Angesichts von Büchern gibt es keinen Pardon: Gerhard Fritsch als Bibliothekar 1952 in der Städtischen Bücherei Felberstraße im 14. Bezirk in Wien.
Antiquariat Fritsch

Vor siebzig Jahren hat der Jungbrunnen- Verlag in Wien die Lizenz für die Pippi Langstrumpf-Titel von Astrid Lindgren erworben, die von 1949 bis 1951 erstmals auf Deutsch bei Friedrich Oetinger erschienen waren. Gerhard Fritsch, seit 1951 als Bibliothekar bei den Städtischen Büchereien der Gemeinde Wien beschäftigt, war 1954 Leiter der Simmeringer Filiale Zippererstraße geworden (nicht weit vom Atelier Joana Thuls entfernt, mit der Thomas Bernhard befreundet war) und hatte gerade das Lektorat für Ankäufe und die Leitung der Bibliothekarsausbildung übernommen.

In dieser Eigenschaft verfasst er im selben Jahr ein Gutachten über dieses mittlerweile berühmte, gelegentlich umstrittene Kinderbuch:

Diese neunjährige Pippi Langstrumpf, die ganz allein ihre Villa Kunterbunt bewohnt, ist, mit den Augen des Erwachsenen betrachtet, ein höchst kurioses Ding. Nicht nur, daß sie extravagant gekleidet wie eine kleine Surrealistin herumläuft, nicht in die Schule [zu] gehen braucht, sie ... kann alles, hat alles, was sich das Kind, dieser Gefangene in der Welt der Erwachsenen, wünscht ... Ein Kinderbuch also, das auffällig aus der Reihe tanzt. ... Pippi, das verkörperte Wunschbild des kindlichen Wollens, ist eine echte Gestalt der an Gestalten so armen Kinderliteratur. Eine Gestalt wie Robinson und Münchhausen Gestalten sind – und wie sie die Ullis, Susis und Doras nicht sind.

Der Verlag, ein Jahr vor der Geburt unseres Jubilars Gerhard Fritsch von den "Kinderfreunden"(Max Winter, Anton Afritsch u. a.) gegründet, war im Hauptgebäude des Schlosses Schönbrunn untergebracht – nicht etwa am Finsteren Gang oder auf der Feuerwehrstiege.

Konservativ-fortschrittliche Atmosphäre

Die einzigartige Konstellation sozialdemokratisch orientierter, tatkräftiger Pädagogen und Kulturpolitiker unter der Leitung von Alois Jalkotzy (1892–1987) hatte eine konservativ-fortschrittliche Atmosphäre geschaffen, von der die Stadt Wien noch lang gezehrt hat und die nach dem Krieg mit dem aus dem Exil heimgekehrten Jakob Bindel (1901–1992) als Verlag für Jugend und Volk mit dem quasi angeschlossenen Jungbrunnen-Verlag weitergeführt worden ist. So einzigartig wie belächelt, war diese Generation unerschrocken und tatkräftig, Kinder mit Büchern in Berührung zu bringen und damit die Welt der Bücher und sodann die ganze Welt als erstrebenswert vorzustellen. Nach 1934 haben Verlage und Arbeiterbibliotheken ein untergeordnetes Dasein gefristet und waren 1936 ihrer geistigen Grundlagen beraubt worden.

Der Jungbrunnen-Verlag war ins Zentrum von Ottakring übersiedelt und hat versucht, auch unterstützt von Viktor Matejka, der hier schon in den 1930er-Jahren volksbildnerisch tätig gewesen ist, nun als Kulturstadtrat von Wien, diese Mischung von Aufklärung und Fortschritt mit Kunst fortzusetzen.

So ist, von Hans Weigel nominell herausgegeben, das Jahrbuch Stimmen der Gegenwart 1951 und 1952 hier erschienen. Weigel hat zeit seines Lebens eine Neigung zu Ingeborg Bachmann, Hertha Kräftner und Gerhard Fritsch bewahrt – und anonym Fritschs Witwe unterstützt. Die Verbindung zu den anderen dort vertretenen Akteuren (Ilse Aichinger, Paul Celan, Erich Fried, Marlen Haushofer, Hertha Kräftner, Christine Lavant, Friederike Mayröcker – mehr hatte das Jung-Wien dieser Zeit nicht zu bieten) haben die Schriftsteller Reinhard Federmann, als Geliebter von Marlen Haushofer, und Jeannie Ebner wahrgenommen, die Peter Strasser, den Gründer der Sozialistischen Jugend Österreichs, geneigt gemacht hatte, hier finanziell beizutragen.

Thomas Bernhard kam, nach einem Verlagswechsel, erst 1954 in den Stimmen der Gegenwart zu Wort. Seine Einzigartigkeit lässt sich dort bereits in der Selbstdarstellung ablesen, die in Umfang und Ton die braven Aufzählungen der anderen übertrifft. Auch seine Kanonade in der Rubrik "Junge Köpfe" in der von Wieland Schmied redigierten Studentenzeitschrift Morgen ist von einem Ton getragen und rabiat mit Schlägen gegen den Wald der Dichter im Hawelka (Avantgardekitschisten) ausgestattet, dass man später kein Holzfällen gebraucht hätte, um beleidigt zu sein. Sein Credo gegenüber Gerhard Fritsch lautet – ihm hatte er den Verlag zu verdanken: "Ich beneide Dich, denn du kannst Prosa schreiben – ich kann es nicht. Mir fehlt fast alles dazu!" (Brief von Bernhard an Fritsch 29. 8. 1958 in Briefwechsel, Korrektur-Verlag 2013)

Der in Kunstfragen nicht unsensible Viktor Matejka, seines Zeichens Mitglied der KPÖ, wenngleich mit ihr so zerfallen wie mit allen anderen Apparaten, hat ein Gefühl bewahrt, dass Kollektive nur dort wirksam sind, wo es gilt, Galeeren anzutreiben. Im Kulturgeschäft schaut damit nichts heraus. In der allgemeinen Betretenheit nach dem Tod meines Vaters Gerhard Fritsch im März 1969 hat Viktor Matejka in Briefen an Jeannie Ebner, die Fritsch als Redakteurin von Literatur und Kritik nachgefolgt ist, versucht, seine Verbindung zu ihm seit 1949 darzustellen und ihr abzuverlangen, diese Briefe in der Zeitschrift zu veröffentlichen. Es sollte nicht sein, die verdiente Dichterin hat vor dem Ministerium gekuscht. In der Pestsäule Nr. 3 sind sie im Gedenkartikel von Reinhard Federmann zu Gerhard Fritsch 1969 abgedruckt worden.

Matejka wusste, dass Fritsch und Thomas Bernhard ein Gefühl für die Ströme zwischen den sich etablierenden Lagern entwickelt hatten, aber auch nicht nur in dieser politischen Beschränktheit. Der eine von sensibler Gesundheit, aber ausgestattet mit dem Willen zum Alleingang, der andere mit melancholischer Grundausstattung, vom Geschlecht der Trauminets, beide sexuell wohl etwas abseitig, eine der Voraussetzungen für Empfindungen.

"Zwischen Kirkenes und Bari"

Der Jungbrunnen-Verlag, in dem die erste Buchveröffentlichung von Gerhard Fritsch Zwischen Kirkenes und Bari 1952 erschienen ist, hat mit dieser Reihe "Junge österreichische Autoren" alsbald seine belletristischen Versuche eingestellt. Hier waren auch die Debüts von Ilse Aichinger und Marlen Haushofer erschienen und die Künstler Kurt Absolon, Hans Fronius, Wolfgang Hutter und Kurt Moldovan als Illustratoren herangezogen worden. Zum Verlagswechsel der Stimmen der Gegenwart zum Albrecht-Dürer-Verlag, einem weltanschaulichen Antipoden von Jungbrunnen, ist ausführlich in der Jahresgabe der Thomas-Bernhard-Gesellschaft aus dem Jahr 2015berichtet worden.

Mit den Mira-Susi-Büchern und anderen Erscheinungen konnte der Verlag nun seine volle Wirksamkeit entfalten. Mira Lobe und Susi Weigel (die vor dem Krieg "Die Koralle", das Kaffeehaus ihres Bruders, ausgestattet hatte) waren in der Kinderzeitschrift der KPÖ, Unsere Zeitung, mit Fortsetzungsgeschichten hervorgetreten und nun von Jakob Bindel unter Vertrag genommen worden.

1957 wurde von den Städtischen Büchereien der Bücherbus eingeführt. Dieses ellenlange Fahrzeug mit seinem Gelenk in der Mitte hat die transdanubischen Bezirke, die über keine Filiale verfügten, nach Fahrplan angefahren, um die dort lebenden Jugendlichen mit wertvoller Lektüre zu versorgen.

Im Jahr 1958 durfte ich meinen Vater begleiten, der im Bücherbus, ausgestattet mit echten Regalen, Bibliothekar gespielt hat. Die Haltestellen waren mit den in Wien üblichen Bushaltestellenschildern gekennzeichnet. Mit unserer Ankunft hatte sich schon eine kurze Schlange gebildet von Mädchen und Knaben, die zum Leihverkehr angetreten waren. Ein Knabe wurde von meinem Vater nach Hause geschickt, weil er schmutzige Hände hatte.

Wenig später kam er gebürstet wieder, um sich ins strenge Regiment der Volksbildung einzugliedern. So hatte ich meinen Vater noch nie erlebt. Angesichts von Büchern gibt es keinen Pardon. (Georg Fritsch, 29.3.2024)

Gerhard Fritsch, "Moos auf den Steinen". € 19,90 / 260 Seiten. Korrekturen-Verlag, 2014. Der Roman "Moos auf den Steinen" wurde mit Erika Pluhar 1968 verfilmt. Zu sehen: 10. 4., 18 Uhr, im Metro-Kinokulturhaus.
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Thomas Bernhard, Gerhard Fritsch, "Der Briefwechsel". € 19,90 / 112 Seiten. Korrekturen-Verlag, 2013
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