Bali ist ein Ort der Gegensätze. Jährlich strömen Millionen Touristen in das Urlaubs- und Surferparadies im Indischen Ozean. Bilder von Tempeln, weißen Stränden, Reisterrassen oder der berühmten Bali-Schaukel fluten das Internet. Doch es gibt auch eine andere Seite der idyllischen Insel – nämlich jene, wo sich abseits der ausgetrampelten Touristenpfade der Plastikmüll auf Wegrändern, in Flüssen oder am Strand türmt.

Eine, die dieses Problem gut kennt, ist Suryane Enzenhofer. Sie ist halb Österreicherin, halb Balinesin und verbringt seit ihrer Kindheit jedes Jahr viel Zeit in ihrer zweiten Heimat. "In den kleinen Dörfern ist unglaublich viel Plastik im Umlauf, nach dem täglichen Markt gleichen die Plätze oft einer Müllhalde", sagt Enzenhofer im STANDARD-Gespräch. "Balinesen waren jahrzehntelang Snacks gewohnt, verpackt in Bananen- oder Maisblättern. Wirft man die in den Fluss, passiert nichts. Aber Bananenblätter werden immer weniger, Plastikverpackungen hingegen mehr, und die Wegwerfkultur ist gleich geblieben." Es brauche irrsinnig viel Aufklärungsarbeit, von den Schulen bis in die Regierung.

Ein Mann sammelt Plastikmüll in einem Fluss auf Bali ein.
Organisationen wie Sungai Watch organisieren regelmäßig Aufräumaktionen in Bali. Angesichts der Müllmenge ist ihr Bemühen aber vorerst nur ein Tropfen auf den heißen Stein.
EPA/MADE NAGI

Teufelskreis der kleinen Verpackungen

Natürlich ist das nur ein Teil eines Sammelsuriums an Müllquellen. Als weiteren Punkt nennt Enzenhofer die kleinen Verpackungen: "Waschmittel, Shampoo oder sogar Gewürze wird in Kleinstmengen verpackt und verkauft. Das ist in Relation viel teurer und produziert Müll ohne Ende – arme Leute können sich aber meistens keine größeren Verpackungen leisten, es ist ein Teufelskreis." Damit ist Bali freilich nicht allein, zahllosen Ländern auf der ganzen Welt geht es so. Das ist der Weltgemeinschaft grundsätzlich bewusst, doch beim Versuch, geschlossen etwas dagegen zu unternehmen, geht weit weniger weiter als geplant.

Am Dienstag startet in Kanada die vierte von fünf Verhandlungsrunden für ein internationales Plastikabkommen, das der permanent zunehmenden Verschmutzung ein Ende setzen soll. Für Klima, Meere oder Biodiversität etwa gibt es solche globalen Übereinkünfte, für Plastik nicht. Doch die Ausgangslage ist schwierig, die dritte Verhandlungsrunde im November scheiterte ohne Fortschritte, das hat den Zeitplan durcheinandergeworfen. Was in Ottawa geschieht, entscheidet wahrscheinlich über Erfolg oder Misserfolg des Abkommens.

Video: Kampf dem Plastikmüll in Bangkoks Fluss Chao Phraya.
AFP

300 Millionen Tonnen Plastikmüll

Plastik findet sich überall, nicht nur in Kleidung, Baumaterialien, Verpackungen, Windeln, Polareis und Tiefsee-Fischmägen. Schätzungen der OECD zufolge entstehen weltweit jährlich mehr als 300 Millionen Tonnen Plastikmüll. Ohne drastische Maßnahmen könnte sich diese Menge bis 2060 auf rund eine Milliarde Tonnen jährlich verdreifachen. Zudem könnte die Plastikproduktion bis zur Mitte des Jahrzehnts ein Fünftel des weltweiten CO2-Ausstoßes verursachen, besagt ein Bericht vom US-amerikanischen Lawrence Berkeley National Laboratory.

Menschen demonstrieren und halten Plakate und Schilder in die Luft, die ein Ende von Plastikmüll fordern.
Zahlreiche Menschen gehen in Ottawa bereits auf die Straße, um für ein Ende der Plastikflut zu demonstrieren.
AP/Spencer Colby

Deswegen haben mehr als 170 Staaten vor ziemlich genau zwei Jahren beschlossen, bis Ende 2024 einen rechtlich verbindlichen Vertrag auszuarbeiten, der die Plastik-Übermüllung des Planeten eindämmen soll. Es geht um den Lebenszyklus von Kunststoff, Abschaffung von Einwegplastik, die Entsorgung und Wiederaufbereitung sowie die eingesetzten Chemikalien in der Produktion. Eine Rohversion dieses Vertrags seitens der UN-Umweltorganisation Unep hätte nach der vorigen Runde entstehen und nun finalisiert werden sollen. Doch so weit kam es wie gesagt nicht. Nicht einmal auf ein Verfahren, wie der Vertrag entstehen soll, einigte man sich bisher.

Zwei sehr konträre Allianzen

In den Verhandlungen haben sich von Anfang an Allianzen abgezeichnet, die wohl auch in dieser Verhandlungsrunde so weiter bestehen dürften. Es gibt auf der einen Seite die High Ambition Coalition (HAC). Ihr gehören mehr als 100 Länder an, unter anderem die EU, Ruanda, Norwegen und Ecuador. Sie will die Plastikverschmutzung bis 2040 praktisch auf null setzen sowie die Produktion von Primärplastik massiv verringern. "In der HAC sind auch einige überraschende Namen wie die Vereinigten Arabischen Emirate, Aserbaidschan, Japan", sagt Lisa Panhuber, Kreislaufwirtschaftsexpertin bei Greenpeace Österreich, die bei den Verhandlungen in Kanada vor Ort ist, dem STANDARD. Ob die HAC für diese Länder ein Greenwashing-Tool sei, werde sich aber erst zeigen.

Den Ehrgeizigen gegenüber stand zuletzt die selbsternannte Like Minded Group. Dazu zählen unter anderem Saudi-Arabien, Iran, China und Russland. Dieses lose Bündnis will vor allem den Status quo möglichst wenig verändern. Deren Position erinnert oft an Klimaverhandlungen – wenig überraschend. Ohne Öl und Erdgas gibt es keine Plastikproduktion, dementsprechend haben ölproduzierende Länder und Unternehmen wenig Interesse an sinkender Plastikproduktion. Ein weiterer großer Streitpunkt wird auch dieses Mal sein, wie etwaige Maßnahmen finanziert werden sollen oder können.

Rolle der USA

"Dazwischen stehen entscheidende Nationen wie die USA und Brasilien. Deren Positionierung in Ottawa wird entscheidend sein", sagt Panhuber. Die Ungewissheit wegen der bevorstehenden Wahl in den USA schaffe ein Gefühl der Dringlichkeit bei den ambitionierten Ländern.

Seitenansicht einer Person, die Mikroplastik in der Hand hält. Nicht recycelbare Materialien.
Jährlich werden Millionen Tonnen Plastik produziert, von denen ein großer Teil in Gewässern landet. Dort zersetzt sich Plastik zu Mikroplastik.
IMAGO/Pond5 Images

Hat sich seit der Runde im November etwas getan? Es habe einige informelle Treffen gegeben, die dazu beigetragen haben, die verschiedenen Positionen besser zu verstehen, heißt es in Verhandlungskreisen. Diese Treffen sollten es zudem ermöglichen, ohne weitere prozedurale Spielchen zu verhandeln, zumindest laut der inoffiziellen Versprechen. Die Länder der Like Minded Group haben zuletzt verfahrenstechnische Fragen genutzt, um ein Vorankommen zu verzögern. Welche Staaten bei diesen Treffen dabei waren, wird nicht verraten.

Immer wieder taucht die Frage auf, ob eine Konvention ohne die blockierenden Staaten eine Option wäre? Dem Vernehmen nach wäre ein Abkommen ohne Russland und Saudi-Arabien eventuell denkbar, ohne China und Indien allerdings nicht, meint ein Insider, der namentlich nicht genannt werden will. Er halte einen erfolgreichen Abschluss der Verhandlungen am Jahresende nach wie vor für realistisch – es bleibe allerdings abzuwarten, wie hoch der Preis ausfällt. (Andreas Danzer, 23.4.2024)