Wenn du deinen Feind nicht besiegen kannst, dann umarme ihn – möglicherweise haben sowohl Giorgia Meloni als auch Matteo Salvini an dieses chinesische Sprichwort gedacht, als sich die Regierungschefin und ihr Minister für Infrastruktur und Mobilität am Mittwoch im italienischen Parlament während einer Plenarsitzung auf der Regierungsbank minutenlang leise miteinander unterhielten und sich plötzlich lächelnd kurz in den Arm nahmen. Das Kameragewitter war beachtlich – denn solche Gesten sind selbst für extrovertierte Parlamentarierinnen und Parlamentarier in Rom doch eher ungewöhnlich.

Im konkreten Fall war die Umarmung eine Botschaft an die Öffentlichkeit: Nein, wir haben kein Problem miteinander. Alles gut, alles harmonisch. Die vergangenen Tage aber hatten aber genau das gezeigt: eine "Eiszeit" zwischen der Chefin der rechten Fratelli d'Italia und dem stets ehrgeizigen und auf Angriff gebürsteten Anführer der rechten Lega. Dieser macht aus seiner Bewunderung für den russischen Präsidenten Wladimir Putin und aus seiner Skepsis bezüglich der konsequent proeuropäischen und proukrainischen Linie der italienischen Regierung kein Geheimnis. Auch dann nicht, wenn ihn gar niemand nach seiner Meinung fragt.

Umarmung zwischen Matteo Salvini und Giorgia Meloni – nur eine Show?
Umarmung zwischen Matteo Salvini und Giorgia Meloni – nur eine Show?
EPA/RICCARDO ANTIMIANI

Und genau Salvinis vom Regierungskurs abweichende Meinung ist es, die Meloni vor wenigen Tagen maßlos ärgerte. Denn er hatte – offenbar im Alleingang und nicht abgesprochen – Putins Sieg bei der Präsidentenwahl vom vergangenen Wochenende indirekt legitimiert und dem Machthaber de facto gratuliert: "Wenn ein Volk wählt, dann hat es immer recht. Wahlen sind immer gut – sowohl wenn man sie gewinnt, als auch wenn man sie verliert."

Frostige Reaktionen

Außenminister und Vizepremier Antonio Tajani von der Forza Italia musste eilig ausrücken, um Salvinis Aussage zu relativieren: Der Urnengang in Russland und der daraus folgende "Wahlsieg" Putins sei nicht zuletzt durch "starken und sogar gewaltsamen Druck" gekennzeichnet gewesen. Wie auch in anderen Staaten der EU gab es nach der demokratiepolitisch fragwürdig inszenierten Bestätigung Putins im Amt keine Gratulation aus dem italienischen Präsidentenpalais Richtung Kreml. Und auch das Büro der Ministerpräsidentin und das Außenministerium reagierten auf das in Moskau verkündete Wahlergebnis nur sehr frostig.

Meloni vertritt Italien bei dem Donnerstagnachmittag beginnenden EU-Gipfeltreffen der 27 Staats- und Regierungschefs, bei dem es auch um die weiteren Ukraine-Hilfen gehen wird. Daher war sie im Vorfeld bemüht, den europäischen Partnern klarzumachen, dass in Rom keinerlei Kurswechsel anstehe, auch wenn Putin-Verehrer Salvini das wohl gerne so hätte: "Alles, was wir in diesen Jahren getan haben; mit der Geschwindigkeit, mit der wir es getan haben; und in der Klarheit, die wir in der Außenpolitik an den Tag gelegt haben: All das spricht für eine geschlossene Mehrheit." Sprich: Salvini tat bloß eine Privatmeinung kund – nicht mehr.

Wie um diese Position zu bekräftigen und ein Signal nach Brüssel zu schicken, wurde in Rom eine Revision des italienischen Mehrjahresbudgets beschlossen. "Damit wird eine Unterstützung der Ukraine für die nächsten vier Jahre ermöglicht", betonte Meloni am Mittwoch. Die Regierungschefin bekam in der Plenarsitzung auch den expliziten Auftrag, im Rahmen des EU-Gipfels mit einem weiteren Unterstützer Putins – dem ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán – zu sprechen und diesen zu einem Gleichschritt mit den anderen europäischen Partnern zu verpflichten. Wie Melonis Statement "Wenn ich mit Menschen spreche, zu denen ich gute Beziehungen habe, bringe ich Ergebnisse mit nach Hause" in diesem Zusammenhang zu verstehen ist, wird man möglicherweise im Laufe des EU-Gipfels sehen.

Drohender Absturz

Ein "gutes Ergebnis" lieferte Meloni jedenfalls – zumindest für die Kameras – mit ihrer freundschaftlichen Umarmung Salvinis ab. Oder war es ein Schwitzkasten, der die Machtverhältnisse klärt? Denn nicht nur auf der Regierungsbank und in den beiden italienischen Parlamentskammern sind die Kräfteverhältnisse sonnenklar: Auch in Umfragen zur kommenden EU-Wahl liegen Melonis Fratelli d'Italia klar vorn. So weist eine aktuelle Ipsos-Erhebung im Auftrag von Euronews für Melonis Partei rund 27 Prozent aus, während sich die Lega und Forza Italia – die beiden Koalitionspartner der rechten Regierungschefin – mit rund acht Prozent ein Kopf-an-Kopf-Rennen um den vierten Platz liefern. Das sind stabile Werte, fast genau dasselbe Ergebnis hatten die drei rechten bzw. konservativen Koalitionsparteien schon bei den Parlamentswahlen im September 2022 erzielt.

Hat Giorgia Meloni die freundschaftliche Geste mit Matteo Salvini dann doch bereut?
Hat Giorgia Meloni die freundschaftliche Geste mit Matteo Salvini dann doch bereut?
EPA/RICCARDO ANTIMIANI

Im direkten Vergleich zu den italienischen Europawahlen 2019 bedeuten die aktuellen Umfragedaten für Salvini sogar die Gefahr eines katastrophalen Absturzes: Damals hatte die Lega mit mehr als 34 Prozent haushoch gesiegt, während die Fratelli nur 6,4 Prozent der Stimmen erreichen konnten. Behalten die Demoskopen recht, dürfte die Lega von bisher 23 Mandaten derer nur sieben behalten. Die Fratelli könnten die Zahl der Parlamentssitze in Straßburg von fünf auf 24 fast verfünffachen. Kein Wunder, dass nicht wenige politische Beobachter schon jetzt von einem Niedergang der Salvini-Partei sprechen und auch dessen politisches Überleben auf längere Sicht infrage stellen. (Gianluca Wallisch, 21.3.2024)