Rom Volkstheater Perceval Shakespeare Jost
Neulich am Nil: Antonius (Frank Genser) und Kleopatra (Julia Riedler) erkunden gemeinsam Stoßfestigkeit und Belastbarkeit der römischen Republik.
© Marcel Urlaub

In Shakespeares Rom, sonst blutroter Schauplatz von Tragödien wie Coriolan oder Julius Caesar, herrscht akute Energiekrise. Eine schräg gestellte Mauer misst zehn Quader Höhe, sie trennt die Rampe vom Rest der Republik (Bühne: Philip Bußmann). Im Schatten dieses Baumachwerks steht, schwarz und dünnstimmig durcheinandergewürfelt, das politische Dienstpersonal. Man sieht die Figuren aus Coriolanus nicht, man ahnt sie mehr und hört sie wenig. So wie man nicht recht weiß, was Autorin Julia Jost – die auf den Schultern eines Riesen namens Shakespeare steht und ihm mit wackeligen Knien ins Textbuch kiebitzt – uns überhaupt zu sagen hat.

Dünne Stablampen erhellen die Gesichter der rhetorischen Impulsgeber. Im Wiener Volkstheater macht man sich auf die Geschichte der römischen Republik einen Wikipedia-Reim. Geboten wird in Rom die rund zweistündige Digest-Fassung jener Tragödien, die nach Maßgabe der Chronologie lose aneinander anschließen.

Coriolanus erzählt, wie aus der Hybris eines nützlichen Feldherrn Gefahr für die Republik entsteht. In Julius Caesar wird ein nämliches Subjekt, wiederum aus allgemein moralischen Erwägungen, schmählich erdolcht.

Aus den resultierenden Bürgerkriegen ersteht nicht nur ein Kolonialreich, vollgestopft mit Pharaonen-Kitsch. Erotisch gewürzt wird Antonius und Kleopatra durch die süßeste Verlockung, die je von einer Nil-Schlange ausgegangen ist. Augustus muss die alte Moral wiederherstellen, indem er, der rücksichtsloseste Schlawiner von allen, das neue Kaiserreich begründet.

Eine Verschraubung

Dies alles sollte man getreulich beherzigen, wenn man in Regisseur Luk Percevals monumentale Dunkelkammer eingetreten ist. Zu sehen gibt es in den Bleikammern der Macht reichlich wenig. Jost hat den Coriolan aus rein nützlichen Erwägungen in den Caesar geschraubt. Ersterer (Andreas Beck) steht als Titan mit wüstem Haar und mottenzerfressenem Pullover unter der Fuchtel der Mama (Friederike Tiefenbacher).

Der Krieg, in den er zieht, wird ihm – ganz im Sinne Ernst Jüngers und dessen Stahlgewittern – zum geselligen Erlebnis. Der Rückzug in den Rollstuhl rettet ihn, der aus Sparsamkeitsgründen auch gleich den Caesar gibt, nicht vor hochnotpeinlicher Ermordung. Vorher hat er, der das (unsichtbare) Volk verachtet, mit der Stimme politisches Süßholz geraspelt. Das Ringen um die Macht im Staat ist, man glaubt es kaum, ein Spiel unablässiger Verstellung.

Brutus (Lavinia Nowak) muss das Proseminar in Staatsrechtslehre besucht haben. Er turnt auf einem Sessel herum und hält – der Tyrann ist zu diesem Zeitpunkt abgestochen – eine zerquälte Rechtfertigungsrede vor der kahlen Mauer. Und siehe da, das Gemäuer schwitzt aus lauter Mitgefühl Wasser! Zeit für Antonius (Frank Genser), den blassen Moralapostel mit seiner berühmten Leichenrede rhetorisch hochwirksam auszustechen.

Aus dem Staub

Zu diesem Zeitpunkt reicht der Abend von der Dämmerung (erster Teil bis zur Pause) bereits hinüber in die tiefste Nacht. Die Vernunft schlummert, dafür rotiert unablässig die Drehbühne, die in etwa so quietscht wie das gesamte römische Gemeinwesen, um das es freilich nicht zum Besten bestellt ist. Davon kündete bereits die mundartlich gewisperte Erzählung von Titus Andronicus und dessen Gewaltexzessen, ein Art Schauermärlein für unsere Kleinsten. Was gäbe man jetzt für ein paar Sätze, gedichtet im blank polierten DDR-Deutsch Heiner Müllers!

Antonius hat in den ufernahen Gewässern des Nils ein erotisches Ballett gemeinsam mit der scharlachroten Kleopatra (Julia Riedler) zu bestehen. Ein Ringkampf findet statt, er erstreckt sich über mehrere Runden im ägyptisch-römischen Stil. Über allem und allen aber, auch über der hohnlachenden Octavia Claudia Sabitzers, walten die Furien des Verschwindens.

Die Politik, wenn es sie denn jemals gegeben hat, hat sich aus dem Staub gemacht. Ungläubiges Staunen darüber, dass Luk Perceval vor einem schlanken Vierteljahrhundert in Salzburg aus vielen, vielen Shakespeare-Königsdramen den furiosen Marathon Schlachten gezimmert hat. Diesen bass Erstaunten schloss sich ein einsamer Buh-Rufer an. Man konnte dem aufrechten Theaterrepublikaner die Enttäuschung über Rom nachfühlen. (Ronald Pohl, 21.4.2024)