Sightseeing in Rom mit dem Rad? Macht niemand, obwohl man damit bis vors Kolosseum kommt und die Autofahrer überraschend entspannt reagieren.
Sightseeing in Rom mit dem Rad? Macht niemand, obwohl man damit bis vors Kolosseum kommt und die Autofahrer überraschend entspannt reagieren.
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Vom Fahrradsattel aus gesehen ist man immer nah dran. In Rom nicht nur an den Blechlawinen, sondern auch an den wunderbaren Palazzi, den maroden Häusern in den engen Gassen ebenso wie an verführerischen Eisdielen. Einfach mal stehen bleiben: kein Problem! Geparkt wird selbstredend direkt vor dem Petersdom, am Pantheon oder Kolosseum.

Schon nach den ersten Metern mutiere ich vom mitteleuropäischen Gewohnheitstier Straße um Straße zu etwas, dass es eigentlich gar nicht gibt: zu einem römischen Fahrradfahrer. Rechtsabbiegerspuren werden zum Fasttrack der Geradeausfahrer. Radler, die sich brav in die Geradeausspur einreihen, fühlen sich dagegen wie in einem Bienenschwarm aus Autos. Überall brummt es, und im Hirn summt es.

Schnell wird klar: Rom hat 900 Kirchen, aber mindestens genauso viele schlechte Straßen. Immer wieder Schlaglöcher und Kopfsteinpflaster, doch die Autofahrer sehen dich und sie umkurven dich. Elegant und gekonnt! Da ist nichts Eigensinniges wie auf österreichischen Straßen, sondern etwas sehr Achtsames.

Wie beim Massenstart

Als Fahrradfahrer mogelt man sich zu Hause an der roten Ampel meistens ganz nach vorne in die erste Reihe. Im Rom ist das anders: Erstens gibt es keinen Platz zum Durchmogeln, weil aus zwei Fahrbahnen drei gemacht werden und aus drei gerne auch mal vier, aber auch weil die erste Reihe stets besetzt ist. Für zehn bis zwölf Motorräder ist Platz, große und kleine, Scooter und Roller. Die Moto Guzzi, Vespa, Aprilia und andere reihen sich dann auf wie zum Massenstart. Und wenn es grün wird, heulen die Motoren auf, als sei die gewöhnliche Via eine Rennstrecke.

Radfahrerin im historischen Zentrum Roms. In der Drei-Millionen-Stadt ohne Radwege trefft der Autor an einem Sonntag auf acht Fahrradfahrer, Lieferdienste und die Radler am Tiber-Ufer nicht mitgerechnet.
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Ich suchte mir für meine ersten Radlererfahrungen in der italienischen Hauptstadt den Sonntag aus. Sonntags ist der Verkehr in Rom wie in Wien an einem geschäftigen Freitagnachmittag – für römische Verhältnisse also relativ ruhig. Der Concierge des Hotels Palazzo Naiadi, der mir das Fahrrad besorgt hat, fragte mich zwar nicht, ob ich verrückt sei, aber er vergewisserte sich, ob ich auch sicher sei, mit dem Fahrrad durch Rom fahren zu wollen. "Wir bieten auch eine tolle Golfcart-Tour durch die Stadt an", sagte er, um mich umstimmen zu können. "Super", antwortete ich, "vielleicht morgen …"

50 Stufen nach oben

In der Drei-Millionen-Stadt ohne Radwege treffe ich an diesem Sonntag auf acht Fahrradfahrer, Lieferdienste und die Radler am Tiber-Ufer nicht mitgerechnet. "Ohne Radwege" stimmt allerdings nicht ganz: Der Fahrradweg entlang des Tiber ist wunderbar, und die Strecke von der Tiber-Insel bis zur Engelsburg, dem Castel Sant’Angelo, kann man auf jeden Fall als einen Genusstrip empfehlen.

Wer aber zwischendurch Abstecher in die Stadt machen will, der muss seinen Drahtesel schweißtreibend vom Flussbett über steile Treppen nach oben schleppen. Jedes Mal rund 50 Stufen, ohne Lift, das sollte man schon wissen. Die anderen Fahrradwege, meist Pop-ups, während der Pandemie entstanden, sind inzwischen kaum noch auszumachen: Meist ist die Markierungsfarbe von den Autos bereits weggefahren worden.

Das Fahrrad ist uncool

Berichte, wonach die Römer während der Pandemie hundert Kilometer Radwege gebaut oder wenigstens markiert haben sollen, haben sich vor Ort nicht bewahrheitet. Die wenigen Fahrradfahrer, die ich treffe, sagen unisono: "No, no, no! Die haben nichts gemacht für uns! Ich kenne keine neuen Fahrradwege, und ich fahre jeden Tag quer durch Rom. Ich fühle mich wie vor Covid, wie ein Exot mit meinem Fahrrad", sagt Cristina (25), Assistentin, ausgerechnet in einer Filiale von Fiat.

Es ist Sonntag, ihr Freund ist dabei. "Zum Spaß Fahrrad fahren ist okay, aber als Verkehrsmittel ist ein Rad einfach nicht cool. Ich fahre zur Arbeit mit der Vespa", erklärt Flavio stolz. "Du musst wissen, wir Römer lieben unsere Vespa." Auch als Sportgerät sei das Fahrrad etwas anderes, sagt Flavio weiter: "Mit Renn­rädern in der Gruppe auf der Landstraße Speed machen: Ja, das ist fein!"

In Rom wurden Autos und Scooter immer bevorzugt, auch weil Rom eine Stadt auf der antiken Stadt ist.
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Flavio war an diesem Tag der einzige Mann auf einem Fahrrad, von den Lieferdiensten und den Radlern am Tiber-Ufer erneut abgesehen. Auch ich finde nur eine rot markierte Fahrradbahn im Zen­trum von Rom: Sie führt vom Tiber zum Circo Massimo, wo einst die Wagenrennen vor mehr als 100.000 Besuchern stattfanden. Heute drehe ich dort gemütlich eine Runde auf Schotter, fahre weiter übers Kolosseum zum Vittoriano, dem Nationaldenkmal in Rom: Die mickrige Fahrradspur dort wird aber weitgehend von den Massen der Fußgänger beansprucht.

Auch Franca fuhr rund 50 Jahre mit dem Fahrrad. Immer von zu Hause zum Campo de’ Fiori und zurück. Ihr dortiger Marktstand ist ihr zweites Zuhause: "Ich bin jetzt 88 Jahre alt, da geht das mit dem Fahrrad nicht mehr so gut. Schade!" Jetzt fährt sie U-Bahn. Doch auch deren Ausbau geht nur zäh voran. Kein Wunder: In Rom wurden Autos und Scooter immer bevorzugt, auch weil Rom eine Stadt auf der antiken Stadt ist. Wird irgendwo gegraben, stößt man schnell auf das antike Rom. Dann müssen erst die Archäologen kommen, Ausgrabungen finden statt, und der U-Bahn-Bau dauert auf einmal doppelt oder dreifach so lange wie geplant.

Einbahnstraße? Kein Problem!

Franca lässt mich verschiedene Oliven und einen gereiften Balsamico kosten, ich kaufe etwas Obst und mache mich wieder auf ins Einbahnstraßengewirr von Rom. Das kann zuweilen müde machen, weil man schnell mal vom Weg abkommt. Also befahre ich auch Fußgängerzonen und Einbahnstraßen gegen die Fahrtrichtung. Ich bin ja schließlich etwas, das es eigentlich gar nicht gibt.

Ein Fahrzeug der Carabinieri kommt mir entgegen. Doch ich habe das Gefühl, ich werde nicht einmal ignoriert. Die Augen hinter den schwarzen Sonnenbrillen interessieren sich nicht im Geringsten für einen Fahrradfahrer, der mitten in Rom gegen die Verkehrsregeln verstößt. Für die Schwarzhosen mit den eleganten roten Nahtstreifen ist der Straßenverkehr sowieso unwürdig, denn eigentlich gehört man als Carabinieri dem Militär an. Da interessiert doch kein Fahrradfahrer! Er wird, wie gesagt, nicht einmal wahrgenommen. Doch auch die Stadtpolizei stört sich nicht daran, dass ich meinen Weg zur Spanischen Treppe im Gewühl der Fußgängerzone bahne. Radler gibt’s halt einfach nicht. Deshalb sieht die Polizei nichts und sagt auch nichts.

Der Radweg entlang des Tiber verspricht ausnahmsweise entspanntes Radeln in Rom.
Der Radweg entlang des Tiber verspricht ausnahmsweise entspanntes Radeln in Rom.
Jochen Müssig

Das römische Meisterstück

Schließlich frage ich eine Polizistin nach dem Weg zur Piazza Navona. Das sei kompliziert, meint sie zunächst. Dann zeigt sie in die Einbahnstraße hinter ihr: "Fahren Sie am besten durch diese Straße. Das ist am einfachsten!" Sie deutet wohlgemerkt gegen die Fahrtrichtung und wünscht noch "una buona giornata". Abermals keinerlei Reaktionen: Niemand hupt, keiner schimpft. Dabei können Römer in Autos schimpfen wie die Rohrspatzen!

Roms Zentrum ist übersichtlich, eigentlich recht klein und weitgehend flach. Die berühmten sieben Hügel markierten schon zu Cäsars Zeiten die Stadtgrenzen. Zur Piazza della Repubblica geht’s auf dem abendlichen Heimweg jedoch langgestreckt bergauf. Da muss man ganz schön in die Pedale treten. Aber im Hotel warten nach dem langen Tag ein herrlicher Dachpool – ein seltener Luxus in Rom –, die Sauna und zwei Dampfbäder. Der Palazzo Naiadi wurde schließlich auf den Fundamenten der Thermen des Diokletian errichtet. Teile davon sind im Untergeschoß des Hotels unter Glas zu besichtigen. Mich zieht es nach der Tagestour aber aufs Dach des Hauses in den Pool. Nach der Eroberung von Rom per Drahtesel liegt mir nun die Stadt zu Füßen.

Vom Fahrradsattel aus gesehen ist man immer nah dran. In Rom nicht nur an den Blechlawinen, sondern auch an den wunderbaren Palazzi, den maroden Häusern in den engen Gassen ebenso wie an verführerischen Eisdielen.
Vom Fahrradsattel aus gesehen ist man immer nah dran. In Rom nicht nur an den Blechlawinen, sondern auch an den wunderbaren Palazzi, den maroden Häusern in den engen Gassen ebenso wie an verführerischen Eisdielen.
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Ein paar Tage später erzähle ich dem Taxifahrer, der mich zum Flughafen bringt, von meiner Erfahrung in seiner Stadt. Er dreht sich ungläubig zu mir nach hinten um, mustert mich ganz genau und sagt: "Wahnsinn! Und Sie leben noch!" (RONDO, Jochen Müssig, 7.4.2024)