Susanne Raab mit gefalteten Händen
Erarbeitet im Auftrag des Bundeskanzlers eine "Leitkultur": Susanne Raab, Ministerin fürFrauen, Familie, Jugend und Integration.
Foto: APA / Eva Manhart

Ein Ruck ging durch die Republik, als eine politische Begabung aus dem Hausruckviertel – übrigens eine Gegend mit einem Faible für entrische Raunächte – eine gar schaurige volkstumspolitische Idee für einen ministeriellen Arbeitskreis gebar. Der Gedanke war derart groß, dass die Ministerin Expertinnen und Experten im Stile geheimniskrämerischer Diplomatie zum Ventilieren lud. Aber wie einst durch Nestroys Bäckermeister Kipfl mehrte sie die Verwirrung, was wiederum der Absurdität zum Licht verhalf.

Denn diese leidet an prinzipiellen anthropologischen, kulturtheoretischen und wissenschaftshistorischen Mängeln. Nur wer frei von Kenntnis oder über diese hinwegzusehen gewillt ist, kann einer derart aberwitzigen Idee zuliefern. Wer also mit einer Ministerin einer Partei für eine Partei in einem nationalen Wahlkampf über "Leitkultur" ventilieren möchte, sollte wissen, dass er/sie/es politisch und nicht kulturtheoretisch agiert. Obacht also!

Der Kulturbegriff der Österreichischen Volkspartei basierte immer schon auf einem binnenexotisch-kanonischen Folklorismus. Doch nicht immer hatte er den Charakter eines gnadenlos identitätspolitischen Kulturdiktates. Da gab es kurze Momente einer kosmopolitischen Ausrichtung, eingeleitet von klugen Köpfen wie dem Steirer Hanns Koren (Miterfinder des Steirischen Herbstes) und dem Wiener "bunten Vogel" Erhard Busek. Unter ihrer Politik verschränkten sich auf charmante Weise urbane Kulturpraktiken mit ländlicher "Volkskultur". Dabei ging es nicht darum, beide gegeneinander auszuspielen.

Politische Stubenmusi

Politische Kenner und Interessierte des Landes wird kaum überraschen, dass dieser Weltgeist auf einen Schlag mit der Regierung Schüssel I und unter der Hand einer Volksschullehrerin und Blechflötistin endete. Fortan pfiff das Kulturverständnis buchstäblich nur mehr aus einem Loch. Ein Rotweissrotes Liederbuch: Die schönsten Lieder präsentiert von Willi Molterer, Liesl Gehrer und Wolfgang Schüssel (Notensatz Johannes Reittinger) war damals der Gipfel österreichischer "Leitkultur". Die Stubenmusi "Drei fröhliche Minister" musizierte wie bei einem Abend des Katholischen Familienverbandes einen Kulturbegriff, der folgend es immer kellerfinsterer wurde, um zum Schluss Kultur vollständig aus der Präambel des Regierungsübereinkommens (Kurz I) verschwinden zu lassen.

So gesehen müsste man kurz aufatmend sagen, lieber keine Kultur als eine reaktionäre volkstumspolitische Kultur, und fragen: Was treibt eine Nicht-Kultur-Ministerin an, sich als Deutungsinstanz eines nationalen Kulturdiktates zu gerieren? Entweder ist es die eigene Ideenlosigkeit oder der Verlust der politischen Mitte. Wer nämlich ein Kulturkonzept in der Tradition unaufgeklärter identitätspolitischer Archetypik übernimmt, betreibt eine sinistre Kulturprogrammatik.

Geförderte "Volkskultur"

Erste Anzeichen für einen Verlust der Mitte bei der ÖVP machten sich mit einer ausgewiesenen Rekatholisierungspolitik, einem Plädoyer für das mehrheitlich katholische Brauchtum, bemerkbar. Die Brauchtumspolitik weitete sich mehr und mehr zu einem politischen Folklorismus aus, der hierzulande unter dem Begriff "Volkskultur" firmiert.

Volkskultur nun ist ein eigenes Genre innerhalb der Bundeskulturgesetzgebung. Dessen Fördergelder werden dezentral von lokal besetzten "Expertenteams" in den Ländern verteilt. Da kommen dann beispielsweise nach einem Beiratsbeschluss die Landestrachtenverbände in den Genuss von Förderungen, auch wenn sie dabei auf Materialien einer nationalsozialistischen Trachtenbeauftragten zurückgreifen. Ist das die Tradition, die sie meinen?

Festgefahrenes Korsett

So schwebt der Frau Ministerin wohl diese bodenständige "Leitkultur" vor, da sie Begriffe wie Tracht, Brauchtum und Traditionspflege bemüht. Sie könnte auch gleich das Volkskulturfördergesetz zur "Leitkultur" adeln. Als passende Leitfigur erböte sich ein erprobt trachtig gekleideter Politiker an, der gekonnt kulturalisiert sein Bier auf ex trinkt, den Bierkrug wie eine Trophäe in die Höhe reißt und strahlt wie ein Platzhirsch. Wer also Gedanken zu jedweder "Leitkultur" zu ventilieren bereit ist, muss wissen, dass dies entlang eines festgefahrenen Korsetts von Volkskultur erfolgt und nicht entlang von Arbeiten Olga Neuwirths, Elfriede Jelineks, Thomas Bernhards, H. C. Artmanns.

In Tracht und Dirndl zu beten, katholische Brauchtümer zu prononcieren, wallzufahren und derlei als nationale verbindliche Order auszugeben scheint die demokratiepolitisch bedeutsame Trennung von Staat und Kirche zu ignorieren. Volksfeste als "authentisch-typische" Kultur lancieren zu wollen hieße nichts anderes, als einem exzessiven Hendlverzehr mit dem dieses begleitenden zügellosen Biertrinken zu huldigen.

Kein Mensch braucht irgendein ideologisiertes Kulturdiktat, und ein solches erst recht nicht. Alles, was Leitkultur sein sollte, ist ein parlamentarisch zustande gekommenes Zivil- und Strafrecht. Nicht zuletzt, weil die Stärke der Demokratie die Garantie der Freiheit individueller Lebensstile ist. (Elsbeth Wallnöfer, 11.4.2024)