Bushido im Rahmen live in Stadthalle, gibt sich dank Wiener Schnitzel kampfstark.
Bushido, live in der Stadthalle, gibt sich dank Wiener Schnitzel kampfstark.
APA/EVA MANHART

Beim deutschen Gangsterrap handelt es sich bekanntlich um ein Genre, das vor allem von größeren Kindern sehr geschätzt wird. Die jungen Leute werden wegen der heftigen Gefühlsschwankungen während der Pubertät und des dumpfen Gefühls, dass die Zukunft vielleicht weniger Kinderjausen, dafür aber Kantinenfraß und später Essen auf Rädern bereithalten wird, eines: Sie werden aufsässig. Die Jugend will gegen die Umstände, die uns fertigmachen, aufbegehren. Was also will ein Rebell am Beginn einer Revolte als Allererstes? Er will provozieren! Liebe Leser und Leserinnen, Triggerwarnung: Wenn man einige der Wörter, die gleich vorkommen werden, auf Facebook posten würde, sollte man nicht mit 30 Tagen Sperre, sondern mit einem persönlichen Abschiedsbrief von Mark Zuckerberg rechnen.

Nach acht Jahren Auftrittspause kommt in der Wiener Stadthalle Anis Ferchichi alias Bushido im gemütlichen Trainingsanzug eines Mannes auf die Bühne, der gerade mit seinem mattschwarzen Boliden auf dem Weg zum Autowaschen oder, wenn es dumm gelaufen ist, zum Wiener Meiselmarkt war, um der Gnädigen beim Wocheneinkauf zu helfen. Drei Sackerln Gemüse werden im Kofferraum neben der Pumpgun schon Platz haben. Als Bushido, das im Japanischen für "Weg des Kriegers" steht, half der Mann als "Tempelhofer Junge" aus den härtesten Ghetto- und Kampfzonen Berlins vor allem in den frühen Nullerjahren entscheidend dabei mit, das Genre des deutschen Gangsterrap als millionenschweres Geschäft zu etablieren. In dem fliegen nicht nur die Kugeln und Faustwatschen, sondern vor allem auch schlimme Kraftausdrücke, die den Gegner entmutigen sollen.

Mächtig rollen die Bässe

Mächtig rollen jetzt die Bässe und Beats in den Saal. Nach einem Video, das in einer nachgestellten Spielszene Bushido zeigt, wie er als Volksschüler zu spät zum Unterricht kommt, weil er nichts lernen, sondern lieber seine US-Idole N.W.A. und deren Album Straight Outta Compton als 1988 erschienenen heiligen Gral des Gangsterrap hören will, ist es so weit. Gemeinsam mit einem DJ, der speziell auch verantwortlich für die Start- und Stopptaste zeichnet, und Co-Rapper Animus als Ein-Mann-Gegenchor werden wir in fremde, verstörende Welten gezogen: "Ich bin Tempelhofer Junge, diskutiere mit der Faust / Ich ficke eure Mütter und die Schwiegermütter auch / Ich kacke auf Community und kacke auf Applaus / Komm aus Tempelhof und geh nicht unbewaffnet aus dem Haus."

So viel aufgesetzter Schabernack gegen den guten Geschmack und die guten Sitten freut uns natürlich auch noch als große Kinder. Ein Großteil des heutigen Publikums in der Stadthalle ist ein wenig älter als 30. Es hat Bushido also in jungen Jahren bei offener Kinderzimmertür in auch heute live gebotener Tinnituslautstärke gehört. Ach, süßer Vogel Jugend! Weißt du noch? Gibt es etwas Schöneres, als aufsässig und das große Anti zu sein? Wir sind dagegen! Die Alten ärgern sich. Es funktioniert: "Es ist Zeit fürs Bett, denkt ihr, ihr seid kugelsicher? / Jeder hier im Rapgeschäft ist für mich ein schwuler Stricher / Friss den Bordstein, ich gehe durch mein Viertel / Du hast irgendwas zu sagen? Komm, erzähl es meinem Gürtel / Hast du Mut oder Angst? Rap ist, was du nicht kannst / Ich bin hart wie mein Schwanz und komm nachts aus'm Schrank."

Während im Bühnenhintergrund die Stichflammen zischen und Schwarz-Weiß-Filmchen laufen, die verdeutlichen sollen, dass Berlin ein hartes Pflaster und idyllisch abgefuckt ist, erinnert man sich an ein Interview von Günther Jauch mit Bushido aus dem Jahr 2021. Von wegen schwerer Junge Friedrich Nietzsche alias MC Zarathustra, der einst den berühmten Satz droppte: "Und wenn du lange in einen Abgrund blickst, blickt der Abgrund auch in dich hinein." Bushido meinte damals angesichts seiner aktuell auch als Reality-TV-Serie Alles auf Familie inszenierten Wandlung vom knallharten Straßenrapper zum liebenden Familienvater mit Ehefrau Anna-Maria und aktuell acht Kindern, dass er sich das Image des Gangsters mittlerweile anziehe "wie ein Faschingskostüm".

"König für immer"

Nach diversen Gerichtsverfahren wegen schwerer Körperverletzung, Versicherungsbetrugs, Steuerhinterziehung und vor allem seiner Verstrickung in die Machenschaften des Berliner Abou-Chaker-Clans, wegen der er die letzten Jahre in Deutschland mit Polizeischutz leben musste, residiert die Familie Ferchichi heute in der deutschen Influencer-Enklave Dubai. Zeiten ändern dich. Unter dem Motto "König für immer" hielt Bushido nun ein angeblich letztes Mal in Wien eine Live-Audienz. In der wurde auch eines klar: Die Schere zwischen der neuen Freundlichkeit und seinen aggressiven alten frauen-, schwulen- und transfeindlichen Texten, in denen die Trennung von heiligen Müttern und billigen Huren vom Tisch gewischt und sexuell vor allem auch der Hintereingang häufigst zitiert wird, klafft mittlerweile weit auseinander.

Dafür lernt man live während elendslanger Zwischenansagen die menschliche Seite Bushidos kennen. Er ist sehr schüchtern, liebt seine direkt vor der Bühne auch mit Schallschutzkopfhörern anwesende Familie – und er weiß, wo es in Wien die besten Schnitzel gibt. Vielleicht werden seine Kinder rein aus pubertärem Protest ja einmal vornehme Lateiner. (Christian Schachinger, 18.4.2024)