Max de Crinis
Max de Crinis als Professor an der Charité in Berlin mit der Hakenkreuz-Anstecknadel. Der aus der Steiermark stammende Psychiater spielte eine maßgebliche Rolle im "Euthanasie"-Programm der Nationalsozialisten.
Bildarchiv des Instituts für Geschichte der Medizin und Ethik in der Medizin Charité – Universitätsmedizin Berlin

Wenige Jahre nach dem Zusammenbruch des Dritten Reichs werden in der Nervenklinik der Charité in Ostberlin einige Aktenbündel gefunden. Die Akten betreffen Professor Max de Crinis, der bis 1945 der Leiter dieser Klinik war. Der neue Klinikdirektor inspiziert die Bündel oberflächlich und lässt sie sodann verbrennen, "weil doch jetzt so viel über Deutschland gestänkert wird". Die Akten hätten wichtige Aufschlüsse über den Mann geben können, der als "graue Eminenz" der berüchtigten Nazi-Kindermorde gilt und es gut verstand, seine Spuren zu verwischen.

Maximinus Friedrich Alexander de Crinis – so sein voller Name – wurde 1889 in Ehrenhausen bei Graz geboren. Sein Vater war Arzt, und der junge Max entschloss sich, in seinen Fußstapfen zu folgen. Er studierte Medizin in Graz und Innsbruck und promovierte 1912 in Graz, wo er anschließend auch eine Ausbildung als Psychiater absolvierte. Bereits als Medizinstudent tat sich de Crinis als deutschnationaler Antisemit hervor. In Graz wurde er Mitglied des Corps Joannea, einer schlagenden Verbindung, die spätestens ab 1908 nur Mitglieder "arischer" Abstammung aufnahm. Während des Ersten Weltkriegs arbeitete de Crinis dann als psychiatrischer Sachverständiger am Militärgericht in Graz. Sein Forschungsschwerpunkt waren Kriegsneurosen.

Rasche Karrieren in Graz und Köln

An der Uni Graz war der ehrgeizige Mediziner aus der steirischen Provinz rasch erfolgreich: 1918 wurde er zum Oberarzt befördert, 1920 habilitierte er sich, 1924 wurde er zum außerordentlichen Professor für Psychiatrie und Neuropathologie ernannt, und 1927 zum Ordinarius. Daneben engagierte sich de Crinis politisch in der deutschnationalen, antimarxistischen und antisemitischen Großdeutschen Volkspartei, die 1933 mit der österreichischen NSDAP fusionierte. De Crinis' Aktivitäten für die Nazis (Parteimitglied seit 1931) führten bereits am 22. Mai 1934 – also noch vor dem Juli-Putsch – zu seiner Verhaftung, weshalb er kurz darauf über Jugoslawien nach Deutschland floh.

Im nationalsozialistischen Deutschland ging de Crinis' Aufstieg rasant weiter. Bereits im Oktober 1934 wurde er zum Ordinarius für Psychiatrie und Neurologie in Köln ernannt, was ihm zugleich auch die deutsche Reichsangehörigkeit einbrachte. Die Kölner Fakultät hatte sich zwar wegen mangelnder fachlicher Qualifikation gegen de Crinis' Ernennung ausgesprochen. Der zuständige Ministerialrat setzte sich jedoch darüber hinweg, indem er argumentierte, de Crinis sei ein guter Nationalsozialist.

In der 1935 gegründeten Gesellschaft Deutscher Neurologen und Psychiater fungierte de Crinis als Beirat. Zudem war er für das Erbgesundheitsgericht Köln gutachterlich tätig. 1936 trat der Mediziner in die SS ein, wo er es zum Obersturmführer, Hauptsturmführer und schließlich zum Standartenführer brachte. 1937 wurde er beratender Psychiater beim Wehrkreisarzt III und 1939 beratender Armeepsychiater. Bald freundete sich de Crinis mit führenden Nazis wie beispielsweise Reinhard Heydrich und Walter Schellenberg an, der ihn in den sogenannten Venlo-Zwischenfall involvierte, bei dem zwei hohe britische Geheimdienstfunktionäre an der niederländisch-deutschen Grenze geschnappt wurden. Schellenberg machte de Crinis auch mit Heinrich Himmler bekannt.

Ehrungen trotz Qualifikationsmängel

Gegen das Votum der Berliner Fakultät, die erneut seine professionellen Qualifikationen bemängelte, wurde de Crinis im November 1938 zum Professor für Psychiatrie und Neurologie sowie zum Direktor der Nervenklinik der Charité in Berlin berufen. (In der zweiten Staffel der TV-Serie über die Geschichte der "Charité" aus dem Jahr 2019 spielt de Crinis, der mit der ungarischen Schachspielerin Lili Anna Szikora verheiratet war, eine wichtige Nebenrolle.)

1939 wurde der steirische Mediziner Mitglied des Kuratoriums des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Hirnforschung, und trotz seiner umstrittenen medizinischen Leistungen erhielt de Crinis zahlreiche Auszeichnungen: das Eiserne Kreuz II. und I. Klasse, die Medaille für deutsche Volkspflege sowie das Goldene Parteiabzeichen der NSDAP und die Ehrenmitgliedschaft in der Wiener Medizinischen Gesellschaft. Im Jahr 1943 wurde er zum Mitglied der Gelehrtenakademie Leopoldina gewählt.

Euthanasie
Nationalsozialistisches Propagandaplakat aus dem Jahr 1937, um gegen "erbkranke" Personen Stimmung zu machen.
Gemeinfrei

Im Juni 1939 wurde der Reichsgesundheitsführer Leonardo Conti von Adolf Hitler mit dem NS-"Euthanasie"-Programm beauftragt. Es sah vor, dass zunächst schwerbehinderte Kinder und später alle "unnützen Esser" umgebracht werden konnten. Mit Euthanasie im eigentlichen Sinn hatte es also wenig zu tun; es ging eher darum, unliebsame "Ballastexistenzen" zu töten. Der machthungrige Begleitarzt Hitlers, Karl Brandt, erreichte jedoch, dass dieser Auftrag an ihn ging. Hitlers diesbezügliches Ermächtigungsschreiben soll, so argumentiert der US-amerikanische Psychiater und Autor Robert Lifton, von de Crinis formuliert worden sein.

Geforderte Ausweitung 

Das "Euthanasie"-Programm der Nazis lief in mehreren Phasen ab. Anfang August 1939 fand hierzu in Berlin eine Vorbesprechung mit führenden Psychiatern statt, an der de Crinis teilnahm und als Verbindungsmann zum SS-Geheimdienst fungierte. Eine weitere Besprechung fand im September 1939 in der Kanzlei des Führers statt, de Crinis war erneut Teilnehmer. Allerdings übernahm er keine organisatorischen Funktionen und schien auch nicht auf der offiziellen Liste der Gutachter der "Aktion T4" auf, benannt nach der Adresse Tiergartenstraße 4 in Berlin. Dennoch ist sicher, dass de Crinis in alle wichtigen Entscheidungen mit einbezogen wurde.

Um die Untaten dieser Krankenmorde zu legalisieren, wurde 1940 ein "Euthanasie"-Gesetz ausgearbeitet. Der Kreis der an der Formulierung Beteiligten inkludierte auch de Crinis. Hitler meinte dann aber doch, der Entwurf solle erst nach dem Endsieg erörtert werden. De Crinis und sein Kollege Paul Nitsche wollten dagegen schon zu diesem Zeitpunkt noch mehr Patientinnen und Patienten in das "Euthanasie"-Programm einschließen. Anlässlich der 4. Tagung Beratender Ärzte, die vom 16. bis 18. Mai 1944 stattfand, unternahm de Crinis daher einen Versuch, Brandt davon zu überzeugen, dass die "Euthanasie"-Aktion ausgeweitet werden sollte. Kurz darauf schrieb de Crinis an Nitsche: "Es war leider nicht möglich, Prof. Brandt für unsere Angelegenheit zu fixieren."

Hatte Hitler Parkinson?

1944 wurde de Crinis zum obersten beratenden Heerespsychiater und zum Leiter des Instituts für Allgemeine Psychiatrie und Wehrpsychologie der Militärärztlichen Akademie bestellt. Anfang 1945 erwog Himmler, den sich abzeichnenden Zusammenbruch des Dritten Reichs doch noch zu verhindern und Hitler zu entmachten. Hierfür zog er auch de Crinis zu Rate, der Hitler damals für schwerkrank hielt: "Hitlers völlig unorganische Bewegungen, die ich in den Wochenschauen beobachtet habe, sind die sichtbaren Zeichen der Parkinson'schen Krankheit."

Bei Kriegsende versuchte de Crinis zusammen mit seiner Frau aus Berlin zu entkommen. Als der Versuch scheiterte, beging das Ehepaar am 2. Mai 1945 gemeinsamen Suizid durch mitgeführtes Zyankali.

Doppelleben und offene Fragen

Der Psychiater Robert Lifton deutet de Crinis' Geschichte als den Versuch eines ehrgeizigen Akademikers, ein Doppelleben zu führen. Einerseits war de Crinis viel daran gelegen, als ein Experte höchsten Ranges in die Annalen der Psychiatrie einzugehen. Er bemühte sich daher beflissentlich und mit einigem Erfolg, seine Beteiligung an dem "Euthanasie"-Programm der Nazis zu vertuschen. Das erklärt auch, warum nur in einem einzigen Fall klar belegt ist, dass de Crinis einen seiner eigenen Patienten bewusst in den Tod geschickt hat. Es macht zudem verständlich, warum wir auch heute noch relativ wenig Einzelheiten über de Crinis' Verbrechen kennen.

Andererseits war de Crinis ein fanatischer Nazi und Antisemit, dem kein Mittel zu schmutzig war, um seine Ideologien zu verwirklichen, wie Robert Lifton schreibt: "In der stolzen Geschichte der Charité findet sich kein anderer Arzt, der auch nur annähernd so viel Schuld auf sich geladen hat wie de Crinis." (Edzard Ernst, 5.5.2024)