"Jeder Mensch hat angeborene, schon durch die Vernunft einleuchtende Rechte, und ist daher als eine Person zu betrachten" – so lautet der erste Satz des § 16 des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches (kurz: "ABGB"), der das sogenannte Persönlichkeitsrecht umschreibt. Der privatrechtliche Schutz der Persönlichkeit soll dabei nicht nur einen bestimmten Bereich, sondern vielmehr die Persönlichkeit eines Menschen in ihrer Gesamtheit schützen. Wie bereits aus dem Wortlaut erkennbar, werden die Persönlichkeitsrechte nicht erworben, sondern diese sind angeboren. Obgleich mit dem Tod einer Person ihre Rechtssubjektivität erlischt, besteht der Persönlichkeitsschutz auch postmortal weiter. Wie weit dieser greift und wer nach dem Tod die Persönlichkeitsrechte des Verstorbenen geltend machen kann, hat unlängst der Oberste Gerichtshof erörtert.

Familiengrab verlegen

Die Mutter der Klägerin ist im Familiengrab bestattet. Zur Familie gehören ebenso die Zweitbeklagte, die Witwe des Bruders der Klägerin, sowie der Drittbeklagte, der Neffe der Klägerin beziehungsweise Sohn der Zweitbeklagten. Die Erstbeklagte, die Rechtsträgerin des Friedhofs, plante im Jahr 2021 den gesamten Friedhof zu bereinigen, indem eine Begradigung zur Verbreiterung des Zufahrtswegs zur Kirche verwirklicht werden sollte. Dies traf sich gut mit dem Wunsch der Zweitbeklagten, das Familiengrab neu zu gestalten, sowie der Auflassung eines Grabes rechts neben dem Familiengrab.

Daher kamen die nunmehrigen Beklagten überein, das Familiengrab entsprechend ein Stück nach rechts zu verlegen, und beauftragten einen Steinmetzmeister, um den Plan sogleich in die Tat umzusetzen. Konkret sollte die Grabeinfriedung inklusive Grabstein um etwa 60 Zentimeter versetzt werden, weiters sollte anstelle der Holzeinfriedung eine Steineinfriedung errichtet werden. Dies führte dazu, dass die Beisetzungsstelle der Mutter der Klägerin nunmehr, zumindest teilweise, außerhalb der Steineinfriedung liegt; um dennoch die Gedenkstätte der Mutter zu erhalten, haben die Klägerin und ihre Geschwister ein Holzkreuz, Blumen sowie ein Kerzenblech an der Beisetzungsstelle der Mutter hinterlassen.

Friedhof mit Gräbern
Die Menschenwürde gilt auch über die Lebenszeit einer jeden Person hinaus.
Regine Hendrich

Die Klägerin begehrte unter anderem, den Zustand von April 2021 derart wiederherzustellen, dass das Grabdenkmal und die Einfriedung beider Gräber an die vorhergehende Position in Sichtrichtung auf das Grab von vorne und mit etwa 60 Zentimeter nach links versetzt werde.

Der Verstorbene soll entscheiden

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Das daraufhin von der Klägerin angerufene Berufungsgericht gab dem Klagebegehren statt und ließ die Revision an den Obersten Gerichtshof zu, da zur Frage, ob für die Verlegung einer (Familien-)Grabstätte das Einvernehmen aller nahen Angehörigen der beerdigten Person beziehungsweise die Zustimmung all dieser Personen gegenüber dem Friedhofseigentümer beziehungsweise -verwalter erforderlich sei, keine höchstgerichtliche Rechtsprechung vorliegen würde. Der Oberste Gerichtshof pflichtete dem Berufungsgericht hinsichtlich seiner Klagsstattgebung zur Wiederherstellung des vorherigen Zustands bei.

In seiner rechtlichen Beurteilung verwies der Oberste Gerichtshof zunächst auf seine Rechtsprechung, hinsichtlich derer aus § 16 ABGB auch ein postmortales Persönlichkeitsrecht abgeleitet werden kann. Dieses umfasst auch die Frage, welche Veränderungen am Grab und Grabstein zulässig sind. Über solche Veränderungen soll primär der Verstorbene selbst entscheiden, weshalb dessen ausdrücklicher oder hypothetischer Wille bei einer beabsichtigten Umbettung, Exhumierung oder dergleichen maßgeblich ist. Liegt ein solcher Wille nicht vor oder ist dieser nicht durchführbar, treten in das Recht und die Pflicht, über den Leichnam zu bestimmen, die nächsten Angehörigen des Verstorbenen ein. Hervorzuheben ist dabei, dass es ausschließlich auf die Angehörigeneigenschaft sowie des "wirklich bestandenen Näheverhältnis" und nicht etwa auf die Erbenstellung ankommen soll.

Persönlichkeit als Grundwert

Im konkreten Fall war es unstrittig, dass der Klägerin, als Tochter der Verstorbenen, eben diese Angehörigenstellung und damit die Berechtigung, die Art der Totenfürsorge – gemeinsam mit den anderen nächsten Angehörigen der im Familiengrab beigesetzten Personen – zu bestimmen.

Zweifellos – dies wurde seitens der Beklagten auch nicht bestritten – handelte es sich bei der gegenständlichen Verlegung des Grabes um eine Veränderung beziehungsweise Gestaltung des Grabes, da die schutzwürdigen Interessen der Mutter der Klägerin, im Familiengrab beerdigt zu sein (und zu bleiben) dadurch verletzt wurden und hätte diese Veränderung sohin auch der Zustimmung der Klägerin bedurft.

Die eigenmächtige Verlegung der Steineinfriedung und des Familiengrabes weg von der Beisetzungsstelle des – ursprünglich im Familiengrab beerdigten – Leichnams der Mutter der Klägerin ist damit eine Verletzung des nach dem Tod fortwirkenden Persönlichkeitsrechts der Mutter der Klägerin und der Oberste Gerichtshof bestätigte daher die Entscheidung des Berufungsgerichts, wonach die beklagten Parteien schuldig sind, binnen 14 Tagen den Zustand der Gräber von April 2021 derart wiederherzustellen, dass das Grabdenkmal und die Einfriedung beider Gräber an die vorhergehende Position, sohin in Sichtrichtung auf das Grab von vorne um etwa 60 Zentimeter nach links versetzt werden.

Der Oberste Gerichtshof hat damit einmal mehr klargestellt, dass die Bestimmung des § 16 ABGB, wonach jeder Mensch angeborene, schon durch die Vernunft einleuchtende Rechte hat und daher als Person zu beachten ist, nicht als bloßer Programmsatz, sondern als Zentralnorm unserer Rechtsordnung anzusehen ist. Diese Norm anerkennt die Persönlichkeit als Grundwert und schützt in seinem Kernbereich die Menschenwürde, so der Oberste Gerichtshof. Dies auch über die Lebenszeit einer jeden Person hinaus. (Artikel zu 9 Ob 38/23p) (Julia Andras, Magdalena Kainz, 19.4.2024)