Mit der anhaltenden Flaute in der Wirtschaft schlittern zunehmend auch etablierte und große Betriebe mit mehreren 100 Arbeitnehmern in die Insolvenz. Österreich sei auf dem Weg zu einem "Rekordpleitenjahr", warnen Gläubigerschützer. Fragt man Unternehmen, was ihnen Sorgen bereitet, so steht der Fachkräftemangel bei vielen derzeit nicht mehr ganz oben auf der Liste.

Vom Tisch ist das Problem aber nicht. Die Anzahl der beim AMS gemeldeten offenen Stellen vervierfachte sich von 2015 bis 2022. Auch wenn diese Zahl zuletzt wieder deutlich gesunken ist, verharrt sie auf hohem Niveau. Der Fachkräftemangel wird sich angesichts der demografischen Entwicklung sogar verschärfen. Das hält auch der Rechnungshof in seinem aktuellen Bericht zum Fachkräftemangel fest. Doch wie gut gerüstet ist Österreich für diese Zukunft? Konkret haben sich die Prüfer in den Zeitraum von 2015 bis 2022 vertieft, um abzuleiten, inwieweit die Politik mit ihren zahlreichen arbeitsmarkt- und bildungspolitischen Instrumenten auf das Problem reagiert.

Zwei junge Männer am Arbeitsplatz.
In Österreich hatten 2021 rund 17 Prozent der 25- bis 64-Jährigen maximal einen Pflichtschulabschluss. Die Arbeitslosigkeit ist in diesem Bereich besonders hoch.
APA/EVA MANHART

Den größten Mangel nehmen die Prüfer gleich vorweg: Es gibt sie, die Initiativen und Ansätze, die den Fachkräftemangel adressieren. Zahlreich, breit gestreut, mehr oder weniger gut dotiert. Allein die Gesamtstrategie, sie war nicht auszumachen. Und das, obwohl eine solche im Regierungsprogramm verankert ist. Auch das vorangegangene Regierungsprogramm 2017–2022 hätte ein Gesamtkonzept in Aussicht gestellt. Noch gibt es den Plan nicht.

Die Maßnahmen, die im Bericht zu einer Bestandsaufnahme zusammengetragen sind, sind weitgehend bekannt. Sie umfassen Ansätze im Schul- und Ausbildungssystem, in der Mobilisierung des österreichischen Arbeitskräftepotenzials, etwa durch höhere Erwerbsbeteiligung von Frauen, Älteren und Menschen mit Migrationshintergrund, in der Aus- und Weiterbildung über Schienen des AMS – und nicht zuletzt im Anwerben qualifizierter Arbeitskräfte aus dem Ausland.

Viele Teilzeitkräfte

Die Initiativen seien breit gestreut gewesen, räumt der RH ein und verweist darauf, dass die Beschäftigungsquote auch deutlich gestiegen sei. 2022 lag die Anzahl der unselbstständig Beschäftigten mit 3,91 Millionen auf einem historischen Höchststand. Knapp 30 Prozent waren allerdings 50 Jahre alt oder älter. Zum Vergleich: 2008 waren das 18 Prozent. Dazu kommt: Weniger Junge kommen nach. Eine Besonderheit streicht der Rechnungshof hervor: Die Zahl der geleisteten Arbeitsstunden blieb trotz mehr Beschäftigter gleich. Der Grund: Fast ein Drittel der Beschäftigten arbeitet nicht Vollzeit, vielfach sind es Frauen. Fehlende Kinderbetreuung, fehlende finanzielle Anreize, falsch gestrickte Sozialleistungen, all das gelte es genauer in den Blick zu nehmen, mahnen die Prüfer mehr Eifer ein.

Eine junge Frau in einem Berufsausbildungszentrum.
Hohe Hürden gibt es für Menschen ausländischer Herkunft. Der Rechnungshof fordert hier mehr Engagement.
APA/EVA MANHART

Ein weiterer Minuspunkt: hohe Arbeitslosigkeit und vergleichsweise geringe Erwerbsbeteiligung von Migrantinnen und Migranten. Immerhin besaß zum Stichtag 1. Jänner 2023 rund ein Fünftel der Bevölkerung nicht die österreichische Staatsbürgerschaft. Vor allem die Beschäftigungsquote bei Staatsangehörigen aus Afghanistan, dem Irak und Syrien sei mit 45 Prozent viel zu gering. Darauf gelte es einen besonderen Schwerpunkt zu legen, mahnen die Prüfer. Ganz grundsätzlich erfolge die arbeitsbezogene Migration in Österreich wenig gesteuert. Was die Anwerbung qualifizierter Arbeitskräfte aus Drittstaaten, etwa durch die Rot-Weiß-Rot-Karte, betrifft, so hatten die Prüfer dieses Instrument im vorangegangenen Bericht als zu kompliziert klassifiziert. Die staatliche Austrian Business Agency (ABA) würde zudem bei der Anwerbung ausländischer Fachkräfte Pflegekräfte außen vor lassen.

Bei der Bildung hapert es

Um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken, brauche es aber auch Maßnahmen im Bereich Bildung: "Ein mittleres und hohes Qualifikationsniveau wirkt sich positiv auf die Beschäftigungschancen und das Erwerbseinkommen aus, und es verringert das Arbeitslosigkeitsrisiko", so die Prüfer. Außerdem würde ein "nicht zu vernachlässigender Anteil" der Schülerinnen und Schüler über "keine ausreichenden Basiskenntnisse" in Lesen und Mathematik verfügen.

Insgesamt hapere es aber schon ganz am Anfang: Die Datenbasis würde den Überblick über den Bedarf an Fachkräften nicht präzise genug ermöglichen. In Österreich gebe es – anders als in Deutschland – kein Berufsregister. Wirtschaftsministerium und Sozialministerium legt der RH eine systematische Erfassung von Beruf und Beschäftigungsausmaß ans Herz.

Das zuständige Arbeits- und Wirtschaftsministerium verwies auf den mittlerweile installierten Strategieausschuss, an dem mehrere Ministerien, AMS sowie Sozialpartner teilnehmen, um eine Gesamtstrategie umzusetzen. "Die schwarz-grüne Bundesregierung hat mit ausdauernder Lethargie dabei zugesehen, wie eine ganze Generation peu à peu die verdiente Pension antritt, ohne eine Strategie zu entwickeln, wie man die nötigen Fachkräfte nachbesetzen oder gar erhalten kann", kritisierte die freiheitliche Sozialsprecherin Dagmar Belakowitsch. Die Neos forderten die Regierung auf, umgehend zu handeln. "Reden allein reicht nicht – wenn ÖVP und Grüne hier nicht endlich liefern, wird sich die Personalnot noch weiter verschärfen und Österreich als Wirtschaftsstandort immer unattraktiver", so Neos-Wirtschaftssprecher Gerald Loacker. (Regina Bruckner, 12.4.2024)