Unter den Schuhen von Michael Moser knirschen Äste und Blätter, als der gebürtige Waldviertler einen Wanderweg in dem Fichtenwald nahe Waidhofen an der Thaya bergauf geht. Der Weg ist matschig und uneben – das sei wegen der Niederschläge in den vergangenen Tagen der Fall, erzählt Moser. "Hier wandern am Wochenende bei schönem Wetter einige Menschen. Sie genießen den Wald." Das Ziel von Moser: der 718 Meter hohe Predigtstuhl – die höchste Erhebung im Bezirk. Versperren die Bäume nicht die Sicht, bietet sich vom Predigtstuhl stellenweise ein Rundumblick auf die Gegend.

Moser befürchtet aber, dass dem Naherholungsort durch den Bau von mehreren Windrädern ein Ende gesetzt wird. Er war nicht nur einer der Wahlberechtigten, die am 10. März in Waidhofen an der Thaya bei der Volksbefragung gegen die Windräder gestimmt hatten, sondern zählt mit der IG Waldviertel, einem Verbund aus mehreren Bürgerinitiativen, zu deren lautstarken Gegnern.

"Natur- und Erholungsraum oder Industriezone" war einer der Wahlsprüche der Windkraftgegnerinnen und -gegner.
Max Stepan/Standard

In weiteren vier Gemeinden wurde ebenfalls über die Errichtung von Windrädern abgestimmt: Karlstein, Thaya, Waidhofen an der Thaya-Land und Groß-Siegharts. Nur Groß-Siegharts und Waidhofen an der Thaya-Land stimmten gegen den Bau. 13 von ursprünglich 18 geplanten Windrädern können damit in der Region realisiert werden – fünf davon am Predigtstuhl, der genau an der Gemeindegrenze zu Waidhofen an der Thaya und Groß-Siegharts liegt.

Kein "Windkraftgegner"

Den Ausdruck "Windkraftgegner" will Moser aber nicht hinnehmen, denn er sei nicht gegen erneuerbare Energien, sondern besorgt um das Landschaftsbild und die Natur. Kritisiert wird von der Bürgerinitiative der potenzielle Schattenwurf durch die Windräder, fehlender Schutz von bedrohten Vogelarten und entstehender Lärm. "Die Windräder sind dann vom Predigtstuhl aus überall in der Gegend zu sehen. Viele Menschen sind extra ins Waldviertel gezogen, um weit weg von Industriegebieten zu wohnen. Das ist dann vorbei."

Michael Moser, Sprecher der IG Waldviertel, mobilisierte im Vorfeld gegen die Windräder.
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All das kann Jan Hurt, der aus Groß-Siegharts stammt, nicht verstehen. Hurt absolviert aktuell sein Doktoratsstudium in Wien, ist aber regelmäßig im Waldviertel. Schon im Jahr 2013 hat es eine Abstimmung in Groß-Siegharts gegeben, die aber positiv für den Bau von Windrädern ausgefallen ist. "Auch vor zehn Jahre waren die Gegner sehr laut. Ich habe mich deshalb mit 16 Jahren entschlossen, für die Windräder zu mobilisieren, und das war auch der Grund, warum ich mich auch diesmal dafür eingesetzt habe", erzählt Hurt im Gespräch mit dem STANDARD. Der Waldviertler Student, der sich auch für Fridays for Future engagiert, sieht eine "Stagnation der Windkraft" in Österreich und eine nun vergebene Chance in seiner Gemeinde. "Das Waldviertel ist eine der am stärksten betroffenen Regionen vom Klimawandel, und nun wird gegen erneuerbare Energien gestimmt", betont Hurt.

Das Thema polarisiert jedenfalls in der Gegend. Plakate, entweder für oder gegen die Windräder, lassen sich alle paar Hundert Meter finden. Auf einem Brückenpfeiler ist etwa in Blockbuchstaben "Ja zu den Windrädern" zu lesen. Vor einem Einfamilienhaus steht wiederum ein Plakat mit der Aufschrift "Naturraum statt Industriezone". Und im Gipfelbuch am Predigtstuhl, das Moser während der Wanderung in Händen hält, sind Einträge mit obszönen Begriffen zu lesen, die entweder für oder gegen den Bau der Windräder sind.

Plakate zieren das Ortsbild der umliegenden Gemeinden.
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Katharina, die unweit des geplanten Standorts der Windräder wohnt und nicht mit vollem Namen genannt werden will, befürchtet eine Spaltung der beiden Lager und sieht die Pro- und Contra-Gemeinden gegeneinander ausgespielt. "Der Ton ist rau geworden. Bei so einem Projekt sollte man doch nicht nur den ökonomischen Standpunkt beachten, sondern auch ökologische und soziale Aspekte miteinbeziehen." Die zweifache Mutter, die vor einigen Jahren vom Bezirk Korneuburg ins Waldviertel zog, ist gegen das Projekt – sie fürchtet, dass in Zukunft der Wald am Predigtstuhl zerstört wird. "Unsere Meinung wurde nicht ernst genommen. Die fünf Bürgermeister waren dafür, und damit war das Thema erledigt", sagt sie dem STANDARD.

Auf den Predigtstuhl führen mehrere Wanderwege.
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Auch der Forst- und Landwirt Sepp Buxbaum, der wiederum für die Windräder stimmte, will zu Beginn erst nicht mit dem STANDARD sprechen, entschied sich aber doch dafür. "Ich bin selber Waldbesitzer und hätte kein Problem, meine Arbeit unter einem Windrad zu verrichten", sagt Buxbaum. Von einer "Zerstörung der Landschaft" durch die Windräder, wie es die IG Waldviertel bezeichnet, will Buxbaum nicht sprechen. Es sei vielmehr eine "Veränderung der Landschaft", und man würde den Wald als Energielieferanten nutzen. "Wir müssen unser Leben umgestalten, und das können wir nur auf eine ökologische Art und Weise."

Dichter Fichtenwald wechselt sich am Predigtstuhl mit kahlen Stellen ohne Bäume ab, wo der Wald entweder dem Borkenkäfer oder dem Wind zum Opfer gefallen ist.
Max Stepan/Standard

Die nächsten Schritte 

Und wie geht es nun nach den fünf Volksbefragungen weiter? Als Nächstes ist der Gemeinderat in jenen drei Orten am Zug, in denen die Bevölkerung dafür gestimmt hat. Denn für die vorgesehenen Flächen ist eine Umwidmung in Grünland mit Windkraftnutzung notwendig. Danach muss das Land Niederösterreich eine Entscheidung treffen. Thema ist unter anderem die sogenannte Zonierung: Das sind extra ausgewiesene Regionen für Windkraft, die im Raumordnungsplan vermerkt sind. Auch eine Umweltverträglichkeitsprüfung folgt noch, bei der unter anderem die Punkte Landschaftsbild und Naturschutz geprüft werden. Es könne noch bis zu sieben Jahre dauern, bis das erste Windrad am Predigtstuhl steht, heißt es von der Interessengemeinschaft Windkraft auf Anfrage.

Bei den drei Bürgermeistern in jenen Gemeinden, in denen die Bevölkerung für die Windkraftanlagen stimmten, ist die Freude entsprechend groß. Die Kommunen würden nicht nur mehr Geld bekommen, sondern es gebe auch billigere Stromtarife für die Einwohnerinnen und Einwohner, lautet der Grundtenor. Die Stimmung beim Groß-Sieghartser Bürgermeister Ulrich Achleitner (ÖVP) ist dagegen getrübt. In seiner Kommune sprachen sich 51 Prozent gegen die Windräder aus. Naturschutzbedenken hatte Achleitner bei dem Projekt nicht, denn es handle sich ohnehin um einen Nutzwald und es wäre im Zuge des Baus zu verpflichtenden Aufforstungen gekommen. "Das Schneiden von Bäumen hätte sich in Grenzen gehalten", betont Achleitner. (Max Stepan, 18.3.2024)