Junge Frau hat einen Handtuchturban am Kopf und trägt Pflegecreme auf ihre Lippen auf
Ein Balsam für die Lippen ist für viele ein fixer Bestandteil in der Pflegeroutine. Dabei hätten unsere Lippen die Pflege gar nicht nötig, sagt eine Expertin.
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Für viele gehört er in die Hand- oder Hosentasche wie die Schlüssel oder das Portemonnaie: der Lippenpflegestift. Vor allem, wenn es draußen windig ist, greifen viele gerne zu fettigen Pflegeprodukten, um die Lippen vor dem Austrocknen zu bewahren. Aber manches Mal ist das Gegenteil der Fall: Mit jedem Mal schmieren trocknen die Lippen gefühlt noch mehr aus.

Das könnte nicht nur am falschen Produkt, sondern auch daran liegen, dass man zu viel pflegt, betont die Fachärztin für Dermatologie Kerstin Ortlechner. Denn viel hilft nicht gleich viel. In Sachen Pflege sollte man bei den Lippen generell ganz besonders vorsichtig sein: "Die Lippe ist gemeinsam mit den Augenlidern eine der empfindlichsten Hautpartien unseres gesamten Körpers", erklärt sie. Wobei der Begriff "Haut" in Bezug auf die Lippe nicht ganz treffend ist: "Im Grunde ist es nämlich eine Schleimhaut." Das heißt im Gegensatz zu anderen Hautbereichen sitzen hier deutlich weniger Talgdrüsen. Es wird auf der Lippe also viel weniger Fett, sprich Feuchtigkeit produziert.

Das bedeutet allerdings nicht, dass man umso mehr Feuchtigkeit von außen zuführen muss. Die Lippe komme auch gut ohne jegliche Pflegeprodukte zurecht, stellt Ortlechner klar: "Im Normalfall wird sie von der umliegenden Haut genügend befettet." Denn in der sogenannten T-Zone, also auf der Stirn, der Nase und rund um die Lippenpartie ist die Haut üblicherweise etwas fettiger. Dass rund um die Lippe besonders viele Hautdrüsen sitzen, merkt man auch daran, dass man an der Oberlippe meist deutlich mehr schwitzt als an anderen Stellen im Gesicht.

Mineralöle und Duftstoffe vermeiden

Eigentlich versorgt die umliegende Haut also die Lippen gut mit Feuchtigkeit. "Üblicherweise braucht man also gar keine Lippenpflegeprodukte", sagt Ortlechner. Aber es gibt Ausnahmen: Bei Menschen mit Neurodermitis kann Pflege sinnvoll sein. Oder wenn ein verschriebenes Medikament – etwa zur Behandlung von Akne – die Haut und Lippenhaut austrocknet. "Auch nach einem Sonnenbrand kann ein Produkt dabei unterstützen, die Hautbarriere wieder zu reparieren", sagt die Expertin.

Dabei gilt es allerdings ein paar Dinge zu beachten: Weil die Lippenhaut so dünn ist, nimmt sie Produkte schneller auf und reagiert auf Inhaltsstoffe, die sie nicht verträgt, besonders sensibel. Auf aggressive Inhaltsstoffe sollte man daher besser verzichten. Konkret bedeutet das: Mineralöle und sämtliche Duft- und Zusatzstoffe sollten möglichst nicht auf der Liste der Inhaltsstoffe stehen. Auch ätherische Öle könnten die zarte Lippenhaut belasten. "Oft greifen meine Patientinnen und Patienten zu natürlichen Produkten mit Propolis oder Menthol, aber das ist für die Lippenhaut viel zu irritierend", sagt Ortlechner. Stattdessen sollte man auf Inhaltsstoffe wie Panthenol, Sheabutter, Jojobaöl, Ceramide oder Niacinamide setzen, rät sie.

Bloß nicht über die Lippen schlecken!

Ganz besonders wenn die Hautbarriere ohnehin schon verletzt ist, können schädliche Inhaltsstoffe nämlich noch rascher in die Haut eindringen und wirken in der Folge noch aggressiver. Sie können auch der Grund sein, warum die Lippen trotz vermeintlicher Pflege noch mehr austrocknen. Oder aber es liegt daran, dass man bei trocknen Lippen dazu neigt, sie mit der Zunge zu benässen. "Dieses Drüberschlecken kann zu einem Teufelskreis führen. Außerdem befeuchtet man damit die Lippen nicht wirklich, im Gegenteil. Man entfernt damit auch das bisschen Rest an Talg und Fett, das noch vorhanden ist", sagt Ortlechner.

Genauso schädlich wie falsche Produkte oder ständiges Benässen mit der Zunge ist auch das Überpflegen. Wenn ständig Fett von außen zugeführt wird, bekommt der Körper nämlich das Signal: "Eigentlich kann ich die Talgproduktion einstellen." Manche entwickeln dann ein regelrechtes Abhängigkeitssyndrom, berichtet Ortlechner. "Dann muss man sich unbedingt entwöhnen, also wirklich lange Abstand von solchen Produkten nehmen und mit natürlichen Alternativen die Hautbarriere wieder aufbauen", rät sie. Und das kann durchaus eine Zeitlang dauern: Mit ein paar Wochen sollte man dabei schon rechnen. Denn "die Haut ist sehr träge und braucht lange, bis sie sich umstellt." (Magdalena Pötsch, 28.3.2024)