Ich bin drei Tage lang um fünf Uhr aufgestanden. Oder wie man es sagen würde, damit es irgendwie mehr nach Selfcare klingt: Ich war Teil des 5AM-Club. Mitglied ist, wer freiwillig um fünf Uhr in den Tag startet. Kern der Idee, die auf Autor und Motivationsredner Robin Sharma zurückgeht, ist, sich morgens mindestens eine zusätzliche Stunde für sich und die Beschäftigung mit sich selbst zu nehmen.

Viele verbringen die Zusatzstunde nach der 20-20-20-Methode: 20 Minuten Bewegung, 20 Minuten Lesen oder Lernen, 20 Minuten Selbstreflexion oder Visualisieren in Form von Dingen wie Tagebuch schreiben oder Affirmationen aufstellen. Auf den ersten Blick wirkt das für mich unverhältnismäßig. Ich soll mir also gleich lange Gedanken über mich und meine Ziele machen wie ich mich bewege? Außerdem rentiert es sich ja kaum, wegen 20 Minuten die Sportsachen anzuziehen.

Zu meinen prominenten Mitstreiterinnen im 5AM-Club zählen unter anderem Rom-Com-Legende Jennifer Aniston, Ex-First-Lady Michelle Obama, die ihren Tag angeblich noch etwas früher, um 4.30 Uhr, beginnt, oder auch Wellness-Aficionada Gwyneth Paltrow, die auch Ölziehen oder Saunieren (natürlich im hauseigenen Spa) in ihre Morgenroutine einfließen lässt. Kardashian-Jenner-Mutter Kris Jenner soll ebenfalls schon in den ganz frühen Morgenstunden in den Tag starten. Um 5 Uhr trinke sie bereits Kaffee, um 5.30 Uhr werden die Mails gecheckt, anschließend wird trainiert, um 9 Uhr sei sie bereit für das erste Meeting. Klingt gut, ist aber gleich weniger verlockend, wenn man das alles nicht wie Jenner auf der Terrasse einer Luxusvilla in den Hollywood Hills machen kann.

Drei Tage lang um fünf Uhr aufstehen, um die Zusatzstunde nach der 20-20-20-Methode zuzubringen: 20 Minuten Bewegung, 20 Minuten Lesen oder Lernen, 20 Minuten Selbstreflexion. Bringt das was?
Getty Images

Optimierung für 9-to-5ler

Klar ist, dass diese Methode natürlich vorrangig für all jene ein Spaß ist, die nicht sowieso um 5 Uhr schon im Job oder auf dem Weg dorthin sind. Eine Pflegekraft im Schichtdienst wird sich kaum für Sharmas Vorschläge interessieren, ebenso wenig wie alle, für die "5AM-Club" nicht bedeutet, ein bisschen auf der Yogamatte herumzuturnen, sondern die sich um die gleiche Zeit auf den Weg zur Baustelle zu machen.

An Wochentagen stehe ich normalerweise um 7.15 Uhr auf. Workouts, Meditation oder sonstige Selfcare-Maßnahmen stehen bei mir, bis ich zwischen acht und 8.30 Uhr zum Arbeiten aufbreche, dann nicht auf dem Plan. Auf einer Skala von Morgenmensch bis -muffel bewege ich mich definitiv auf der muffligen Seite. Mir ist es sehr recht, wenn's ruhig losgeht und ich mich nicht gleich nach dem Aufstehen beweisen muss. Sport macht mir ab neun Uhr Spaß. Davor fühle ich mich meist, als hätte ich ein Vielfaches meiner recht zarten Jahre am Buckel.

Auf Instagram berichten Frühaufsteherinnen, der 5-Uhr-Start in den Tag habe ihr Leben verändert, ihre Produktivität auf ein bisher ungeahntes Level gehoben, ihre Gesundheit geboostet. Wenn man nach Buchautor Sharma geht, haben Menschen zwischen 5 und 8 Uhr morgens die meiste Energie und können sich am besten fokussieren. Dass das bei mir auch so ist, bezweifle ich stark. Um auf meine angepeilten sieben Stunden Schlaf zu kommen, verschiebt sich meine optimale Bettgehzeit auf 22 Uhr, was die Nachteule in mir nicht begeistert.

Her mit dem doppelten Kaffee

Ich starte meinen Versuch an einem Montag. Als der Wecker um fünf Uhr läutet, überlege ich mir für ein, zwei Momente, den Versuch einfach sausen zu lassen. Überraschenderweise klettere ich doch aus dem Bett und gehe zur Tagesordnung über. Diese sagt: Sport. Ich entscheide mich für eine Yogaeinheit. Körperpartien, die sich sonst wie ein nagelneues Gummiband dehnen lassen, fühlen sich um diese Zeit eher an wie ein spröder Keilriemen. Na ja, erledigt ist erledigt. Jetzt: Lesen. Ich greife zum Buch eines Kollegen über einen eigenbrötlerischen Uhrmacher, das ich ohnehin gerade in Arbeit habe. Blöd nur, dass mir ständig die Augen zufallen. Kein Wunder, es ist ja auch 5.35 Uhr – eine Zeit, um die ich normalerweise nur wach bin, um einen Zug oder Flug zu erwischen. Dann: Reflexion. Ich schreibe auf, wofür ich heute dankbar bin, und fühle mich dabei wie das ärgste Basic White Girl in der Geschichte von "Basic White Girls".

Als ich mit meinem Prozedere durch bin, zeigt meine Armbanduhr 6.07 Uhr. Ich beschließe, mich mit einem ausgewogenen Frühstück zu verwöhnen. Es gibt Haferflocken mit Banane und Skyr für die Proteinzufuhr. Gefühlt hätte ich mir für das Theater zu dieser Zeit aber einen Burger mit Pommes verdient. Aus dem Schüsselstapel krame ich die unterste heraus, ein flaches Modell von Gmundner – heute werden alle Register gezogen. In der Arbeit brauche ich einen doppelten Kaffee, um meine Augen vor dem Bildschirm offen zu halten.

Der Lichtblick, wenn man sich schon freiwillig um 5 Uhr aus dem Bett hievt, um der Selbstoptimierung zu frönen: Frühstück.
privat

Power-Nap wider Willen

Tag zwei startet mit Regen. Wieder nichts mit Laufen, also noch einmal Yoga. Dieses Mal fordert mich Youtube-Yogi Madi Morrison dazu auf, am Ende ein Shavasana einzulegen. Das ist die sogenannte Totenhaltung, bei der man einfach ruhig auf der Matte liegt. Man ahnt es: Das Shavasana hat mich geknackt. Ich bin eingedöst. Nach meinem ungewollten 25-minütigen Power-Nap geht's weiter. Lesen, wach bleiben. Das Reflektieren verbinde ich damit, mir die Haare zu flechten. Einfach dazusitzen und zu sinnieren ist mir dann doch zu philosophisch. Mein Energielevel für den restlichen Tag ist, gelinde gesagt, unterirdisch. Den Kaffee zu brauchen und nicht aus Genuss zu trinken ist mir neu. Am Abend nicke ich vor 21.30 Uhr zur "Millionenshow" ein und mache damit sogar meiner Oma Konkurrenz.

Den dritten Versuchstag starte ich in meinen Laufschuhen. Es war witzig, einmal die zu sein, die läuft, und nicht die, die sich fragt, wer das um diese Zeit freiwillig tut. Durch das noch schlummernde Wien zu joggen hat mir eh gefallen. Ich gebe es zu. Passieren wird es trotzdem nicht mehr. Das Lesen schenke ich mir, reflektiert wird neben dem Bauen an meinem aktuellen Puzzle-Projekt, 1.000 Teile Malediven.

Resümee

5AM-Club-Ideengeber Sharma sagt, um sich an die neue Morgenroutine zu gewöhnen, braucht es mindestens 66 Tage. Von denen bin ich nach drei noch ein bisschen entfernt. Aber ganz ehrlich: Mir würde auch kein Grund einfallen, warum ich weitere 63 anhängen sollte. Wenn es mehr Strapaze als Genuss, mehr Müssen als Wollen ist, vielleicht ist es dann einfach nichts für mich. Lesen kann ich abends, sogar besser. Sporteln genauso. Reflektiert bleibe ich auch, wenn ich nicht 20 Minuten pro Tag dezidiert dafür deklariere.

Seinen Biorhythmus kann man zwar gewissermaßen anpassen, ihn nicht ganz außer Acht zu lassen macht dennoch Sinn. Und was genau jetzt schlechter daran sein soll, wenn man dasselbe Programm zwischen 23 und 24 Uhr statt in aller Früh zwischen fünf und sechs Uhr abspult, erschließt sich mir nicht. Und eine Jennifer Aniston werde ich ohnehin nicht mehr. (Nina Schrott, 18.4.2024)