Zhang Yufei
Zhang Yufei führte 2021 in Tokio Chinas Lagenstaffel zum Sieg und gewann nur für sich selbst die 200 Meter Schmetterling.
AP/Lee Jin-man

Montreal – Harsch reagierte die Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) auf Anschuldigungen, sie messe mit zweierlei Maß und habe nach Dopingvorwürfen gegen Schwimmer aus China nicht durchgegriffen. In einem längeren Statement beklagt die Wada "irreführende und möglicherweise diffamierende Medienberichte" und droht mit einem juristischen Nachspiel.

Nach einer Recherche der ARD und der New York Times wurden 23 chinesische Spitzenschwimmerinnen und -schwimmer vor den Olympischen Sommerspielen 2021 positiv getestet, allerdings nicht sanktioniert. Drei von ihnen gewannen in Tokio Gold.

Zweierlei Maß?

Die ARD-Dopingredaktion beruft sich auf einen Bericht der chinesischen Anti-Doping-Agentur Chinada, untersuchende Behörde sei aber das Ministerium für öffentliche Sicherheit gewesen. Dem Bericht zufolge wurden im Jänner 2021 exakt 23 der besten chinesischen Schwimmerinnen und Schwimmer bei einem Wettkampf in Shijiazhuang positiv auf Trimetazidin getestet. Das Herzmittel verbessert die Sauerstoffversorgung der Muskelzellen. Wegen des Nachweises der gleichen Substanz war die russische Eiskunstläuferin Kamila Walijewa für vier Jahre gesperrt worden. 13 der mutmaßlich positiv getesteten Chinesen starteten dennoch bei Olympia 2021 und gewannen Medaillen in fünf Wettbewerben.

Dem Bericht zufolge kamen die positiven Fälle durch Kontamination in einer Hotelküche zustande, die verbotene Substanz sei ohne Wissen der Sportler in deren Körper gelangt, die Athleten seien nicht zu sperren. Ähnlich hatten die Russen auch in der Causa Walijewa argumentiert. Allerdings handelte es sich bei Walijewa um einen Einzelfall, die Sportlerin wollte bei ihrem Großvater über ein Trinkglas in Kontakt mit der verbotenen Substanz gekommen sein. Ihre fragliche Blutprobe war zudem von einem internationalen Testlabor in Stockholm analysiert worden.

Die positiven Fälle aus China waren von der Chinada selbst mit zweimonatigem Verzug ins offizielle Wada-Meldesystem eingegeben, allerdings offenbar nicht als Regelverstöße gemeldet worden. Die vorläufige Suspendierung der Athletinnen und Athleten blieb aus. Sie ist allerdings auch nicht erforderlich, wenn die Untersuchung zur Erkenntnis führt, dass die positiven Ergebnisse einer Kontamination etwa von Lebensmitteln geschuldet sein könnten.

Die Wada verzichtete laut den Recherchen auf eine eigene Untersuchung. Sie teilte der ARD mit, sie habe auf Basis der Analysedaten "keine Grundlage" gesehen, die "Erklärungen der Kontamination anzufechten", und verwies u. a. auf niedrige Konzentrationen und schwankende Werte. Auch der Weltschwimmverband World Aquatics hatte offenbar nichts zu beanstanden.

Kein Zugang für Kontrolleure

Nach Veröffentlichung der Recherchen erläuterte die Wada ihr Vorgehen. Aufgrund der "extremen Einschränkungen durch die Covid-bedingte Abriegelung" sei es der Agentur "nicht möglich" gewesen, ihre Untersuchungen vor Ort durchzuführen. Man habe aber beispielsweise "unabhängige Experten" konsultiert, um die Kontaminationstheorie zu überprüfen. Die Wada sei schließlich zu dem Schluss gekommen, "dass sie nicht in der Lage war, die Möglichkeit einer Kontamination als Quelle von Trimetazidin zu widerlegen".

An dieser Vorgangsweise gibt es nun massive Kritik, u. a. durch Travis Tygart, Chef der US-Anti-Doping-Agentur Usada, der in einer ARD-Doku von einem "Messer im Rücken aller sauberen Athleten" sprach, und von der weltweiten Sportlervereinigung Global Athlete, für die die Stellungnahme der Wada mehr Fragen aufwirft, als sie Antworten gibt. Tygart und die Wada lagen schon mehrmals im Clinch. Auch das Vorgehen gegen Russland sorgte für Auseinandersetzungen. Die Wada wirft dem Chef der Usada politisch motivierte Kritik vor.

Chinas Außenministerium weist die Doping-Anschuldigungen wenig überraschend als "Fake News" und "nicht faktenbasiert" zurück. Tatsache ist, dass die Meldung der positiven Dopingfälle durch die chinesische Anti-Doping-Agentur auch als entlastendes Indiz gesehen werden kann. Die Untersuchung der Vorfälle durch das Ministerium für öffentliche Sicherheit wird da und dort auch so interpretiert, dass in Hinblick auf die Olympischen Spiele Sabotage innerhalb des chinesischen Schwimmlagers vermutet wurde. (Sigi Lützow, 23.4.2024)