Wie Premier Benjamin Netanjahu angedeutet hat, steht die umstrittene israelische Offensive in der Flüchtlingsstadt Rafah im Gazastreifen offenbar doch noch nicht unmittelbar bevor. Zwar hält er an seinen Plänen fest; doch zuerst müssten die mehr als eine Million Flüchtlinge evakuiert werden, ließ er am Sonntagabend wissen – zwei Tage nachdem er den militärischen Einmarsch in Rafah im Prinzip genehmigt hatte. "Wir werden das nicht tun, solange die Bevölkerung dort in der Falle sitzt", so Netanjahu während eines Besuches des deutschen Kanzlers Olaf Scholz.

Mutter und Kinder in Gaza-Stadt.
Zivilisten inmitten vom Kriegsgrauen im Gazastreifen.
AFP/-

Doch von einem Aufatmen für die Zivilisten in Gaza kann keine Rede sein. Wie ein UN-Bericht festhält, sind die 300.000 im Norden Gazas festsitzenden Zivilisten am Verhungern. Bis spätestens Mai werde dort eine Hungersnot eingetreten sein, heißt es im aktuellen Bericht zur sogenannten IPC-Skala der UN-Welternährungsorganisation (FAO). Eine Linderung wird angesichts der geplanten Rafah-Offensive nicht erwartet.

Von einer Hungersnot spricht die FAO dann, wenn mindestens 20 Prozent der Bevölkerung unter extremer Nahrungsmittelknappheit leiden, jedes dritte Kind akut unterernährt ist und zwei von 10.000 Menschen täglich an Hunger oder an Unterernährung und damit einhergehenden Krankheiten sterben.

Die 20-Prozent-Marke wurde in Gaza laut FAO bereits im Dezember überschritten. Insgesamt leidet laut FAO zudem nunmehr die Hälfte der Bevölkerung in der von Israel belagerten Enklave unter "katastrophalem Hunger". Das übertrifft ihre bisherige Prognose vom Dezember um das Doppelte.

Die UN-Fachleute gehen davon aus, dass die Zahl der unterernährten Kinder und die der Hungertoten bald ebenfalls die Definition einer Hungersnot erfüllen könnten. In den vergangenen 13 Jahren wurde weltweit zweimal eine Hungersnot ausgerufen: 2011 in Somalia und 2017 in Teilen des Südsudans.

UNRWA-Chef darf nicht nach Gaza

Philippe Lazzarini, der Chef des Uno-Palästinenserhilfswerks UNRWA, sprach am Montag im ägyptischen Kairo von "menschengemachtem" Hunger. Eigentlich war Lazzarini auf dem Weg in den Gazastreifen. Doch nach eigenen Angaben hat ihm Israel nun erstmals die Einreise verweigert. Israel hat die UNRWA wiederholt als Sammelbecken für Hamas-Terroristen bezeichnet – ein Vorwurf, den die UN und zahlreiche Fachleute für unrichtig halten.

"Wir befinden uns in einem Wettlauf gegen die Zeit, um eine Ausweitung des Hungers zu stoppen", sagte Lazzarini, der dazu aufrief, den Gazastreifen auf dem Landweg aus Israel mit Lebensmitteln zu fluten. Derzeit ist nur der ägyptische Grenzübergang Rafah geöffnet.

Doch nicht nur die Uno findet kritische Worte. Israel-Verbündeter Olaf Scholz hatte bei seinem Besuch ebenfalls mehr Hilfe gefordert. Man könne dem Hungertod der Palästinenser nicht einfach zusehen, sagte der deutsche Kanzler. EU-Außenbeauftragter Josep Borrell warf Israel sogar vor, Hunger als Waffe im Krieg gegen die Hamas einzusetzen. Die EU-Außenminister berieten am Montag indes über die Verhängung von Sanktionen gegen die Hamas und gegen radikale israelische Siedler. US-Präsident Joe Biden wollte noch am Montag mit Netanjahu sprechen.

Razzia in Al-Shifa-Krankenhaus

Für Kritik sorgte ebenfalls eine israelische Militärrazzia im Al-Shifa-Krankenhaus im Gazastreifen. Dabei wurde nach israelischen Angaben ein ranghoher Hamas-Funktionär getötet: Faik al-Mabhuh, der Leiter einer Abteilung für innere Sicherheit der Hamas. Er habe sich bewaffnet im Spital versteckt.

Augenzeugen berichteten von heftigen Schusswechseln. Die von der Hamas kontrollierte Gesundheitsbehörde sprach von einem Brand und eingeschlossenen und getöteten Patienten und Zivilisten. Israels Armee hatte die Bevölkerung erst Stunden nach Beginn der Aktion zur Evakuierung des Spitals und der Umgebung aufgerufen. Die eigenen Truppen waren nach eigenen Angaben angewiesen, vorsichtig zu agieren. Terroristen hätten vom Krankenhaus aus das Feuer auf Truppen eröffnet. Die Soldaten haben zurückgeschossen. Möglicherweise seien durch die Schüsse Menschen getroffen worden, hieß es. (Flora Mory, 18.3.2024)