Wien – Die lange Leine des Teamchefs, von der Marcel Sabitzer spricht, manifestiert sich beim Teamabend. Es ist März 2023, es könnte aber auch jedes andere Datum sein. Das österreichische Nationalteam kommt in einem Wirtshaus zusammen, um sich im oberösterreichischen Windischgarsten auf die EM-Qualifikation einzuschwören. Sogar der verletzte Marko Arnautovic ist dabei.

Teamchef Ralf Rangnick hält eine Motivationsrede und landet bei der Frage, ob die Spieler an dem Abend Alkohol konsumieren dürfen. Er verlasse sich auf jeden einzelnen: "Ich habe natürlich nichts dagegen, wenn jemand ein Bier oder ein Glas Wein trinken möchte. Wenn er es gut verträgt, dann auch zwei", sagte Rangnick. Die Spieler seien erwachsen: "Wenn sie im Spiel mutige, richtige Entscheidungen treffen sollen, muss ich sie auch abseits des Platzes behandeln wie junge Männer."

Philipp Sassmann filmt das Nationalteam - zu sehen in der Doku
Philipp Sassmann filmt das Nationalteam – zu sehen in der Doku "Teamgeist – unser Weg zur EM".
ÖFB/Kelemen

Bilder aus dem "heiligen Ort"

Zu Alkoholexzessen dürfte es nicht gekommen sein, zumindest sind keine dokumentiert. Und im Trainingslager verteilt Rangnick noch Karabinerhaken an alle. Sie sollen den Zusammenhalt innerhalb der Mannschaft symbolisieren. "Das verbindet uns in den nächsten eineinhalb Jahren bis zum Finale in Berlin." Die EM-Qualifikation ist mittlerweile längst geschafft, der Weg nach Berlin ist aber noch weit. Daran ändern auch die jüngsten Siege gegen die Slowakei und die Türkei nichts. Die Szenen im Herzen der Nationalmannschaft hat Philipp Sassmann festgehalten. Er begleitet das Team seit zwölf Jahren, um es für den Österreichischen Fußballbund für ÖFB TV zu präsentieren. Ein Novum ist, dass es jetzt auch Bilder aus der Kabine gibt, dem "heiligen Ort".

Teamchef Ralf Rangnick bei einer Kabinenansprache.
Teamchef Ralf Rangnick bei einer Kabinenansprache.
Canal Plus

Als Türöffner des Projekts fungierten Ralf Rangnick und Thomas Trukesitz, der Pressesprecher des Nationalteams und Sportchef des Bezahlsenders Canal+ in Personalunion ist. Eine Doppelrolle, die es womöglich nur in Österreich gibt und von der beide Seiten profitieren. Der ÖFB macht Werbung für sich selbst, und Canal+ darf sie zeigen. Und so ist "Teamgeist – unser Weg zur EM" auch einzuordnen: eine PR-Doku, die ab diesem Freitag in vorerst vier Teilen auf Canal+ zu sehen ist – und ab 24. Mai auch im ORF. An zwei weiteren Teilen wird noch gearbeitet. Die Interviews mit den Spielern führte Trukesitz selbst.

"Vertrauen der Spieler"

Dass Ralf Rangnick viel Wert auf die Außenwirkung des Teams legt, ist bekannt. Das geht von der Stadionfrage über den eigenen, von ihm initiierten, leider misslungenen Song "Hoch gwimmas (n)imma" von Christopher Seiler und Paul Pizzera bis eben zur neuen Fußballdoku, die erstmals in der Geschichte des ÖFB hinter die Kulissen des Teams blickt. Während ORF-Reporter Peter Elstner im Jahr 1989 noch vergeblich versuchte, nach dem Entscheidungsspiel in der WM-Quali gegen die DDR in die Kabine des Teams zu kommen ("Pepi, lass' mi eine"), so macht das jetzt Philipp Sassmann mit Selbstverständlichkeit und Zurückhaltung gleichermaßen. Durch die jahrelange Zusammenarbeit genieße er das "Vertrauen der Spieler und des Betreuerstabes", sagt er im Gespräch mit dem STANDARD.

Ob in Baku oder in Wien: Sassmann ist mit seiner Firma New Media Film seit Jahren bei allen Spielen des Nationalteams dabei. Das umfasst auch mehrtätige Trainingslager und das Wohnen im Hotel, dementsprechend groß ist das Vertrauensverhältnis. Egal ob das jetzt eine Physiotherapie ist oder eine Taktikbesprechung, Sassmann hat fast überall Zutritt und darf mitfilmen. Nur die Dusche ist tabu. Am besten macht er es, wenn es niemand bemerkt, denn die Konzentration der Spieler ist heilig. Und so gewährt die Doku auch sehenswerte Einblicke in Rangnicks Kabinenansprachen, wie etwa in der Pause Taktisches besprochen wird, Kapitän David Alaba laut wird oder sich beschwert, weil das Klopfen an der Kabinentür zu vehement war. "Who did this?", fragt er mit bösem Blick einen Uefa-Delegierten, der die Mannschaft aus der Pause holt.

Viele Rädchen im Getriebe

"Ansonsten sieht man die Spieler immer nur am Platz", sagt Sassmann, und bemerke nicht, wie viel Arbeit und Akribie in die Vorbereitung fließe. Diese Szenen sollen Kinder motivieren, fokussiert zu bleiben, hofft er. "Alaba ist ein wahnsinnig fleißiger Mensch." Das Schöne an der Doku ist, dass nicht nur die Spieler und das Trainerteam interviewt werden, sondern auch andere aus dem Tross vor den Vorhang kommen. Ob das jetzt Koch Fritz Grampelhuber ist, Busfahrer Stefan "Bussi" Kutsenits oder die Zeugwarte Walter Lachnit* und Jovo Marjanovic, die von ihrer Arbeit erzählen. Hier wird klar, wie viele Rädchen so eine Maschine braucht.

Burgstallers zwölf Minuten

Amüsant wird es, wenn im vierten Teil der Doku Guido Burgstallers legendärer Auftritt in Aserbaidschan zum Thema wird. "Ich habe mir gedacht: Scheißdreck, was habe ich da aufgeführt?", rekapituliert er das zwölf Minuten dauernde geschichtsträchtige Comeback, nachdem er mit Gelb-Rot vom Platz geflogen ist. Im Mannschaftsbus kommt es danach zu Burgstaller-Fangesängen. "Burgi, du weißt, wie sehr ich dich liebe", sagt Marko Arnautovic und verspricht, er werde mit dem Trainer reden, damit "Burgi" wieder einberufen werde. "Einmal muss er noch mit mir spielen." Das Interview fand allerdings vor dem Video statt, das Burgstallers homophoben Aussetzer nach dem Derbysieg gegen die Wiener Austria dokumentierte.

Der Perfektionist

Was der ÖFB-Doku gelingt, ist, das Stimmungsbild eines homogen wirkenden, eingeschworen Teams zu liefern. Alles wirkt authentisch, jeder kämpft für jeden. Hervorzuheben ist mit seinem lockeren Spruch etwa Michael Gregoritsch, der im zweiten Qualispiel gegen Aserbaidschan zuerst einen Elfmeter verschoss, um dann kurz vor Schluss doch noch das umjubelte Siegestor zu erzielen. Dass in der gesamten Produktion keine kritischen Töne, sondern Rangnick-Huldigungen en masse zu hören sind, ist einerseits wohl dem guten Teamklima geschuldet, andererseits aber auch kein Zufall. Denn für die Auswahl der Szenen war neben anderen auch Rangnick zuständig. Ein Perfektionist auf allen Ebenen und auch einer, der etwas von PR versteht. (Oliver Mark, 29.3.2024)

*Erratum: Wir gaben dem Zeugwart in der ersten Fassung einen falschen Namen.