Pablo Trincias Podcasts sind anders. Sie kommentieren wahre Verbrechen, ohne zu verurteilen. "Show, don’t tell", nennt er das. Obwohl Podcast doch Telling ist. Im Gegensatz zu anderen versucht er, vor allem die Gefühle hervorzuheben. "Emotionen sind Teil der Geschichten." Wenn etwas Schlimmes passiert, dann durchleben die Betroffenen mehrere Gemütszustände. Der Erzähler spricht sie an und aus. Nur so können sich die Zuhörer und Zuhörerinnen damit identifizieren.

True Crime mit Gefühl: Podcaststar Pablo Trincia beim Journalismusfestival in Perugia 2024.
True Crime mit Gefühl: Podcaststar Pablo Trincia beim Journalismusfestival in Perugia 2024.
IJF 2024 Francesco Cuoccio

"Du kannst nicht gewisse Sachen ausschließen, nur weil sie unbequem sind oder du dir wünscht, die Geschichte wäre anders verlaufen", erklärt Trincia (46). Vielleicht ist genau das der springende Punkt seiner Podcasts. Alle Fakten objektiv zu erzählen, sei die Pflicht. „Objektivität bedeutet die Geschichte so zu akzeptieren, wie sie ist, mit all ihren Nuancen, Punkt.“

Podcast wie Porno

"Wir wollen das Böse sehen, ohne es selbst zu tun", sagt der Podcast-Autor. Der Mechanismus beim Hören von True Crime ist ähnlich wie beim Schauen von Pornografie, mutmaßt er. Man wolle nicht Teil der Situation sein, sondern nur beobachten. Und vor allem hoffe man, dass das nie passiert, und wenn doch, dann im besten Fall den anderen. "Auf gewisse Weise erinnert es uns daran, dass unser Leben eigentlich doch nicht so beschissen ist", sagt Trincia.

Warum bearbeitet er solche Geschichten, die er Dramen nennt? Sie verraten ihm, wie Menschen auf ein bestimmtes Ereignis reagieren, sagt er. "Sie zeigen dir die menschliche Natur."

Ein neuer Ton

"Es war einmal …", so entsteht laut Pablo Trincia eine Geschichte. Lässig gekleidet sitzt er in einem prunkvollen Palazzo beim Internationalen Journalismus Festival (IJF) in Perugia und spricht auf dem Podium über seine Arbeit. Man könne auf diese Art jede Geschichte beginnen, sogar über eine Wasserflasche. Diese drei Worte am Anfang seien die geheime Zutat.

Pablo Trincia begeistert Italien seit 2017, als sein Podcast "Veleno" in Zusammenarbeit mit der Tageszeitung La Repubblica erschien. Es ging darin um einen längst vergessenen Kriminalfall aus den späten 90er Jahren, in denen 16 Kinder ihren Familien weggenommen wurden. Ein Kind hatte ausgesagt, dass es eine satanische Sekte gebe, in der Kinder sexuell missbraucht wurden. Trincias Auseinandersetzung mit dem Fall führte dazu, dass neue Informationen ans Tageslicht kamen. Tatsächlich ging es bei dem Fall nämlich um die Manipulation des Gedächtnisses. Das war der Auftakt seiner Karriere in der Welt der Podcasts.

"Mich fasziniert an solchen Geschichten, die in Vergessenheit geraten sind, dass du aus ihnen etwas Neues herausholen kannst", erklärt er. Man werde dabei Teil der Geschichte, zu einer Figur im Geschehen. Das fasziniere ihn sehr.

Geboren ist der 46-jährige Mailänder in Leipzig. Seine Mutter stammt aus dem Iran, sein Vater aus Italien. An Deutschland hat er nur sehr wenige Erinnerungen, war er doch vier Jahre alt, als die Familie nach Mailand umzog. "Aber wenn ich Deutsch höre, fühle ich mich sofort in meine Kindheit zurückversetzt. Ich fühle mich mit der Sprache sehr verbunden", sagt er.

Er war, sagt er, ein sehr neugieriges und aufgeschlossenes Kind, das viele Fragen stellte. Als Einzelkind habe er sich viel selbst beschäftigt, unter anderem auch hiermit: "Ich hatte einen Kassettenrekorder, auf dem ich mir Märchen anhörte. Auf gewisse Weise wurde damals mein Interesse an Podcasts geweckt."

Ständig in Bewegung

Nach dem Abschluss an der London School of Oriental Studies kehrte er nach Mailand zurück und begann für Zeitungen und Magazine wie La Stampa, L’Espresso, Berliner Kurier, Die Welt, The Independent und Vanity Fair zu schreiben. Aber es erfüllte ihn nicht, auch weil der Print ihm wenig Raum für Veränderungen oder berufliche Durchbrüche ließ. "Ich stehe nie still. Ich versuche immer etwas Neues zu finden und ich halte das für eine bereichernde Erfahrung. Ich möchte nicht mein ganzes Leben damit verbringen, dasselbe zu machen."

Und dann le Iene. Dieses Fernseh-Programm ist für ihren sehr direkten, angriffigen und teils kontroversen Ton bekannt. Trincia wollte eigentlich anfänglich nicht ins Fernsehen. "Aber dann habe ich darin eine echt faszinierende Welt entdeckt, zugleich sehr herausfordernd, weil man sehr viel machen muss". In dieser Welt blieb er von 2009 bis 2014. Was er dort lernte, half ihm in der nächsten: "Es war quasi ein natürlicher Übergang in die Welt der Podcasts."

Publikumsliebling, im wahrsten Sinn des Wortes

Als das Panel mit Pablo Trincia beim Journalismusfestival um 22 Uhr endet, trudelt das Publikum langsam aus dem Saal hinaus. Doch eine kleine Gruppe Frauen bleibt hartnäckig vor der Tür stehen, durch die Pablo Trincia gerade hinausgegangen ist. Sie wollen ein Selfie mit ihm oder eine Unterschrift in ihrem Buch. Ich stehe mitten unter ihnen. Wir warten 20 Minuten, dann kommt Trincia. Die Frauen sind sichtlich begeistert und ihre Körpersprache lässt erahnen, dass sie ihn doch sehr attraktiv finden.

Als ich frage, ob er am darauffolgenden Tag Zeit für ein Interview hätte, antwortet er betroffen: "Oh nein, ich fahre morgen Früh schon wieder weiter! Aber ich gebe dir meine Handynummer." Um sie den Fans nicht zu verraten, diktiert er sie auf Deutsch. Eine von ihnen versucht, einen Blick auf mein Handy zu erhaschen. "Schreib mir", sagt er noch, bevor er sich verabschiedet.

Trincia ist ein ruhiger Mensch, er wirkt wie jemand, der sich selten aus der Fassung bringen lässt. Als ich erzähle, dass Italienisch nicht meine Muttersprache ist, bietet er mir sofort an, das Interview auf Englisch zu führen. Seinem Vater, der beim Videointerview kurz ins Bild kommt, bietet er ein Glas Wasser an, stellt mich vor und spricht dabei Deutsch. Sie fahren jedes Jahr nach Kärnten, Villach, auf Urlaub.

Wer weiß, was kommt

Was hat Trincia noch vor, was ist die nächste Welt? Er will weiter Inhalte produzieren, lässt sich ein weites Feld offen. "Aber nicht nur im auditiven Bereich, ich möchte auch neue Kommunikationsformen ausprobieren, die in den nächsten Jahren aufkommen werden". Auch Bücher oder Drehbücher schreiben will er versuchen. Er bleibt in Bewegung. (Lara Marmsoler, 28.4.2024)