Public proceeding at the European Court of Human Rights
Die portugiesischen Jugendlichen klagen 32 Staaten, darunter Österreich. Im Herbst fand die Verhandlung statt, am Dienstag fällt das Urteil.
AFP/FREDERICK FLORIN

Tag der Entscheidung für Europas Klimaklagen: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) urteilt am Dienstag über Beschwerden, die Betroffene wegen fehlender Klimaschutzmaßnahmen gegen mehrere Staaten eingebracht haben. Die Entscheidungen wurden lange erwartet und könnten wegweisend für künftige Verfahren auf europäischer und nationaler Ebene werden. Die Verkündung der Urteile ist für 10.30 Uhr anberaumt.

Auf der Tagesordnung des EGMR stehen gleich drei Fälle: Im Jahr 2020 brachten sechs portugiesische Kinder und Jugendliche Beschwerden gegen 32 europäische Staaten ein, darunter auch Österreich. Die Jugendlichen machen geltend, dass fehlende Klimaschutzmaßnahmen zu Waldbränden führen, die sich gesundheitsschädigend auswirken. Ähnlich argumentieren die Schweizer "Klimaseniorinnen": Steigende Temperaturen würden die Gesundheit älterer Personen besonders gefährden. Die dritte Beschwerde brachte der ehemalige Bürgermeister des nordfranzösischen Grande-Synthe gegen Frankreich ein, weil seine Heimatgemeinde vom Anstieg des Meeresspiegels bedroht sei.

Ziel: Stärkere Maßnahmen

Die drei Klimaklagen eint ihr Ziel: Sie sollen Europas Staaten zu stärkeren Maßnahmen gegen die Klimakrise zwingen. Rechtlich argumentieren die Klägerinnen und Kläger mit zentralen Bestimmungen der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK). Sowohl das Recht auf Leben (Artikel 2) als auch das Recht auf Privat- und Familienleben (Artikel 8) würde Staaten dazu verpflichten, Menschen vor der Klimakrise zu bewahren.

Im Fall der Schweizer Klimaseniorinnen und des französischen Bürgermeisters fanden bereits im März 2023 öffentliche Verhandlungen statt; im Fall der portugiesischen Kinder im vergangenen Herbst. Dass sich der Gerichtshof überhaupt für eine öffentliche Verhandlungen entschieden habe, zeige, dass er dem Fall "überragende Bedeutung" beimisst, erklärte Wilhelm Bergthaler, Professor am Institut für Umweltrecht der JKU Linz, damals dem STANDARD. "Der EGMR signalisiert damit deutlich, dass er das Verfahren für grundlegend hält und er öffentlich Farbe bekennen muss."

Große Bedeutung

Die betroffenen Staaten argumentieren vor dem EGMR, dass sie nicht alleine für die Klimaerwärmung verantwortlich seien und deshalb nicht in Anspruch genommen werden dürften. Man könne nicht mit "ausreichender Sicherheit" sagen, dass die Erderwärmung für die konkreten Gefahren, die von Waldbränden ausgehen, verantwortlich ist, erklärte etwa die Republik Österreich in einer Stellungnahme an den EGMR. Selbst wenn dies der Fall wäre, hätte Österreich "keine Möglichkeit gehabt, entsprechende Gegenmaßnahmen zu ergreifen". Auch Gefahren, die weit in der Zukunft liegen, würden keine Verstöße gegen die Menschenrechtskonvention darstellen.

Ob die Klimakläger mit ihren Beschwerden Erfolg haben werden, ist offen. Im Fall einer Verurteilung könnte der EGMR eine Verletzung der Menschenrechtskonvention feststellen und Staaten theoretisch zu Entschädigungszahlungen verpflichten. Unabhängig vom Ergebnis dürfte das Verfahren jedenfalls enorme Ausstrahlungswirkung haben – vor allem nach Österreich. Hierzulande steht die Menschenrechtskonvention im Verfassungsrang und ist direkt anwendbar. Bei der Auslegung der Konvention orientiert sich der österreichische Verfassungsgerichtshof (VfGH) stark am EGMR.

VfGH wartet "gespannt"

Hierzulande sind Klimaklagen in der Vergangenheit vor allem aus formalen Gründen vor den Höchstgerichten gescheitert. So mancher Insider vermutet, dass der Verfassungsgerichtshof die Entscheidungen am EGMR abwarten will, bevor er sich selbst inhaltlich äußert. Einen Hinweis darauf lieferte VfGH-Präsident Christoph Grabenwarter zuletzt auch in einem Interview mit dem "Profil". "Warten wir einmal ab, was der Europäische Gerichtshof mit der Beschwerde der portugiesischen Jugendlichen macht", sagte Grabenwarter. "Auf diese Entscheidung warten wir als VfGH gespannt." (Jakob Pflügl, 9.4.2024)