Die Bankomatkarte ist der Schlüssel in den Supermarkt. Verkäufer und Kassierer braucht es für den Einkauf nicht. Bis auf Alkohol, Tabak, Lottoscheine und Feinkost offeriert das Lebensmittelgeschäft das gesamte Sortiment. Kameraüberwachung schreckt Langfinger ab. Bezahlt wird nach dem Einscannen der Ware an der Selbstbedienungskasse.

Neue Technologien könnten die Spielregeln im Lebensmittelhandel für kleine Gemeinden verändern.
IMAGO/Wolfgang Maria Weber

Für Hannes Wuchterl, Chef von Nah & Frisch, bringen hybride Lebensmittelgeschäfte einen Wendepunkt für die Nahversorgung auf dem Land. 22 Märkte seiner Handelsgruppe lassen sich bereits temporär ohne Personal betreiben. Bis Jahresende sollen es 50 sein.

Seit Jahren geben Greißler in Österreich im Schatten der Expansion großer Diskonter und Handelskonzerne reihenweise auf. Die Not an Arbeitskräften zwang viele dazu, ihre Öffnungszeiten zu reduzieren. Hohe Energiekosten und Zinsen ließen die Erträge schmelzen. Im Wettlauf um niedrige Preise stolperten Einzelkämpfer über fehlende Einkaufsmacht. Gestiegene Kosten auf ein Netz an Filialen umzulegen ist ihnen verwehrt.

Spar, Rewe, Hofer und Lidl dominieren 90 Prozent des Lebensmittelhandels. Dementsprechend massiv sei der Druck auf selbstständige Kaufleute, sagt Wuchterl. Die Zahl an Nah-&-Frisch-Märkten sank allein in den vergangenen zwei Jahren um 35 auf 360 Standorte. "Neue Technologien verändern jedoch die Spielregeln für Gemeinden. Sie macht Nahversorgung im ländlichen Raum wieder finanzierbar."

Mehr Umsatz, weniger Kosten

Zu den Pionieren zählt Gaflenz im Mostviertel. Seit dem Vorjahr kaufen Oberösterreicher in dem von einer Bürgergenossenschaft ins Leben gerufenen Geschäft der Marktgemeinde vormittags mit Bedienung ein. Nachmittags, abends und an Sonntagvormittagen, wenn der Zulauf an Kunden sinkt, verwandelt sich dieses in einen autonomen Shop ohne Personal.

Schule macht das hybride System auch in der 1000-Seelen-Gemeinde Reinsberg im Bezirk Scheibbs, die ihren Nahversorger über einen Verein und durch tatkräftiges Anpacken der gesamten Bevölkerung auf neue Beine stellte. Über die Mittagszeit, abends und sonntags wird in Selbstbedienung eingekauft. Nah & Frisch versorgt beide Standorte mit Produkten des täglichen Bedarfs.

55 Stunden halten selbstständige Kaufleute in der Woche im Schnitt offen, rechnet Wuchterl vor. Personell kaum zu stemmen sei für viele der Samstagnachmittag. Kombiniert mit Selbstbedienung ließe sich jedoch fast der gesamte Rahmen der erlaubten Öffnungszeiten von 72 Stunden ausschöpfen. Tourismusregionen erlauben teilweise auch 76 Stunden und Sonntagseinkäufe.

Nah & Frisch in Reinsberg: Über die Mittagszeit, abends und sonntags wird im Selbstbedienungsmodus eingekauft.
Gerald Prüller

Die Energiekosten blieben annähernd gleich, gekühlt werden müssen Lebensmittel ohnehin durchgehend. Die Umsätze aber stiegen in hybriden Supermärkten bei stabilen bzw. sinkenden Personalkosten zwischen 15 und 20 Prozent, sagt Wuchterl. Er sieht einen Schritt hin zu mehr Chancengleichheit für Greißler mit der mächtigen Konkurrenz an Kreisverkehren und auf einst grünen Wiesen.

In Bewegung ist freilich auch dort viel. Rewe etwa testet in Deutschland sogenannte Pick-and-go-Shops auf bis zu 600 Quadratmetern. Kameras und Gewichtssensoren erfassen ausgewählte Produkte im Einkaufskorb. Abgerechnet wird automatisch, die Rechnung erhalten Kunden via App.

In Österreich liefert Unimarkt als Gesellschafter von Nah & Frisch selbstständigen Kaufleuten Know-how rund um Zutrittssysteme und Selfscanning. Die Supermarktkette schloss ihre Selbstbedienungsboxen, nachdem der Verfassungsgerichtshof dem Einkauf rund um die Uhr darin im Vorjahr einen Riegel vorschob. Die Erfahrungen mit den Boxen fließen in hybride Modelle ein.

Größte Hürde für die Umstellung sind Investitionen von 50.000 bis 70.000 Euro je Standort. Die Liquidität der meisten Nahversorger ist angespannt, vor allem ältere Kaufleute tun sich den Umbau ungern an. Betagtere Kundschaft scheue hingegen nicht davor zurück, ist sich Wuchterl sicher. Letztlich würden die Vorteile überwiegen: mehr Service und Umsatz sowie eine geringere Abhängigkeit von verfügbarem Personal.

Hinter Schloss und Riegel

Sorge, dass Diebstähle ausufern könnten, hat er nicht. Bisherige Erfahrungen zeigten, dass diese in autonomen Geschäften geringer seien als bei Bedienung. Schwarze Schafe unter den Kunden fühlten sich offenbar von Kameras genauer beobachtet als von Verkäufern. Worüber im Einzelhandel niemals offen geredet wird: Für einen Teil des Warenschwunds machen Arbeitgeber vielerorts das Personal verantwortlich.

Hinter Schloss und Riegel kommt in der Zeit ohne Personal die Feinkost. Weggesperrt werden muss auch sämtlicher Alkohol, um unerlaubten Verkauf an Jugendliche ohne Gesichtskontrolle zu verhindern. Dieser zählt freilich zu den wichtigsten Umsatzbringern. Der Verzicht darauf erschwert die Kalkulation. Für Wuchterl ist dies ein wesentlicher Grund dafür, am Korsett der Ladenöffnungszeiten in Österreich nicht zu rütteln.

Kunden, die es nach 21 Uhr in den Lebensmittelhandel ziehe, deckten sich in der Regel vor allem mit Bier und Wein ein. Beides ist in Selbstbedienungsgeschäften hinter Gittern. Entsprechend gering sei daher der wirtschaftliche Anreiz für Kaufleute, diese bis spät in die Nacht in Betrieb zu halten. Gute Geschäfte machen Handelskonzerne damit ohnehin in ihren Tankstellenshops, die an keine Sperrstunde gebunden sind.

Können hybride Supermärkte die Nahversorgung landauf, landab retten? Illusionen geben sich Kaufleute nicht hin. Trotz aller Liebeserklärungen der Bevölkerung an Greißler reiche oft eine Preisdifferenz von wenigen Cent, um statt im Dorf beim Diskonter am Rande der nächsten Bezirksstadt zu kaufen. Dass ein eigener Kindergarten im Ort Geld koste, sei allen klar, zieht Wuchterl Bilanz. Er hätte diesen Maßstab gern auch bei Nahversorgern angesetzt. "Beides bedeutet Lebensqualität." (Verena Kainrath, 3.5.2024)

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