Enzo Fattori versteht die Welt nicht mehr: "Mir fehlen die Worte, um zu beschreiben, was ich fühle. Die ganze Situation ist einfach nur absurd." Der Pensionist war in seinem Wohnort Desenzano am vergangenen Mittwoch wieder auf seine gewohnte Tour am Gardasee gegangen, um den herumliegenden Müll einzusammeln. Am Feltrinelli-Strand entdeckte er einen herrenlosen Fender, also eine dieser Pufferbojen, die bei Schiffen an der Bordwand hängen, um Schäden durch Hafenmauern oder andere Schiffe zu vermeiden. Enzo nahm das Teil mit, um es zu entsorgen. Doch dann lief er in die Arme eines Dorfpolizisten, der ihm ein Strafgeld von 500 Euro aufbrummte: Denn Müll einzusammeln, das ist in Desenzano seit dem 25. Jänner verboten.

In Desenzano darf nur die Stadtverwaltung den Müll am Strand des Gardasees entsorgen – sie tut es aber offenbar nicht. Oder zu selten.
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Das Verbot heraufbeschworen hatte Fattori höchstpersönlich. Er hatte nämlich im Winter in der Nähe des Hafens einige Granaten und Munition aus den beiden Weltkriegen im Wasser entdeckt. Diese wurden von Spezialisten des italienischen Heeres geborgen und anschließend kontrolliert zur Explosion gebracht. Da aber der Verdacht im Raum stand, dass im See noch mehr Blindgänger herumliegen könnten, hat der Bürgermeister von Desenzano, Guido Malinverno, das Auflesen von Gegenständen – welcher Art auch immer – in der Nähe des Sees verboten. "Wir haben dies nicht zu unserem Vergnügen gemacht, sondern zur Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger", erklärte Malinverno am Donnerstag, nachdem er wegen der Strafe an Fattori von allen Seiten Kritik hatte einstecken müssen.

Fattori ignorierte das Verbot von Anfang an: Er traue sich zu, einen Fender, ein im See versenktes altes Fahrrad, eine Bierbüchse oder einen Plastiksack von einer Weltkriegsgranate unterscheiden zu können. "Ich sammle den Müll am Gardasee seit 30 Jahren ein und habe im Laufe der Zeit – ohne zu übertreiben – tonnenweise Unrat jeder Art weggetragen", betonte er im italienischen Fernsehen. Er habe von der Gemeinde nie einen Cent für seine freiwillige Arbeit verlangt, nicht einmal ein Paar Gummihandschuhe. Im Laufe der Zeit haben sich ihm auch andere Freiwillige angeschlossen. Sie nennen sich "Racmen" und "Racwomen", abgeleitet vom italienischen Verb "raccogliere" – auflesen, einsammeln.

Bürokratische Groteske

Das Strafgeld für Fattori hat in ganz Italien Empörung über die Behörden, aber zugleich auch Solidarität mit dem derart grotesk Bestraften ausgelöst. Eine spontane Bürgerinitiative sammelt nun Geld für den selbstlosen Pensionisten, damit er die 500 Euro nicht aus der eigenen Tasche bezahlen muss. Sogar die Anti-Mafia-Kommission der Region Lombardei hat sich zu Wort gemeldet: "Als ich von der Strafe hörte, hoffte ich, das sei ein Scherz. Das ist es aber nicht: Es wird ein Bürger schikaniert, der sich um die Umwelt kümmert und seinen persönlichen Teil für die Gesellschaft leistet. Enzo Fattori ist das Paradebeispiel für einen Mitbürger mit Gemeinschaftssinn", betonte die Präsidentin der Kommission, Paola Pollini.

Bürgermeister Malinverno sagt inzwischen, dass ihm die Sache mit Enzo leidtue, zumal er in all den Jahren "nie ein Problem mit ihm gehabt habe". Aber er will nun auch nicht als Buhmann dastehen: Er habe Enzo angeboten, bei der Reinigung der Ufer und der Strände mit der Gemeinde zusammenzuarbeiten – das habe dieser aber abgelehnt. Der Einwand kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass Malinvernos Begründung für das Verbot – Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit – etwas vorgeschoben wirkt: Wenn die Gefahr von Blindgängern in Desenzano wirklich so ernst wäre, wie das Verbot suggeriert, dann müsste die Gemeinde den Gardasee und seine Strände jetzt, kurz vor Beginn der Touristensaison, auch für die Gäste sperren. Davon ist aber nicht die Rede.

Dass in Italien, wo der Amtsschimmel des Öfteren lautstark wiehert, Bürgersinn und Eigeninitiative bestraft statt belohnt werden, kommt leider öfter vor. Unlängst ist in der Nähe von Monza ein unbescholtener Mann, der ein Schlagloch in der Straße seines Wohnorts reparierte, mit einer Strafzahlung von 882 Euro belegt worden. Der Corriere della Sera schrieb danach, die Strenge der Bürokraten rühre wohl daher, dass sie sich genervt fühlten, "wenn sich die Bürger erlaubten, das zu tun, was eigentlich sie hätten erledigen müssen". (Dominik Straub aus Rom, 19.4.2024)