ORF 1 abdrehen, weg mit Landesstudios, FM4 gehört weg, die ORF-Gebühr auch, aber erst später, und das Management muss jedenfalls weg: Die Regierungspartei FPÖ hatte 2019 einiges vor mit dem ORF, als die Veröffentlichung des Ibiza-Videos im Mai 2019 dem geplanten ORF-Gesetz von ÖVP und FPÖ gerade noch zuvorkam.

Im Nationalratswahljahr 2024 mit einer in Umfragen führenden FPÖ fördert der von der ÖVP initiierte Untersuchungsausschuss über "rot-blauen Machtmissbrauch" teils noch unveröffentlichte Chatprotokolle dazu zutage, was Freiheitliche bei ihrer letzten Regierungsbeteiligung unter Medienpolitik verstanden. Und sie dokumentieren eine Vielzahl von Namen in- und außerhalb des ORF, die der damalige Parteichef Heinz-Christian Strache damals als blaue Vertrauensleute wahrgenommen und in einer parteiinternen Whatsapp-Jobbörse für Funktionen im ORF empfohlen hat.

Heinz-Christian Strache im Dezember 2018 im Interview, damals Vizekanzler und FPÖ-Chef.
"Keine öffentlichen Angriffe mehr auf ORF/Leute, Müssen sie abschießen, nicht aufwerten!", postete der damalige Vizekanzler und FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache 2018/19 in FP-internen Chats.
Heribert Corn

Vertrauensfrau als Personalchefin

Chats mit Strache samt Interventionstipps kosteten im Herbst 2022 schon den 2018 nach dem Regierungswechsel zu ÖVP und FPÖ installierten TV-Chefredakteur Matthias Schrom den Job. Er kommt in der ORF-Chatgruppe von Strache etwa mit Infrastrukturminister Norbert Hofer und dem EU-Abgeordneten Harald Vilimsky, dem damaligen ORF-Stiftungsratsvorsitzenden Norbert Steger und damaligen ORF-Stiftungsräten (und blauen Hoffnungen für das ORF-Management) wie Franz Xaver Maurer als "unser" Chefredakteur vor.

Gefeiert wird im medienpolitischen blauen Gruppenchat die Installierung der blauen Vertrauensfrau Kathrin Zierhut als ORF-Personalchefin. Das langjährige Parteimitglied, zwischendurch laut Chats auch von der FPÖ als ehemalige Bezirksrätin in Wien kommuniziert, ist heute ORF-3-Co-Geschäftsführerin und eine blaue ORF-Hoffnung bei künftiger Regierungsbeteiligung.

Wehrschütz aufwerten

Korrespondent Christian Wehrschütz sollte nach den Chatvorstellungen führender Blauer von 2018/2019 aufgewertet werden, zumindest als Bürochef in Moskau, er sollte demnach das "Europastudio" statt Paul Lendvai leiten und künftig bei Bewerbungen als Landesdirektor etwa für Salzburg oder Linz von den Freiheitlichen unterstützt werden.

Eine Vielzahl von auch bekannten Namen wirft Heinz-Christian Strache immer wieder in diesem Chat als im ORF unterzubringen ein. Von einigen schickt er auch Chatnachrichten mit Jobinteressen in die Runde.

"Fit mit Philipp" will mit Strache "Weichen für mich" im ORF stellen

Straches Fitnesstrainer Philipp Jelinek schlägt in Straches Regierungszeit beim ORF auf und wird danach, während der Corona-Lockdowns, mit eigener Sendung "Fit mit Philipp" zum neuen Fitnesscoach der Fernsehnation. Jelinek chattet laut Protokollen ausführlich mit dem blauen Vizekanzler und bittet um Support: Er will "Guten Morgen Österreich" moderieren und versucht umgekehrt, über ORF-Interna zu informieren. Jelinek schreibt etwa: "Lieber Heinz, der Kuchen wird jetzt verteilt ... wir müssen dringend die Weichen für mich stellen." Strache drängt darauf dann auch in der blauen Chatgruppe.

"Bitte auch dahinter sein, dass Andi Gabalier endlich auf Ö3 gespielt wird."

Der damalige Vizekanzler hat in der Gruppe noch viel weiter gehende Anliegen: "Bitte auch dahinter sein, dass Andi Gabalier endlich auf Ö3 gespielt wird", wirft Strache einmal zwischendurch ein. "Ist irre, dass der boykottiert wird!"

"Seitenblicke"-Ausschreibung

Wäre das Ibiza-Video 2019 nicht dazwischengekommen, die ORF-Societysendung "Seitenblicke" würde inzwischen womöglich von einer Produktionsfirma des deutschen Springer-Konzerns zugeliefert, mit der die langjährige "Bild"-Journalistin Dora Varro als Produzentin 2018/19 ein Format namens "Europa backstage" dem ORF zulieferte. Laut Chats setzen sich Stiftungsratschef Steger und andere im ORF für die Ausschreibung des Societyformats nach Auslaufen des Vertrags mit Ende 2019 ein. Strache postet Varros Bitte an ihn, "Daumen zu drücken", nach erfolgter Ausschreibung in die Chatgruppe – und gleich danach: "Bitte voll unterstützten!" Steger antwortet, er und Fraktionschef Maurer hätten das verlangt, und schreibt Strache: "Im nächsten Schritt kommt sie – wenn sie ein gutes Angebot macht – unter die besten 3! Ich bitte Dich und BM Hofer um Unterstützung!"

"Müssen sie abschießen, nicht aufwerten!"

Nach öffentlichem FPÖ-Protest über eine Moderatorin sieht sich der damalige ORF-Chef Alexander Wrabetz außerstande, eine Journalistin quasi auf öffentlichen Zuruf abzuziehen, berichtet Stiftungsratschef Steger im Chat von Wrabetz' Argumentation. Daraufhin schreibt Strache: "Keine öffentlichen Angriffe mehr auf ORF/Leute, Müssen sie abschießen, nicht aufwerten! Lg"

Als "akkordiert" bestätigt Strache Stiftungsrat Stegers Chatrundfrage, ob eine vom Kabinettchef des damaligen Innenministers Herbert Kickl übermittelte Besetzungsliste für ORF On so mit der ÖVP ausgehandelt wurde. Über die Besetzung mit dem langjährigen ORF-Journalisten Gerhard Jelinek als Chefredakteur von ORF.at, einer "Kurier"-Journalistin als Vize und Innenpolitikchefin und einem früheren FPÖ-Mitarbeiter als Geschäftsführer wurde etwa vom STANDARD schon berichtet.

"Du kannst dich auf mich verlassen"

Ein langjähriger ORF-Manager mit bekannt guten blauen Kontakten kommt in den Chatprotokollen zum Untersuchungsausschuss, die dem STANDARD vorliegen, sehr ausführlich vor. Thomas Prantner, nach seiner Bewerbung 2021 um die Funktion des ORF-Generals seit Herbst 2022 Unternehmensberater, war lange und auch 2018/19 als Vizetechnikdirektor zuständig für Onlineaktivitäten des ORF. In den Chats mit dem damaligen Vizekanzler Strache schickt er viele Belege für "große" und prominent platzierte Berichte über die FPÖ auf ORF.at und in der TVthek. Auf Beschwerden etwa von Strache über mangelnde Berücksichtigung oder aus Sicht der FPÖ nicht gerechtfertigte Darstellungen auf ORF.at reagierte er laut Chats umgehend mit Anrufen bei der Chefredaktion.

Prantner schreibt etwa von Berichterstattung "wie besprochen" oder: "Lieber HC, ... Du kannst Dich auf mich verlassen." Nach Beschwerden: "Es wird versucht, alle meine nachweislich erfolgreichen Bemühungen, dass die Berichterstattung über FPÖ auf ORF.at besser und umfangreicher wird, zunichte zu machen! Ich bin der einzige im gesamten ORF, der sich für eine faire Behandlung der FPÖ auf ORF.at ins Zeug gelegt hat (habe Dir alles übergeben!!) – und das ohne dass mir eine einzige personelle Änderung möglich gemacht wurde." Und: "Bin (seit vielen Jahren) zu jeder Tages- und Nachtzeit da, wenn ihr etwas braucht. Meistens erfolgreich. Ich bitte dich, dass das anerkannt und auch von Dir innerhalb der Parteispitze kommuniziert wird." Er reportiert Strache etwa auch, er habe Unternehmer Sigi Wolf "top platziert auf ORF.at und im ORF-Teletext. Alles positiv erledigt".

"Totale Personalrochaden"

Bereits veröffentlicht wurden Chats aus der parteiinternen Whatsapp-Gruppe zur ORF-Politik darüber, dass die ORF-Führung unter dem damaligen Generaldirektor Alexander Wrabetz mit einem neuen ORF-Gesetz abgelöst werden müsse. Strache schrieb etwa, es brauche "ein ORF-Gesetz, wo totale Personalrochaden, Neubesetzungen möglich werden!". Geplant war es für Juni 2019, spätestens 2021 sollte auch die GIS abgeschafft werden und der ORF aus dem Budget finanziert.

Als FPÖ-Kandidaten für einen neuen ORF-Vorstand werden in den Chats etwa die der FPÖ zugeordneten damaligen ORF-Stiftungsräte Franz Xaver Maurer und Markus Braun (nur Namensgleichheit mit Wirecard-Vorstand) genannt – wenn Stiftungsräte ins Direktorium wechseln könnten (was die freilich rechtlich nicht bindenden ORF-Compliance-Regeln untersagen).

ORF 1 streichen, Landesstudios zusammenlegen, "FM4 gehört weg"

Damit sollten massive Kürzungen im ORF einhergehen, wie aus den Chats hervorgeht. Der damalige FP-Fraktionssprecher im Stiftungsrat, Franz Maurer, berichtet von seinen Berechnungen mit Kathrin Zierhut für ein Ende der GIS-Finanzierung: Man wolle die Werbeeinnahmen des ORF deutlich steigern und zugleich den ORF recht radikal kürzen; ORF 1 sollte nach ihrem Konzept eingestellt werden und Landesstudios zusammengelegt. Strache will die Länder-ORFs laut Chats mal streichen, mal sieht er sie als Mittel für blauen Personalaufbau, mal will er jeweils Landesdirektion und Chefredaktion zusammenlegen.

Stiftungsratschef Steger will laut Chats auch etwas streichen, wiewohl aus inhaltlichen Gründen: "Radio ist derzeit feindselig, ein neuer Chef ändert weniger als die Zerschlagung der Struktur! FM4 gehört weg, die Journalisten müssen nicht übernommen werden!!!" Anlass: Strache reklamierte in einem neuen ORF-Vorstand mit vier Mitgliedern die Ressorts Digital und Radio sowie Finanzen und Personal für die FPÖ.

Nach Straches Rücktritt verlässt laut Protokoll Minister Norbert Hofer die Chatgruppe, was Steger bedauert. Er hätte auch ihm gern in der Gruppe berichtet, wie er dort nun postet, dass Prantner in diesen Mai-Tagen 2019 den bürgerlichen Stiftungsratsvize Franz Medwenitsch an seine langjährige Treue gegenüber den Bürgerlichen im ORF erinnert habe. Nach dieser Behauptung verlässt auch Steger die blaue Chatgruppe. Prantner hat sich in dreieinhalb Jahrzehnten im ORF in alle politischen Richtungen vernetzt. Bei blauer Regierungsbeteiligung wird er etwa als möglicher ORF-Stiftungsrat gehandelt.

Prantner: "Mir war immer Gleichbehandlung aller Parteien wichtig"

Thomas Prantner erklärt zu den nun bekanntgewordenen Chats auf STANDARD-Anfrage am Freitag: "Es ist kein Geheimnis, dass ich auch Ansprechpartner für die FPÖ im ORF war. Es gab seitens der FPÖ immer wieder massive Beschwerden wegen Benachteiligung in der Berichterstattung auf ORF.at – und dies in manchen Fällen nicht ganz zu Unrecht. Mir war als Onlinechef immer die Gleichbehandlung aller Parteien in der Berichterstattung wichtig, und dafür habe ich mich auch eingesetzt."

Prantner: "Der FPÖ und ihrem damaligen Obmann habe ich umgekehrt dann auch immer wieder kommuniziert, dass ORF.at selbstverständlich auch über die FPÖ umfassend und groß berichtet. Die Entscheidung über die redaktionelle Berichterstattung lag klarerweise beim Chefredakteur."

Nachsatz des ehemaligen ORF-Onlinechefs: "Da ich aus dem ORF Ende September 2022 ausgeschieden bin und nun in der Privatwirtschaft tätig bin, ist die Veröffentlichung dieser Chats irrelevant."

Wehrschütz: Bewerbung 2011 "hatte rein familiäre Gründe"

Christian Wehrschütz reagiert in einer Stellungnahme an STANDARD und "Profil": "Der damalige Generaldirektor des ORF, Alexander Wrabetz, hat mich in Frühjahr 2021 gefragt, ob ich nach Moskau als ORF-Korrespondent gehen möchte. Nach reiflicher Überlegung habe ich abgelehnt, weil ich nicht bereit war, die Ukraine und den Balkan aufzugeben. Wie richtig diese Entscheidung war, hat die Entwicklung seit Februar 2022 gezeigt. Erörtert habe ich diese Frage nur mit meiner Familie. Die FPÖ oder/und Herr Strache spielten dabei keine Rolle.“

Weiters verweist Wehrschütz auf seine Bewerbung als ORF-Generaldirektor 2011: "Ich habe mich immer wieder für Funktionen im ORF beworben, so 2011 auch für die Funktion des GD! Damals bekam ich - wie von mir erwartet - keine Stimme im Stiftungsrat, somit auch nicht von der FPÖ. Die Bewerbung hatte rein familiäre Gründe, während sich der Blätterwald in allen möglichen falschen Spekulationen erging. Mein kollegialer Rat: vermeiden Sie die Wiederholung dieses Fehlers. Das Vertrauen in viele Medien ist ohnehin endenwollend."

Und zu Norbert Steger: "Ich habe mich für keine Stelle beworben, somit sind all diese ,Sandkastenspiele' ein Thema, das Sie mit Norbert Steger erörtern müssen."

DER STANDARD ersuchte neben Prantner und Wehrschütz auch Zierhut, Jelinek und Varro am Freitag um Stellungnahme. Wir ergänzen diese bei Vorliegen.

In der "ZiB2" am Freitagabend bestritt Zierhut, ORF-Kürzungskonzepte mit FPÖ-Politikern ausgearbeitet zu haben.

"Wir brauchen einen viel stärkeren Schutz des ORF vor parteipolitischer Einflussnahme", sagte indes Daniela Kraus, Generalsekretärin des Presseclubs Concordia in der "ZiB2". Parteien würden Medienpolitik "als Versuch sehen, Einfluss zu nehmen auf die öffentliche Meinung." Weiters sagte sie: "Wir haben sehr viele sehr gute Journalisten und Journalistinnen, die sehr professionell arbeiten." Zu große Nähe sei die "Ausnahme, nicht die Regel".

Video: Daniela Kraus, Generalsekretärin des Presseclubs Concordia, nimmt zu aufgetauchten Chats und ORF-Personalwünschen der FPÖ Stellung
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Für Neos sind die Chats Beleg dafür, dass die Medienpolitik der FPÖ "demokratiegefährdend" sei und es nur darum gehe, auf der einen Seite "um jeden Preis blaue Leute in wichtige Positionen zu hieven – unabhängig ihrer Qualifikation" und auf der anderen Seite unliebsame und kritische Journalistinnen und Journalisten "auszumisten". Die FPÖ sei nie an einer Entpolitisierung des ORF interessiert gewesen, so Fraktionsführer Yannick Shetty – damals nicht, heute nicht: "Im Gegenteil: Der FPÖ ging es immer nur um die blaue Umfärbung des ORF, Postenschacher in Reinkultur. Umso wichtiger ist es, dass der Öffentlich-Rechtliche endlich aus den parteipolitischen Fesseln herausgelöst wird, um wirklich unabhängig berichten zu können." (Harald Fidler, 29.3.2024)