Wien – Die Volkspartei dreht die Regler ihrer "Leitkultur"-Kampagne noch ein paar Stufen nach oben. Erst am Donnerstag lud die türkise Integrationsministerin Susanne Raab Expertinnen und Experten zum Gespräch darüber, wie ein gesellschaftlicher Grundkonsens zum positiven Zusammenleben in Österreich beitragen könnte, am Freitag kündigte sie eine Studie zum Thema an. Wobei die Ministerin auch betonte, dass ein Zusammenleben von Menschen aus unterschiedlichen Kulturen ja auf Basis solcher Prinzipien durchaus "bereichernd" sein könne.

Karl Nehammer lässt sich mit zwei Frauen fotografieren, alle tragen Tracht.
Dass Karl Nehammer Tracht-Fan ist, bewies er unter anderem beim Steirischen Bauernbundball. Jetzt wirbt er für "Tradition statt Multikulti".
Heribert Corn

"Tradition statt Multikulti"

Weniger differenziert ist die neue Social-Media-Kampagne, die am Freitag publik wurde. Die ÖVP schreibt die "Leitkultur" neuerdings mit Bindestrich und erklärt das so: Kultur lebe von den Menschen, die sie praktizieren. "Von den Leuten für die Leit – Leit-Kultur eben!" Unterstützerinnen und Unterstützer dieser These werden dazu aufgerufen, die neuen Sujets der Partei zu teilen.

"Integration durch Anpassung" wird da etwa propagiert, aber auch "Gleiche Rechte für Mann und Frau", "Tradition und Brauchtum" oder "Meinungsfreiheit und Demokratie" – jeweils versehen mit der Unterzeile "Das ist für die Leit-Kultur" (sic). Mit dem Slogan "Tradition statt Multikulti" scheint sich die Volkspartei überhaupt von der Idee der friedlichen Koexistenz mehrerer Kulturen zu verabschieden. Dass zum Text junge Männer in Tracht beim Tragen eines Maibaums gezeigt werden, lässt erahnen, wie die türkise Monokultur aussieht.

Junge männer in tracht tragen einen geschmückten maibaum, dazu der slogan
Die ÖVP zeichnet ein deutliches Bild der ihr vorschwebenden monokulturellen Gesellschaft.
ÖVP

Expertin sieht handwerkliche Fehler

Die Politikwissenschafterin Lore Hayek bekommt nach Analyse der Sujets "das Gefühl, die ÖVP kommuniziert hier nurmehr mit ihrer Kern-Kern-Wähler:innenschaft". Die Botschaften würden sich ausschließlich an ein ländlich-konservatives Publikum richten. "Urbane, liberalere Wähler:innen lässt man da komplett außen vor", sagt die auf Kommunikation und Kampagnen spezialisierte Forscherin von der Uni Innsbruck.

Zudem sei der Spruch "Das ist für die Leit-Kultur" handwerklich schlecht gemacht: "Ein Werbespruch soll ja entweder zum Schmunzeln oder zum Zustimmen bringen. Aber wenn er das Publikum nur verwirrt zurücklässt, erzielt er nicht seine Wirkung", sagt Hayek. Insgesamt solle man über gesellschaftliche Grundsätze durchaus diskutieren, findet die Wissenschafterin. Aber "die Volkspartei generiert ein ganz klischeehaftes Bild einer Leitkultur – das ist der Debatte nicht zuträglich".

Ist Blasmusik Leitkultur? Der Präsident des Österreichischen Blasmusikverbandes sagt, dass man den Begriff zuerst definieren müsse, um überhaupt "irgendetwas einordnen zu können".
Screenshot - Volkspartei auf X

Blasmusikverband distanziert sich

Im Gespräch mit dem STANDARD distanziert sich Erich Riegler, Präsident des Österreichischen Blasmusikverbands, vom Begriff der "Leitkultur". Er selbst könne mit diesem Wort "nichts anfangen", es sei nicht definiert, was damit gemeint sei. Parteien würden immer wieder denken, sie könnten die Blasmusik "einvernehmen", auch in den ÖVP-Sujets ist eine Blasmusikkapelle abgebildet. Der Blasmusikverband sei allerdings nicht parteipolitisch organisiert, sagt Riegler.

Für Schriftsteller Michael Köhlmeier ist "'Leitkultur' ein dummer Begriff. Kein Mensch will in seiner kulturellen Vorstellung geleitet werden", sagte er den "Vorarlberger Nachrichten". "Traditionen muss man hochhalten, aber mir kann doch egal sein, wenn Sie die Blasmusik nicht mögen“. Die ÖVP spiele in der Kampagne nur mit den Ressentiments der Bevölkerung, um der FPÖ nachzueifern: "Ich verachte diese Leute zutiefst. Weil sie genau wissen, was sie tun. Und weil sie uns weismachen wollen, dass sie etwas Gutes für uns tun", sagt Köhlmeier.

Kampagne geändert

Am Freitagnachmittag hat die Volkspartei das Werbesujet "Tradition statt Mulitkulti" von ihrer offiziellen Website gelöscht. Zudem wurde der Bindestrich der "für die 'Leit-Kultur'" von allen Sujets entfernt. Die Volkspartei spricht nun wieder von "Leitkultur". (Sebastian Fellner, Antonia Wagner, 29.3.2024)