Ausgang des Bahnhofs Floridsdorf auf den Franz-Jonas-Platz.
Nachdem sie eine Passantin vergewaltigt hatten, nahmen zwei Angeklagte die Handtasche des Opfers und kauften mit der gestohlenen Karte am Bahnhof Floridsdorf bei Automaten Lebensmittel und Handyzubehör.
Andreas Müller

Wien – Bei ihrer Beeidigung müssen Laienrichterinnen und -richter schwören oder geloben, "der Stimme der Zu- oder Abneigung, der Furcht oder der Schadenfreude kein Gehör zu geben", bei der Urteilsfindung also keine Emotionen walten zu lassen. Im Schöffenverfahren gegen zwei 22-jährige Angeklagte fällt dieses Versprechen nicht so leicht, wenn man sich die Verantwortung der beiden jungen Männer zum Anklagevorwurf, sie hätten um drei Uhr am Morgen des 25. Dezembers in Wien-Floridsdorf eine Passantin auf der Straße niedergeschlagen, vergewaltigt und dann beraubt, anhört.

"So was ist unmenschlich, das räum ich ein", gibt sogar Marius Hortolomei, der Verteidiger des Zweitangeklagten, in seinen Schlussworten zu. Sein Mandant, ein arbeitsloser Italiener, kündigt beim Prozessstart an, sich schuldig bekennen zu wollen. Tut er dann doch nicht. Zunächst erklärt er seine DNA-Spuren im Genitalbereich des Opfers damit, dass er die Hand des Erstangeklagten, seines Schwagers, vom Opfer weggenommen habe. Fünfzehn Minuten später liefert er eine andere Erklärung: "Dann habe ich als Mutprobe auch hingegriffen." – "Als 'Mutprobe' klingt aber schon absichtlich!", erwidert Eva Brandstetter, die Vorsitzende des Schöffengerichts.

Die beiden Angeklagten hatten sich nach einer alkoholgeschwängerten Weihnachtsfeier ihrer Darstellung nach verlaufen und waren in Floridsdorf gelandet. Der Zweitangeklagte sagt, eine Passantin sei ihnen entgegengekommen und habe mit seinem Schwager ein Gespräch begonnen. Ein Streit sei entstanden, plötzlich habe der Erstangeklagte die Frau niedergeschlagen und in ein nahes Gebüsch gezerrt. Warum die Frau, die bei dem Angriff einen Nasenbein-, einen Knöchelbruch, zahlreiche Hämatome und ein Trauma erlitt, ihn beschuldigt, sie vergewaltigt zu haben, kann sich der Unbescholtene nicht erklären.

Gerichtsmediziner widerspricht Angeklagtem

Der Erstangeklagte, ein zweifach vorbestrafter Rumäne, wird erst nach der Aussage des zweiten Mannes wieder in den Saal geführt. Er erzählt eine völlig andere Geschichte: Die Passantin habe das Duo mit "Hey Jungs!" angesprochen und sich ihm aufgedrängt. Eigentlich habe er mit seinem Schwager gehen wollen, dabei sei er an der Frau angekommen, und sie sei gestürzt. Danach setze seine Erinnerung aus. "Wie kam es zu den Verletzungen?", fragt die Vorsitzende. "Das wird vielleicht durch den Stoß passiert sein", lautet die Antwort. Gerichtsmediziner Christian Reiter widerspricht in seinem Gutachten: Es habe "vielfache stumpfe Gewalteinwirkung gegen das Gesicht" gegeben.

"Warum erfindet das Opfer angeblich die ganze Geschichte?", will Brandstetter vom Erstangeklagten wissen. "Vielleicht braucht sie Geld", lässt der übersetzen. Mit der Bemerkung "Warum hat sie uns nicht einfach in Ruhe gelassen?" beendet er seine Aussage, die offenbar auch dem sonst durchaus scharfzüngigen Beisitzer Stefan Apostol die Sprache verschlägt.

Ein Detail ist der Vorsitzenden, die die anwesenden Medienvertreterinnen und -vertreter auch auffordert, den immer wieder aufbrandenden Baulärm und die instabile Internetverbindung zu erwähnen, noch wichtig. Bei der kontradiktorischen Einvernahme des Opfers schildert die Frau, sie habe einen Passanten um Hilfe gebeten, als sie schwerverletzt in der Wiese lag. Dessen Antwort, ehe er wegfuhr: Seine Handywertkarte sei leer.

Jeweils zwölf Jahre Haft

Nach kurzer Beratung fällt der Senat sein Urteil: Die beiden Väter werden jeweils zu zwölf Jahren Haft verurteilt. Im Falle des Zweitangeklagten ist die Entscheidung rechtskräftig, beim Erstangeklagten nehmen sich beide Seiten Bedenkzeit. (Michael Möseneder, 17.4.2024)