Zwischen den engen Verbündeten Israel und USA knirscht es so laut, dass es beide Seiten selbst vor laufenden Mikros nicht mehr beschönigen. Israels Premierminister sprach zuletzt erstmals von einem "Streit" mit US-Präsident Joe Biden. Und US-Außenminister Antony Blinken, der auf seiner Nahostreise am Freitag auch in Israel haltmacht, hatte seinen Gastgebern schon am Tag davor signalisiert, dass er dort keine Streicheleinheiten verteilen wird: Über ein Interview in einem saudischen Medium ließ er Israel ausrichten, dass er einen Resolutionsentwurf im UN-Sicherheitsrat eingebracht hat, der Jerusalem nicht gefallen wird. Darin fordern die USA eine "sofortige Feuerpause" im Gazastreifen, verbunden mit der Freilassung der Geiseln. Die USA hatten eine solche Forderung in der Vergangenheit mehrmals per Veto blockiert.

US-Außenminister Antony Blinken kam am Donnerstag in Kairo an.
AP/Evelyn Hockstein

Frist

Blinken wird in Israel die humanitäre Katastrophe in Gaza ansprechen und von Israel verlangen, dass es deutlich mehr tut, um die Hungersnot zu lindern. Das hatte der Sprecher des Weißen Hauses, Matthew Miller, zuvor bestätigt. Er hat dabei kein geringes Druckmittel in der Hand: die Frage eines teilweisen Aussetzens von Waffenlieferungen aus den USA, bis Israel seinen Verpflichtungen nachkommt. Sonntagabend läuft hier eine entscheidende Frist aus: Bis dahin hat Israel Zeit, um glaubhaft darzulegen, dass es humanitäre Hilfe in Gaza nicht blockiert und alles in seiner Macht Stehende tut, um unverhältnismäßig großen Schaden für Zivilisten abzuwenden. Lässt sich Washington von Israels Beteuerungen nicht überzeugen, ist ein Teilstopp von Lieferungen nicht ausgeschlossen.

Kanada hat es bereits vorgemacht: Dort wurde nun ein Stopp aller Waffenlieferungen nach Israel verkündet. Angesichts des bescheidenen Beitrags Kanadas zum israelischen Rüstungsaufkommen ist das zwar eher ein symbolischer Schritt. Er gibt aber in den USA jenen Stimmen Rückenwind, die ähnliche Sanktionen schon lange fordern. Entsprechend harsch reagierte Israels Außenminister Israel Katz: Der Schritt "untergräbt Israels Recht auf Selbstverteidigung", sagte er. "Die Geschichte wird über Kanadas aktuelle Politik ein hartes Urteil fällen."

Erstes Telefonat nach einem Monat

Wie zerrüttet die Beziehung zwischen Washington und Jerusalem ist, war daran abzulesen, wie viel Echo ein Telefonat zwischen Biden und Netanjahu am Montag erhielt. Telefonate zwischen US-Präsidenten und israelischen Regierungschefs sind nichts Ungewöhnliches, schon gar nicht in Kriegszeiten. Bemerkenswert war vielmehr die lange Funkstille, die dem Gespräch vorangegangen war: Mehr als ein Monat war vergangen, bis endlich wieder ein direkter Kontakt zustande kam.

An indirekten Botschaften hatte es in den Wochen zuvor jedenfalls nicht gemangelt. Biden war mehrmals mit scharfer Kritik an Netanjahu an die Öffentlichkeit getreten, hinter verschlossenen Türen war kolportierterweise deftiges Fluchen zu hören, wenn der Name des israelischen Langzeitpremiers zur Sprache kam. Netanjahu wiederum ließ sich von mehreren US-amerikanischen TV-Sendern interviewen, um dort Bidens Mahnrufe nach mehr Zurückhaltung im Gazakrieg schroff von sich zu weisen.

"Rote Linie"

Der aktuelle Zankapfel ist eine mögliche israelische Militärinvasion in Rafah im Süden des Gazastreifens, direkt an der Grenze zu Ägypten gelegen. Vor dem Krieg war Rafah eine Stadt mit rund 250.000 Einwohnern, heute leben dort zusätzlich zur lokalen Bevölkerung mindestens 1,2 Millionen Binnenvertriebene eng zusammengepfercht unter horrenden Bedingungen. Ein Vordringen in die humanitäre Katastrophenzone wäre für Washington "eine rote Linie", hatte Biden gewarnt, auch die EU ist strikt gegen eine Rafah-Invasion.

Netanjahus Reaktion darauf fiel kühl aus. "Wissen Sie, was die rote Linie ist? Dass sich der 7. Oktober wiederholt", so der Premier in einem Gespräch mit "Politico" am Sonntag.

Alternativen

Biden hatte eine Rafah-Invasion zuvor als "Fehler" bezeichnet. Washington ist überzeugt davon, dass sich das Ziel, wichtige Hamas-Ressourcen in Rafah auszuschalten, auch ohne eine solche Invasion erreichen lässt. Zwei israelische Delegationen – Verteidigungsminister Yoav Gallant und der Nationale Sicherheitsberater Tzachi Hanegbi – werden nächste Woche Washington bereisen, um mögliche Alternativen zu besprechen. Netanjahu stellte am Mittwoch aber erneut klar, dass er hart bleibt: Die Offensive in Rafah sei bereits in Vorbereitung, erklärte er – gab aber auch zu, dass dies einige Zeit beanspruchen werde.

In Israel mehren sich kritische Stimmen, die hinter dem Rafah-Offensivplan ein rhetorisches Täuschmanöver seitens Netanjahu vermuten: Da immer offensichtlicher wird, dass der von Netanjahu angestrebte "vollständige Sieg" über die Hamas nicht in Greifweite ist, sucht der Premier einen Schuldigen für die Misere – und findet ihn in US-Präsident Biden, so lautet diese Theorie. Netanjahu gebe also nur vor, eine Rafah-Invasion tatsächlich schon bald vor Augen zu haben, um Verantwortung von sich abwälzen und die kriegsmüde Bevölkerung bei Laune zu halten. Je länger der Krieg andauert, desto besser ist es aus Netanjahus persönlicher Sicht: Damit rücken nämlich wohl auch jene vorgezogenen Wahlen in die Ferne, die der Premier nur verlieren kann. Im besten Fall in so weite Ferne, dass der US-Präsident dann schon nicht mehr Joe Biden, sondern Donald Trump heißt.

Dringend benötigte Waffenlieferungen

In Israel war die Frage der Beziehungen zu den USA bislang eher nicht wahlentscheidend. Man ging davon aus, dass selbst vergiftete Beziehungen zwischen den beiden Regierungen an der faktischen Unterstützung via Waffen und Kapital schon nicht rütteln werden. Die Erfahrung gab den Israelis bisher recht. Das könnte sich aber auch ändern.

Für den weiteren Kriegsverlauf ist die US-Unterstützung sehr wohl bedeutend, und das könnte schon früher schlagend werden als gedacht. Laut einem Bericht im öffentlichen israelischen Rundfunk am Donnerstag schlagen hohe Offiziere der Armee Alarm, dass weitere Waffenlieferungen aus den USA dringend benötigt werden – nicht nur für Gaza, sondern auch für die Sicherung der Grenze zum Libanon. (Maria Sterkl aus Jerusalem, 21.3.2024)