Ubuntu lässt die freie Wahl: Wer immer das Neueste haben will, kann alle sechs Monate zu einer neuen Version der Linux-Distribution greifen. Wer lieber auf eine stabilere Basis setzen will, für den gibt es alle zwei Jahre eine Ausgabe mit Langzeit-Support (LTS). Die Zahlen sprechen dabei eine deutliche Sprache: Laut offiziellen Statistiken von Softwarehersteller Canonical entscheiden sich 95 Prozent der Nutzerinnen und Nutzer für die LTS-Variante.

Ubuntu 24.04
Ubuntu 24.04 ist da, die Katzengang ist schon ziemlich gespannt.
Proschofsky / STANDARD

Rechnet man noch dazu, dass Ubuntu bis heute das wohl bekannteste Linux-Desktop-System ist und dass so manch andere Distribution auf Ubuntu basiert, wird schnell klar: Den Ubuntu-LTS-Veröffentlichungen kommt in der Linux-Welt besondere Relevanz zu. Gut also, dass es genau davon nun eine neue gibt.

"Noble Numbat" gibt seine Premiere

Ubuntu 24.04 ist da, und "Noble Numbat" – wie der Codename der neuen Version lautet – bringt zumindest für jene, die von der vorangegangenen LTS-Version aktualisieren, eine große Menge an Neuerungen. Eine der sichtbarsten davon zeigt sich bereits bei der Neueinrichtung des Systems. Es gibt nämlich einen komplett neuen Installer, der auf Googles UI-Toolkit Flutter basiert.

Jene, die den sechsmonatigen Ubuntu-Releases verfolgen, werden diesen schon kennen. In den vergangenen Monaten hat Canonical aber noch mal einiges an Feinschliff vorgenommen. So gibt es etwa einige neue Grafiken, die den Ablauf begleiten. Generell wirkt der Installer durchdacht und ist optisch gut gelungen. Vor allem aber ist er einfach zu nutzen, eine Installation mit wenigen Klicks erledigt – aber das ist heutzutage natürlich bei vielen Linux-Distributionen der Fall.

Ubuntu 24.04
Der Ubuntu-Installer ist exzellent gemacht.
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Positiv fällt am neuen Ubuntu-Installer des weiteren auf, dass schon zu Beginn diverse Einstellungen zur Barrierefreiheit angeboten werden. Zudem können Installationsvorgänge nun – wie bei anderen Distributionen – mithilfe der passenden Beschreibung im Yaml-Format einfach automatisiert werden. Das ist gerade für Firmen wichtig, die ihre Rechner mit fixen Einstellungen schnell einrichten können müssen.

Wo sind all die Programme geblieben?

Beim ersten Start eines neu eingerichteten Ubuntu-Systems fällt dann etwas ganz anderes auf: Da fehlt doch was? Genauer gesagt sogar eine ganze Menge. Ubuntu hat die Liebe zum Minimalismus entdeckt und installiert von Haus aus nur noch ein sehr kleines Set an Programmen. Neben dem Browser Firefox zählen dazu lediglich einfache Desktop-Tools wie Dateimanager, Bildanzeiger, Uhr oder auch Texteditor. Wer hingegen nach anderen gewohnten Programmen wie Libreoffice, Rhythmbox oder Shotwell sucht, sucht zunächst vergeblich.

Außer man hat beim Installer gut aufgepasst: Dort findet sich nämlich eine Option, die es ermöglicht, eine als "erweitert" bezeichnete Softwareauswahl zu wählen. Wer das tut, der bekommt dann wieder – fast – all die gewohnten Programme, die von früheren Ubuntu-Generationen gewohnt sind. Fix gestrichen wurden allerdings all die Spiele aus der Gnome-Games-Sammlung, wer diese haben will, kann sie aber natürlich manuell nachinstallieren.

Zudem gab es den einen oder anderen Positionswechsel bei den Default-Programmen. Zuletzt wurde etwa die Webcam-App Cheese, die nicht mehr aktiv gewartet wird, durch das simplere Snapshot ersetzt. Ansonsten ist die Softwareausstattung aktuell, es gibt also Libreoffice 24.2 und Firefox 124 – der beim ersten Update dann gleich auf die neueste Version 125 aktualisiert wird.

Ubuntu 24.04
Der Default-Install ist extrem schlank, dafür gibt es eine irritierende Menge an Softwareverwaltungstools.
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Ubuntu 24.04
Wer die "erweiterte" Programmauswahl wählt, bekommt erheblich mehr Programme vorinstalliert.
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Ab in die Untiefen von Snap

Doch was soll das eigentlich? Also wieso nimmt Canonical eine solche große Änderung an der Softwareaustattung vor? Das hat mit einem Begriff zu tun, den viele mit Linux-Bezug schon einmal gehört haben dürften: Snap. Dahinter verbirgt sich Canonicals neues Paketformat, das schrittweise die klassischen Debian-Pakete ablösen soll. Dieses ist nicht unumstritten – vor allem, weil praktisch alle anderen Distributionen den Konkurrenten Flatpak favorisieren – soll aber die Programmauslieferung unter Linux modernisieren.

In aller gebotenen Kürze: Snaps sind distributionsübergreifend, können also auch auf anderen Distributionen genutzt werden, zudem haben sie diverse Sicherheitsvorteile. Vor allem aber wird die Wartung mancher Snaps von den jeweiligen Softwareprojekten selbst übernommen. LibreOffice liefert etwa sein eigenes Snap, Firefox auch. Damit entfällt für die Distribution einiges an Wartungsaufwand. Zudem gibt es via Snap immer die aktuellste Version der jeweiligen Programme, egal welche Ubuntu-Version darunter läuft. Also zumindest theoretisch – aber dazu später noch mehr.

Debian/Ubuntu-Kern hier, Snap-App-Welt da

Die Idee von Canonical ist also: Es gibt ein klassisches Kernsystem, das nur das Notwendigste mit sich bringt, während die Programme dann sauber getrennt als Snaps installiert werden. Ein Fokus, den man auch mit einigem Nachdruck vorantreibt: Gibt es doch in Ubuntu 24.04 eine zumindest für LTS-User komplett neue Softwarezentrale, das App Center. Über diese lassen sich aber ausschließlich Snaps installieren, wer klassische Pakete einrichten will, muss dafür zur Kommandozeile greifen.

Das muss man nicht mögen, ist aber zumindest konsequent. Und ganz ehrlich, für die breite Masse macht all das wenig Unterschied, die meisten können also die letzten drei Absätze und all die Details zu Snap auch getrost gleich wieder vergessen. Denn im Endeffekt bleibt das ein technisches Detail. Am gewohnten Ablauf ändert das wenig: Es gibt mehr oder weniger vorinstallierte Programme, der Rest wird über die Softwarezentrale dargeboten. Erfreulich ist außerdem, dass Ubuntu hilfreich zur Seite steht und im App Center gut sichtbar eine eigene Kategorie zusammengestellt hat, in der die von früheren Ubuntu-Versionen gewohnten Programme versammelt werden.

Ubuntu 24.04
Das neue App Center von Ubuntu hilft bei der schnellen Nachinstallationen gewohnter Apps – allerdings nur als Snaps.
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Eine mehr als zweifelhafte Umsetzung

Klingt alles gut, das Problem ist aber: Die Umsetzung dieses Konzepts ist verblüffend inkonsequent und auch voll kleiner – und ziemlich nerviger – Fehler. Dazu gehört die oftmals schlechte Wartung der Programme im Snap Store. Wer etwa der Ubuntu-Empfehlung folgt und den Gnome Kalender aus dem App Center installiert, bekommt dabei derzeit die Version 44.1. Die ist rund ein Jahr alt und wird schon nicht mehr aktiv gewartet, aktuell ist 46.1. Ähnlich sieht es bei Shotwell und vielen anderen Programmen aus der Gnome-Welt aus.

Besonders irritierend ist dabei, dass diese Empfehlungen auch bei Systemen mit der erweiterten Programmauswahl angezeigt werden. Warum sich die Nutzerinnen und Nutzer noch mal die gleichen Programme, die sie ohnehin schon auf dem System haben, installieren sollten, bleibt unklar. Zumal – Achtung Ironie – die vorinstallierten Programme in der "erweiterten Auswahl" oft aktueller sind, da sie größtenteils noch aus klassischen Deb-Paketen gespeist werden statt aus Snaps.

Eine Wahl, die aber wieder ihre eigenen Nachteile hat. Wir erinnern uns: Das App Center verwaltet nur Snaps. Das führt jetzt dazu, dass sich die meisten der bei einer erweiterten Installation eingerichteten Programme nur mehr über die Kommandozeile entfernen lassen. Ein grafisches Tool dafür gibt es schlicht nicht mehr.

Ein veritabler Wildwuchs

Das, obwohl es in der Ubuntu 24.04 wahrlich keinen Mangel an Tools rund um das Thema Softwareverwaltung gibt. Da wäre zunächst die Softwareaktualisierung, die sich ausschließlich um die Wartung von klassischen Paketen kümmert. Dann gibt es das App Center, über das die Snaps verwaltet werden. Dazu kommen dann noch getrennte Tools für Firmware-Updates, zusätzliche Treiber und ein Einstellungsprogramm für Softwarequellen. Das ist ein ehrlich gesagt nur mehr schwer zu durchschauender Wildwuchs, der in Wirklichkeit an einem Ort zusammengeführt gehört.

Zudem ist den Canonical-Entwicklern beim App Center ein verblüffend banaler Logikfehler unterlaufen. Dazu muss man wissen, dass das App Center selbst ein Snap-Paket ist. Also werden auch im App Center selbst Updates für das App Center – intern übrigens Snap Store genannt – angeboten. Wenig überraschend geht das nicht, das Programm wirft eine Fehlermeldung, weil es sich sonst selbst abschießen würde. Zum Glück gibt es automatische Updates, die das im Hintergrund lösen können. Irritierend ist trotzdem, dass das bisher offenbar noch niemandem aufgefallen ist.

Ubuntu 24.04
Nicht zu Ende gedacht: Der Snap Store versagt dabei, sich selbst zu aktualisieren.
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Snap ist vielleicht die Zukunft, aber eine ziemlich schlechte Gegenwart

Was bleibt, ist die simple Erkenntnis: Wenn Canonical es ernst mit den Snaps meint, dann muss auch deren Wartung besser werden und zudem sämtliche Softwaretools der Distribution vereinheitlichen. Solange man über das neue App Center ältere und schlechter gewartete Programme als früher bekommt, solange all das so verwirrend und mit Fehlern behaftet ist, ist dieser Wechsel kein Fort-, sondern ein Rückschritt.

Der Weg ist aber vorgegeben, Snap ist bei Ubuntu die Zukunft, daran gibt es nichts zu rütteln. Schon jetzt liefert man neben eigenen Tools auch Firefox und Thunderbird als Snap-Pakete aus, die von Mozilla selbst betreut werden. Die Wartung der klassischen Deb-Pakete hat Ubuntu hingegen eingestellt. Es ist davon auszugehen, dass in den nächsten Versionen noch einige andere Programme diesen Weg beschreiten werden.

Um das auch noch zu klären: Wer sich jetzt die naheliegende Frage stellt, warum Ubuntu nicht einfach Flatpaks verwendet und mit anderen Distributionen zusammenarbeitet: Das hat – auch wenn es durchaus relevante technische Unterschiede gibt – vor allem kommerzielle Gründe. Canonical hat den zugehörigen App Store fest in eigener Hand und würde gerne über diesen Geld machen. Dieser Store ist übrigens auch nicht Open Source.

Endlich am Desktop

Kommen wir wieder zu erfreulicherem: Der Desktop von Ubuntu 24.04 LTS wird einmal mehr von Gnome bestritten, konkret dem aktuellen Gnome 46. Dieses bringt in seiner neuesten Version nur ein paar, dafür aber durchaus nette Neuerungen mit sich. Dazu gehören etwa eine deutlich verbesserte Suchfunktion im Dateimanager sowie bessere Benachrichtigungen und eine fix integrierte Remote-Login-Anbindung.

Ubuntu 24.04
Die Aktivitätsübersicht des Gnome-Desktops unter Ubuntu 24.04.
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Wer hingegen von der letzten LTS-Version kommt – also Ubuntu 22.04 –, der bekommt natürlich erheblich mehr Neues geboten, wurden in der Zwischenzeit doch schon mehrere Gnome-Updates veröffentlicht. Dazu gehört dann etwa eine grundlegende Überarbeitung des Dateimanagers, der auch an vielen Orten deutlich flotter geworden ist. Zudem gibt es links oben nun eine dynamische Anzeige der gerade offenen Arbeitsplätze, sowie viele neue Schnelleinstellungen, erweitertes Window Tilling und zahlreiche Performance-Optimierung. Und von den enthaltenen Gnome-Programmen wurde überhaupt ein erheblicher Teil modernisiert und grafisch neu gestaltet

Die Basis

Ubuntu 24.04 setzt auf dem aktuellen Linux Kernel 6.8 auf, was eine gute Abdeckung moderner Hardware garantiert. Für Soundaufgaben wird mittlerweile Pipewire statt Pulseaudio genutzt, was ein signifikanter Gewinn für den Linux-Desktop im Allgemeinen ist. Ist die neue Lösung doch deutlich effizienter und auch für Profiaufgaben geeignet. Ebenfalls neu für LTS-User ist, dass nun Wireguard-Verbindungen direkt über die grafische Oberfläche eingerichtet werden können.

Die neue Version verspricht zudem eine längere Akkulaufzeit auf Laptops, da das Energiemanagement via Power Profile Daemon verbessert wurde. Ebenfalls ganz frisch hinzugekommen ist die Unterstützung von Bildern im HEIF-Format. Canonical selbst streicht noch die zahlreichen strukturellen Sicherheitsverbesserungen heraus, die seit der vorangegangenen LTS-Ausgabe passiert sind. Das geht vom Härten des Systems über die Minimierung der Angriffsfläche bis zum Streichen der Unterstützung für veraltete TLS-Versionen zur Transportverschlüsselung von Daten.

Download

Ubuntu 24.04 steht ab sofort von der Seite des Softwareherstellers kostenlos zum Download. Das dort erhältliche Image kann dann auf einen USB-Stick gespielt werden, von dem das System gefahrlos ausprobiert werden kann. Bei Gefallen steht dort dann auch das Installationsprogramm für eine fixe Einrichtung zur Verfügung.

Ubuntu 24.04
Ready to install! Ready to install?
Proschofsky / STANDARD

Wer schon ein Ubuntu-System hat, kann manuell sofort auf die neue Version updaten. Angeboten wird der große Versionssprung aber erst nach und nach, bei jenen, die von Ubuntu 22.04 LTS kommen, soll dies überhaupt erst mit dem nächsten größeren Bugfix-Update im Juni erfolgen. Einen großen Zeitdruck in diese Richtung gibt es ohnehin nicht, immerhin werden LTS-Versionen fünf Jahre lang mit Updates versorgt. Wer sich für ein Ubuntu-Pro-Abo entscheiden kann, bekommt sogar zehn Jahre lang zumindest die wichtigsten Fehlerbereinigungen. Dieses ist für Privatpersonen auf bis zu fünf Rechnern kostenlos, Firmen müssen hingegen zahlen.

Und damit auch das noch klargestellt wird: Bei einem Update von älteren Versionen bleiben natürlich die bisherigen Programme erhalten, es wird also auch nicht zwangsminimiert. Einzig wer Firefox und Thunderbird noch als klassisches Deb-Paket nutzt, wird automatisch auf die Snap-Version umgestellt. Aber auch davon sollten die meisten nichts merken.

Fazit

Allen Ärgernissen über die noch immer bruchstückhaft wirkenden Umbauten beim Paketmanagement zum Trotz: Ubuntu 24.04 präsentiert sich im Großen und Ganzen als ein durchaus gelungenes Desktop-System. Gerade im Vergleich zur letzten LTS-Ausgabe sind eine ganze Menge an erfreulichen Verbesserungen hinzugekommen. Und das angesprochene Wirrwarr rund um die Softwareverwaltung wird der Hersteller wohl auch bald einmal in den Griff bekommen. Hoffentlich. (Andreas Proschofsky, 25.4.2024)