vier Faktoren war, welche indirekt zur Leberzirrhose und damit zum Tod führten – ergänzt von genetischer Veranlagung, der Hepatitis-B-Infektion und den schädlichen Folgen des Alkohols.

Die neue Analyse liefert laut Musikwissenschafter John Wilson von der Universität Wien eine nützliche Differenzierung: "Beethoven hatte anscheinend hohe Bleiwerte im Blut, hoch genug, um zeit seines Lebens signifikante Gesundheitsprobleme hervorzurufen, aber es war wohl nicht die Todesursache. Diese Differenzierung hat bisher gefehlt."

Arsen und Quecksilber

Interessant ist zudem ein Vergleich von Beethovens Bleibelastung mit Zeitgenossinnen und Zeitgenossen. Laut einer Studie aus dem Jahr 2007, an der Reiter beteiligt war, wiesen Haar- und Knochenproben aus dem 18. Jahrhundert erhöhte Bleikonzentrationen auf, die etwa das Achtfache heutiger Werte betragen. "Es gab eine gewisse Hintergrundbelastung, die dem sorglosen Umgang mit Schwermetallen zur damaligen Zeit geschuldet war, weil sie etwa als Arzneimittel verwendet wurden", sagt der Gerichtsmediziner. Dies sei nicht so hoch gewesen, dass man davon erkrankte. Ähnliches gilt übrigens für Quecksilber und Arsen. Auch hier finden sich in historischen Knochen erhöhte Werte. In der aktuellen Untersuchung wurden sie ebenfalls bei Beethoven nachgewiesen. Sie lagen beim Vier- beziehungsweise Dreizehnfachen der Referenzwerte, dürften damit aber keine unmittelbare Gesundheitsgefahr dargestellt haben.

Trug die hohe Bleibelastung außerdem sukzessive zu Beethovens Hörschäden bei? "Das ist die Eine-Million-Dollar-Frage", sagt der Pathologe und Chemiker Rifai. Solche Bleikonzentration werden mitunter mit Schwerhörigkeit in Verbindung gebracht. Dies habe sich etwa bei Kindern in Ecuador gezeigt, die mitunter zum Glasieren von Ziegeln Bleibatterien benutzen. Die Studienlage ist aber nicht eindeutig. Und ob das die Ursache für Beethovens Hörverlust war, ließe sich derzeit nicht beantworten. Dafür müsse man auch die Bleibelastung im Rheinland zu Beethovens Lebzeiten erforschen, ergänzt Wilson, zumal der Musiker wohl Ende des 18. Jahrhunderts an ersten akustischen Symptomen litt und bereits vor seinem längerfristigen Aufenthalt in Wien Magen-Darm-Probleme hatte.

Weitere Informationen könnten Schädelknochen liefern, die derzeit am renommierten Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig untersucht werden. Sie sollen ebenfalls von Ludwig van Beethoven stammen. Doch es stellt sich als schwierig heraus, Erbgut aus den Knochen zu gewinnen, sodass ihre Authentizität noch nicht per DNA-Test bestätigt wurde.

Obwohl er zunächst nicht an eine Bleivergiftung glaubte, war das Ergebnis der neuen Analyse für Beethoven-Forscher Will Meredith eine Erleichterung. Immerhin gibt es zehn Millionen Treffer, wenn man "Blei" und "Beethoven" in englischsprachiger Version in Suchmaschinen eingibt, und "es ist sehr schwierig, das Internet zu korrigieren". Nun sei mit Proben, die tatsächlich von Beethovens Haupt stammen, gezeigt worden, dass er eine chronische Bleivergiftung hatte. Zudem sei die Studie ein wichtiger Schritt, um die Frage nach Beethovens genauer Todesursache ausführlicher zu beantworten. "Und sie hilft uns, seinen sehr schmerzhaften Tod zu verstehen." (Julia Sica, 7.5.2024)