Der seltsame Fall der Empathielosigkeit seit dem 7. Oktober verstört noch immer. Nicht nur in sozialen Medien – nicht gerade Hort überbordender Empathie, obwohl die dort tobende Misanthropie doch durchbrochen wird von Spendensammlungen und anderen Hilfestellungen – tun sich derartige Abgründe auf, dass man den Eindruck bekommt, hinter dem bereits vermuteten Abgrund an Antisemitismus gebe es noch einen dazu, quasi als Bonus beziehungsweise als Malus. Befüllt wird er von Menschen, denen man das nie zugetraut hätte. Prominenten und Unbekannten.

Nicht nur in den sozialen Medien werden gebetsmühlenartig Sätze hinuntergeleiert, die alle Israelis, ja überhaupt Juden und Jüdinnen unter Generalverdacht stellen.
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Wie kann man bei einem so langjährigen und weitreichenden Konflikt wie dem im Nahen Osten so einfache, so einseitige Schuldzuweisungen von sich geben, ohne sich seiner Einfältigkeit zu schämen? Gebetsmühlenartig werden Sätze hinuntergeleiert, die allen Israelis, ja überhaupt Juden und Jüdinnen den Generalverdacht entgegenbringen, per se verderbt, gierig, landraubend zu sein. Alles Zionisten! Die Protokolle der Weisen von ebendort feiern fröhliche Urständ.

Was aber ist so schrecklich, wenn jede Empathie für Geiseln, die Toten, die Opfer sexueller Gewalt, die der 7. Oktober verursacht hat, fehlt? ("Schlimm, aber" ist keine Empathie, weil der Fokus sofort von den Opfern abgewendet wird.) Das ist der erste Schritt zu Entmenschlichung. Diesen haben wir schon hinter uns. Dass die Regierung Netanjahu eine Katastrophe für das Land ist, steht wieder auf einem anderen Blatt. (Julya Rabinowich, 22.4.2024)