Marine Le Pen stand bei ihrem Besuch auf Mayotte für Selfies bereit.
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Wenn das Umfeld – Ukrainekrieg, Vormarsch der Rechten in Europa – nicht so ernst wäre, müsste man wohl von einer geopolitischen Posse sprechen. Geboten wird sie vom französischen Rassemblement National (RN) und der Alternative für Deutschland (AfD), zwei Parteien, die im Europaparlament in der gleichen Fraktion sitzen, sich aber seit neustem ständig in die Wolle kriegen.

Dafür scheint ihnen jeder Anlass recht – wie etwa die Insel Mayotte, von der wohl noch nicht einmal alle AfD-Mitglieder gehört haben. Dennoch verlangte die Rechtspartei im Bundestag eine Klärung der deutschen Position zum Statut dieser französischen Insel im Indischen Ozean. Parteisprecher Matthias Mossdorf wünschte konkret, dass die Bundesregierung zu den diversen Resolutionen der Uno-Generalsversammlung Stellung nehme, "denen zufolge Frankreich die Inselgruppe Mayotte an die Union der Komoren zurückgeben muss".

Le Pen bei einer Rede auf Mayotte.
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Frankreich hatte Mayotte Mitte des 19. Jahrhunderts vom Sultan des benachbarten Archipels der Komoren durch eine Finanzleistung übernommen. Nach der Kolonialzeit bestätigten die Einwohner in den Jahren 1974, 1976 und 2009 in drei Volksabstimmungen die Zugehörigkeit zu Frankreich. Die Insel ist 376 Quadratkilometer groß und zählt 310.000 Einwohner. Die illegale Einwanderung von den bedeutend ärmeren Komoren sorgt für einen starken Migrationsdruck. Wohl aus diesem Grund erzielt Marine Le Pen bei Wahlen in dem französischen Departement Mayotte regelmäßig Spitzenwerte von weit über 50 Prozent.

"Erboste" Le Pen

Am Wochenende besuchte die RN-Politikerin Mayotte für die Kampagne der nahenden Europawahlen. Als sie vernahm, dass die AfD die Zugehörigkeit Mayottes zu Frankreich infrage stellt, verlor sie für einmal ihre Gelassenheit vor den Kameras. Sie sei "erbost" (fâchée) über den AfD-Vorstoß, wetterte sie. "Diese Partei täte besser daran, sich um die Probleme Deutschlands zu kümmern. Ich werde ihnen die Gründe erklären, warum die Bewohner von Mayotte dreimal ihren Wunsch, Franzosen zu sein, ausgedrückt haben."

Die AfD wurde von dem Wutanfall der verbündeten Französin auf dem falschen Fuß erwischt. "Dass das dem RN aufstößt, konnte hier keine ahnen", sagte ein Sprecher. Den Fall von Mayotte habe man nur aufgebracht, um die "deutschen Doppelstandards" in Sachen Völkerrecht bloßzulegen: Berlin erkenne einerseits die Referenden Frankreichs in Mayotte an, weise andererseits das Resultat der Referenden in der russisch annektierten Ostukraine zurück.

Riechen an einer etwas großen Zimtstange in Mayotte.
IMAGO/Lemor David/ABACA

Womit klar scheint: Der AfD geht es nicht um Mayotte, sondern um die Verteidigung der russischen Annektierungspolitik. Auf die Idee, die Lage einer ostafrikanischen Insel mit dem ukrainischen Donbass zu vergleichen, muss man erst mal kommen. Zumal die Urnengänge auf Mayotte nicht gefälscht waren wie in der russisch besetzten Ostukraine.

Vorwürfe Frankreichs

Es stimmt zwar, dass vor einem halben Jahrhundert mehrere Uno-Resolutionen die Rückgabe der wirtschaftlich reichsten Insel Mayotte an die Komoren verlangt haben. Seiter sind diese Forderungen aber eingeschlafen. Der jetzige komorische Präsident Azali Assoumani zog sie jüngst wieder aus der Schublade, um seine eigene Stellung zu stärken; ihm wird nämlich vorgeworfen, er halte sich auf den Komoren verfassungswidrig an der Macht. Die Franzosen verdächtigen ihn, dass er seine Landsleute dazu anhält, mit sogenannten Kwassa-Kwassa-Booten ins 55 Kilometer entfernte Mayotte zu emigrieren. Aus diesem Grund ist die Bevölkerung des französischen Überseedepartements binnen zehn Jahren um 100.000 Einwohner gestiegen.

Der AfD-Vergleich zu Mayotte ist deshalb schlicht absurd. Sein einziges Resultat ist, dass er die französische Schwesterpartei RN in ihren eigenen Großmachtfantasien in Afrika verletzt. Le Pen sieht die AfD heute ohnehin nur noch als Belastung für ihre präsidialen Ambitionen. Die gemeinsame Fraktion "Identität und Demokratie" dürfte die Europawahlen deshalb nicht überleben. Oder nur, wenn sich die deutsche Partei Le Pen unterordnet. Das ist aber keine Option für die AfD-Basis, wo man sich offen über die "Arroganz" der 55-jährigen Französin aufhält. Nationalisten hatten es unter sich noch nie leicht. (Stefan Brändle aus Paris, 22.4.2024)