Menschenmenge mit wehenden USA-Flaggen
Die US-Bevölkerung steht relativ geschlossen hinter den demokratischen Normen, egal, welcher Partei sie angehören.
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Es ist einmalig in der Geschichte der USA, dass ein ehemaliger Präsident und zugleich Präsidentschaftskandidat sich in derart vielen Verfahren vor Gericht verantworten muss. Donald Trump hat eine ganze Reihe an Zivil- und Strafverfahren am Hals, unter anderem ist er in Bezug auf den Sturm auf das Kapitol am 6. Jänner 2021 wegen Verschwörung zum Betrug an den Vereinigten Staaten angeklagt. Der Versuch zahlreicher Trump-Anhänger, das Ergebnis der Präsidentschaftswahlen von 2020 umzustoßen, wird als Angriff auf die demokratischen Grundfesten gewertet.

Immer wieder werden Befürchtungen laut, dass es im Zuge der anstehenden Präsidentschaftswahlen im November zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen kommen könnte. Diesen Sorgen nimmt nun eine Studie etwas den Wind aus den Segeln, die aktuell im Fachblatt "Proceedings of the National Acadamy of Sciences" ("PNAS") erschienen ist. Demnach lehnt nämlich ein Gros der Durchschnittsamerikanerinnen und -amerikaner antidemokratisches Verhalten durchwegs ab.

Forschende des Polarization Research Lab, einer Kollaboration zwischen der Universität Pennsylvania, dem Dartmouth College und der Universität Stanford, haben zwischen September 2022 und Oktober 2023 mehr als 45.000 Demokraten und Republikaner nach ihren Einstellungen befragt. Dabei wurden 1.000 Personen einer wöchentlichen Befragung unterzogen, weitere 5.230 wurden mehrmals befragt.

"Überwältigende" Ablehnung

Es ging hauptsächlich um ihre Meinung zu vier Verstößen gegen demokratische Normen: erstens, ob Wahllokale in Gegenden, die von Wählern der gegnerischen Partei dominiert sind, geschlossen werden sollten (geschehen in Texas 2020); zweitens, ob Kandidaten eher loyal zu ihrer Partei als zu Wahlvorschriften und die Verfassung sein sollten; drittens, ob gewählte Politiker Entscheidungen von Richtern, die von der gegnerischen Partei nominiert wurden, ignorieren sollten; viertens, ob die Regierung Medien zensurieren dürfe, die die eigene Partei öfter als die andere attackieren. Außerdem wurden die Einstellungen zu politischer Gewalt wie Übergriffen mit und ohne Waffengewalt, Brandstiftung und Mord abgefragt, ebenso wie diesbezügliche Einschätzungen, was die Anhängerschaft der anderen Partei betrifft.

"Die Ablehnung antidemokratischer Aktionen und politischer Gewalt war nicht nur überwältigend, sondern auch bemerkenswert stabil über das ganze Jahr hinweg", sagt Yphtach Lelkes, Co-Direktor des Polarization Research Lab. Die Ergebnisse hätten gezeigt, dass 17,2 Prozent der demokratischen und 21,6 Prozent der republikanischen Befragten zwar einen der Verstöße unterstützen, aber nur sechs Prozent der Demokraten und neun Prozent der Republikaner zwei oder mehr antidemokratische Handlungen befürworteten.

Balkengrafik
US-Amerikanerinnen und -Amerikaner zeigen grundsätzlich wenig Interesse an Verstößen gegen demokratische Normen.
Derek E. Holliday, Shanto Iyengar, Yphtach Lelkes, and Sean J. Westwood

Fehleinschätzung zu politischer Gewalt

Auffällig war, dass bei allen vier Punkten Demokraten und Republikaner sehr nah beieinander lagen. So waren etwa 8,8 Prozent der Republikaner und 9,2 Prozent der Demokraten für eine Schließung von Wahllokalen in "gegnerischen" Gegenden. Die meiste Zustimmung bekam die Zensur unliebsamer Medien von knapp unter 20 Prozent. "Obwohl jede Unterstützung für antidemokratisches Verhalten Anlass zur Sorge ist, zeigen die Daten, dass es in Amerika keine große antidemokratische Wählerschaft gibt", sagt Lelkes.

Ähnliches zeigte sich auch bei der Bewertung von politischer Gewalt. Die Zustimmung lag bei Anhängerinnen und Anhängern beider Lager bei unter vier Prozent. Jedoch gab es eine enorme Fehleinschätzung der politischen Gegner. Bis zu 59 Prozent der Befragten unterstellten den Mitgliedern der jeweils anderen Partei, gewaltsame Aktionen zu unterstützen. "Die Demokratie in Amerika ist bedroht, aber die Daten zeigen, dass wir uns nicht am Rande eines von den Bürgern unterstützten Vorstoßes in Richtung Autoritarismus befinden", sagt Sean J. Westwood, ebenfalls Co-Direktor des Polarization Research Lab.

Kluft zwischen Wählern und Politikern

In einem weiteren Schritt wollte die Forschungsgruppe wissen, ob Politikerinnen und Politiker, die kein Problem mit Verstößen gegen demokratische Normen haben, vielleicht einfach die Einstellungen ihrer Wählerschaft widerspiegeln. Also sammelten sie Daten zu Kongressabgeordneten, die entweder für die Annullierung der Wahlergebnisse 2020 gestimmt oder die Legitimität der Wahlergebnisse öffentlich bestritten hatten. Dann untersuchten sie, ob die Befragten, die von einem dieser Abgeordneten vertreten wurden, eher geneigt waren, der Parteiloyalität Vorrang zu geben vor gesetzlichen Bestimmungen. Dabei konnte keinerlei signifikanter Zusammenhang gefunden werden.

"Die wirkliche Kluft in der Unterstützung der Demokratie besteht nicht zwischen demokratischen und republikanischen Wählern, sondern zwischen republikanischen Wählern und republikanischen Politikern."

Während sowohl demokratische als auch republikanische Befragte überwiegend dagegen waren, bei umstrittenen Wahlen die Loyalität gegenüber der eigenen Partei über die Verfassung zu stellen, sei es bei gewählten Politikern anders, wie die Forschenden berichten: Hier gebe es eine knappe Mehrheit bei den gewählten Republikaner, denen es ihnen nichts ausmachen würde, gegen diese demokratische Norm zu verstoßen.

"Die wirkliche Kluft in der Unterstützung der Demokratie besteht nicht zwischen demokratischen und republikanischen Wählern, sondern zwischen republikanischen Wählern und republikanischen Politikern", sagt Derek Holliday, Hauptautor der Studie und Postdoktorand am Polarization Research Lab an der Stanford University. "Es ist eine gute Nachricht, dass die Öffentlichkeit sich so einheitlich gegen die Verletzung demokratischer Normen ausspricht", pflichtet Westwood bei. "Aber es ist eine schlechte Nachricht, dass die Amerikaner weiterhin für gewählte Politiker stimmen, die eine Bedrohung für die Demokratie darstellen."

"Demokratieparadoxon"

Dieser Befund steht im Einklang mit einem neuen Bericht der UN-Entwicklungsagentur UNDP zur menschlichen Entwicklung, der vor wenigen Tagen veröffentlicht wurde. Demnach haben immer mehr Menschen auf der Welt kein Problem mit Politikern, die die Demokratie untergraben. Obwohl neun von zehn Menschen auf der Welt Volksherrschaften grundsätzlich gutheißen würden, unterstützten "zum ersten Mal überhaupt mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung" Staats- und Regierungschefs, die demokratische Regeln missachten, heißt es in dem Bericht.

Über 50 Prozent der für die Studie befragten Personen antworteten, dass ein starker Anführer, der sich "nicht um Parlament und Wahlen kümmern muss", entweder "sehr gut" oder "eher gut" sei. Der deutsche UNDP-Chef Achim Steiner spricht in diesem Zusammenhang von einem "Demokratieparadoxon". Die allermeisten Menschen wollten in einer Demokratie leben, seien aber gleichzeitig mit Parteien und politischen Anführern zufrieden, die die Grundprinzipien ebendieser infrage stellen. Ein Schlüssel zu einer Verbesserung der Situation liege darin, nationale Debatten zu beruhigen und jene Institutionen zu stärken, die an der demokratischen Willensbildung beteiligt sind. (Karin Krichmayr, 19.3.2024)