Botschafterin Linda Thomas-Greenfield zeigte am Montagabend im Namen der USA bei der Abstimmung über eine Gaza-Resolution ihre Stimmenthaltung an.
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Zum ersten Mal seit Kriegsbeginn in Gaza kam eine Resolution des UN-Sicherheitsrats zustande, in der Israel und die Hamas zu einer sofortigen vorübergehenden Waffenruhe aufgerufen werden. Nach der Abstimmung gab es Applaus, Israel reagierte empört. DER STANDARD hat die wichtigsten Fragen und Antworten zusammengetragen.

Frage: Warum hat es so lange gedauert, bis eine Resolution angenommen wurde?

Antwort: Bis jetzt ist ein solcher Aufruf stets am Veto eines der Mitglieder gescheitert, zumeist an jenem der USA, zuletzt am Einspruch von Russland und China. Diesmal gab es kein Veto. Die USA, Israels engster Verbündeter, haben zwar nicht für die Resolution gestimmt, weil man eine klare Verurteilung der Hamas vermisste, sie haben sich aber der Stimme enthalten. Damit ging das Votum durch.

Frage: Israel reagierte mit Empörung. Ministerpräsident Benjamin Netanjahu erklärte, das Stimmverhalten der USA "schadet unseren Kriegsanstrengungen", Verteidigungsminister Joav Gallant nannte die Entscheidung "skandalös". Warum?

Antwort: Das liegt weniger am Inhalt der Resolution als an den Begleitumständen. Israel stößt sich offiziell zwar auch an der Tatsache, dass die Freilassung aller Geiseln in dem Resolutionstext nicht als Vorbedingung für die Waffenruhe genannt wird. Inoffiziell geht es aber wohl um anderes. Nüchtern betrachtet hatte Israel nämlich selbst bereits sein Einverständnis mit den Punkten der Resolution gezeigt, und zwar im Zuge der Verhandlungen über einen neuen Geisel-Deal in Paris. Dort hatte man einer temporären Waffenruhe zugestimmt, die sogar deutlich länger gewesen wäre, als es die Resolution vorsieht – diese beinhaltet ja nur für eine Kampfpause bis zum Ende des Ramadan, also bis etwa 11. April. Auch die Geiseln betreffend war man in dem von Israel akzeptierten Pariser Entwurf von einer bedingungslosen Freilassung sogar weit entfernt gewesen. Israel hatte im Gegenzug einer Enthaftung von 400 palästinensischen Gefangenen zugestimmt.

Frage: Worum geht es also tatsächlich?

Antwort: Dicke Luft zwischen Israel und den USA gibt es schon seit längerem, und der Israel-Besuch von US-Außenminister Antony Blinken am vergangenen Freitag dürfte nicht dazu beigetragen haben, die Stimmung aufzuhellen – eher im Gegenteil. Kurz nach Blinkens Abreise erklärte Netanjahu fast trotzig, man werde die umstrittene Militärinvasion in Rafah notfalls auch ohne Unterstützung der USA durchführen. Und Blinken warnte Israel davor, sich international "zu isolieren".

Der Hickhack setzte sich zu Beginn der Woche fort. Die USA warnten Israel vor, man werde im UN-Sicherheitsrat kein Veto einlegen. Man betonte aber, dass das keiner Änderung der US-Linie gleichkomme – schließlich hatten die USA schon am Freitag einen Resolutionsentwurf eingebracht, der ebenfalls eine Waffenruhe forderte. Netanjahu sah das anders. Er witterte einen Rückzug der USA von seiner klaren Unterstützung des israelischen Kampfes gegen die Hamas. Netanjahu drohte damit, eine geplante israelische Delegationsreise nach Washington abzusagen. Die USA zeigten sich davon wenig beeindruckt, es kam wie angekündigt zur Stimmenthaltung im Sicherheitsrat. Und Netanjahu machte Ernst: Die Delegation, bestehend aus Strategieminister Ron Dermer und dem Nationalen Sicherheitsberater Tzachi Hanegbi, blieb zu Hause. Das Weiße Haus zeigte sich darüber mit den Worten seines Sprechers John Kirby "sehr enttäuscht". Die beiden waren eingeladen worden, um auf Wunsch von US-Präsident Joe Biden mögliche Alternativen zu einer Militärinvasion in Rafah zu diskutieren. Israel hält an der Invasion fest, Washington hält es für möglich, die Hamas vor Ort auch mit anderen Mitteln zu schlagen.

Frage: Wie reagiert man in Israel auf die schwere Krise zwischen den USA und Israel?

Antwort: Unterschiedlich. Rechte Hardliner sehen die Verantwortung bei Washington und halten Netanjahus Verhalten – also den Rückzug der Delegation – für gerechtfertigt. Gemäßigtere Politiker, etwa der Minister im Kriegskabinett, Benny Gantz, üben Kritik an Netanjahu, sie halten seine Reaktion für überzogen. Es wäre nicht nur richtig, die Delegation trotz allem in die USA zu schicken, sondern darüber hinaus auch angesagt, dass Netanjahu selbst nach Washington reist. Diese Bemerkung fiel entweder unüberlegt, oder aber sie war Ausdruck eines für Gantz eher untypischen bitterbösen Sarkasmus: Netanjahu wartet nämlich bis heute vergeblich auf eine persönliche Einladung ins Weiße Haus.

Frage: Könnte die Krise dazu führen, dass die USA Israel Unterstützung entziehen?

Antwort: Eher nicht. Zumal Washington schon am Montag betont hat, die Entscheidung des UN-Sicherheitsrats sei "nicht bindend" – was zwar rein rechtlich betrachtet nicht stimmt, aber wohl ein Signal dafür ist, dass die USA möglichen Sanktionen gegen Israel nicht zustimmen würden. Solche Sanktionen wären aber das einzige Druckmittel, um Israel zu zwingen, sich an die Resolution zu halten. Außerdem hat Washington am Montag bekanntgegeben, dass es Israels Kriegsführung in Gaza für völkerrechtskonform hält und folglich weiterhin an seinen Waffenlieferungen festhält. Man könnte im Fall des US-amerikanischen Abstimmungsverhaltens also sagen: viel Resolutionslärm um nichts.

An der humanitären Katastrophe im Gazastreifen, die einige Länder mit dem Abwerfen von Hilfsgütern aus Flugzeugen zu lindern versuchen, wird sich auch nach der Abstimmung im UN-Sicherheitsrat wohl nichts ändern.
AP/Mahmoud Essa

Frage: Wie steht es nun um einen möglichen Deal zur Freilassung der Geiseln aus Hamas-Gewalt?

Antwort: Schlecht. Ein Sprecher der Hamas hat Montagabend erklärt, dass man dem aktuellen Entwurf nicht zustimme. Woraufhin Israel seinerseits ankündigte, die Delegation aus Katar zurückzurufen. (Maria Sterkl aus Jerusalem, 26.3.2024)