Das Wirtschaftswachstum ankurbeln und den Beschäftigungsabbau am Bau verhindern – diese zwei Argumente waren zuletzt häufig zu hören, wenn es um das milliardenschwere Wohnpaket der Regierung ging. Dass vor allem gebaut werden soll, um die Wohnbedürfnisse der Menschen in Österreich zu befriedigen, ging dabei fast unter. Kritik daran kommt nun von Wissenschaftern. Sie fordern, Neubauten auf der grünen Wiese komplett zu stoppen und das Wohnen in Österreich auch angesichts sozialer Aspekte zu transformieren.

Unsere aktuelle Lebensweise führt dazu, dass viele Menschen auf das Auto angewiesen sind.
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Was das heißt? Wird der Schwerpunkt auf Neubauten gesetzt, wie es beim geplanten Baupaket der Fall ist, schadet das laut dem Sozialwissenschafter Richard Bärenthaler nicht nur der Umwelt, auch Probleme wie das Aussterben von Ortskernen oder die Einsamkeit im Alter würden verstärkt. Viele ältere Menschen leben heute alleine in großen Häusern. Konkret: Neun Prozent der Bevölkerung beanspruchen 24 Prozent der gesamten Wohnnutzfläche. Weiters würden Anreize für Häuslbauer und unsere gegenwärtige Lebensweise die Zersiedelung fördern und dafür sorgen, dass viele Menschen auf ein Auto angewiesen sind. Diese sozialen Themen seien vielen Österreicherinnen und Österreichern wichtig, glaubt Bärnthaler – anders als die Themen Nachhaltigkeit und Klimaschutz, für die sich nur bestimmte Milieus interessieren.

Bauen "auf Teufel kommt raus"

Bärnthaler fordert von der Politik daher, konkret aufzuzeigen, wie das Bauen "auf Teufel kommt raus" nicht nur ökologisch problematisch sei, sondern auch gesellschaftliche Nachteile mit sich bringe. Würde etwa vermehrt auf die Nutzung des Bestands gesetzt, könnten ältere Menschen am gesellschaftlichen Leben wieder mehr teilhaben, Ortskerne lebendiger werden und Kinder wieder auf Straßen spielen, sagte der Sozialwissenschafter bei einer Veranstaltung des Wissenschaftsnetzes Diskurs.

Laut einer aktuellen Untersuchung von Greenpeace stehen in Österreich 230.000 Wohnungen leer. Hinzu kommen viele weitere Wohneinheiten, die unterbelegt sind. Sie aufzuteilen, umzunutzen oder Wohngemeinschaften darin zu begründen wäre eine ökologisch und sozial sinnvolle Maßnahme, ebenso wie die Sanierung von Bestandsgebäuden. In einem nächsten Schritt, so Bärenthaler, sollten bestehende Gebäude weitergebaut und nachverdichtet werden. Erst wenn beides geschehen sei, sollte wieder neu gebaut werden.

Neue Beschäftigungsfelder

Und das Wirtschaftswachstum und die Jobs? Laut Bärnthaler kann beides auch durch Sanierungen und Umnutzungen angekurbelt werden, weil neue Beschäftigungsfelder entstehen würden. Für Vermieterinnen und Hausbesitzer sollte es von der Politik Anreize geben, ihre Häuser und Wohnungen zu vermieten oder umzubauen.

Auch Willi Haas vom Institut für Soziale Ökologie kritisiert, dass die Politik Knappheiten wie leistbaren Wohnraum durch Wachstum zu lösen versucht. Doch viele politische Entscheidungen – etwa mehr Geld für Wohnen – würden Probleme in anderen Bereichen hervorrufen. Und gerade Klima- und Umweltpolitik finde oft außerhalb der dafür zuständigen Ressorts statt. Es sei nun höchste Zeit, diese Zusammenhänge vermehrt herzustellen und eine andere Richtung einzuschlagen. Österreich, sagt Haas, sei kein Wachstumsland mehr und seit dem Zweiten Weltkrieg fertig gebaut. Ab jetzt sei es klug, mit den Ressourcen zu arbeiten, die schon da sind. (Bernadette Redl, 4.4.2024)