Mittlerweile kann man in Motordroschken den Fuhrlohn bereits auf viele Arten zahlen. Entweder Bargeld, Karte oder ein stromführendes Mobiltelefon braucht man aber auf jeden Fall.
APA / GEORG HOCHMUTH

Wien – Scabies, gemeinhin auch als Krätze bekannt, ist eine Hautkrankheit, die wohl auch für den hübschen österreichischen Begriff "Kretzn" für einen unguten Menschen Pate gestanden ist. Im Verfahren gegen den 19-jährigen Herrn M. spielt die von der Krätzmilbe ausgelöste Erkrankung eine gewisse Rolle, wie sich herausstellt, offenbar aber auch die Zweitbedeutung. Der unbescholtene Teenager soll am 20. Jänner in der Sturzgasse in Wien-Rudolfsheim mit angehaltenem Messer einen Taxifahrer beraubt haben, was der von Anita Schattner verteidigte M. vor dem Schöffensenat unter Vorsitz von Georg Allmayer strikt von sich weist.

Der Beschuldigte mache einen "freundlichen, bemühten und ruhigen Eindruck", beschrieben die Expertinnen und Experten der Wiener Jugendgerichtshilfe den Arbeitslosen im Rahmen der Jugenderhebungen. Einen Eindruck, den der im Irak geborene M., dessen Staatsbürgerschaft ungeklärt ist, auch vor Gericht vermittelt. Höflich und unaufgeregt erklärt er dem Vorsitzenden, warum er sich nicht schuldig zum Vorwurf des schweren Raubes bekennt.

"Ein Freund und ich haben uns in der Thaliastraße ein Taxi genommen und wollten zu ihm heimfahren", schildert der Angeklagte. Da der Akku seines Mobiltelefons leer gewesen sei, bat er den Lenker, es am Zigarettenanzünder aufladen zu dürfen. Am Fahrtziel angekommen, stellte sich heraus, dass die beiden Passagiere kein Bargeld mithaben. "Mein Freund hat gesagt, er geht schnell heim und holt eines", erzählt M. weiter. Der Freund holte keines, sondern blieb verschwunden. So eng kann die Freundschaft auch nicht gewesen sein – er habe den anderen seit einem Monat gekannt, sagt der Teenager, Namen will er keinen nennen.

Schwieriges Netbanking ohne Strom

"Wir haben zehn oder 15 Minuten gewartet. Ich hatte schon Geld, aber in der George-App", sagt der Angeklagte. Das Problem: Die Netbanking-Applikation, die man auch statt einer Bankomatkarte nutzen kann, funktioniert halt nur mit eingeschaltetem Handy. "Der Fahrer hat dann aber gesagt, er ruft jetzt die Polizei und hat sich mein Handy eingesteckt", behauptet der 19-Jährige. "Ich habe dann sein Handy genommen, das auf der Mittelkonsole gelegen ist." – "Warum?", fragt der Vorsitzende? "Ich war betrunken und habe nicht daran gedacht", entschuldigt M. sich. "Und warum sind Sie danach weggelaufen?" – "Das kann ich leider nicht sagen", bedauert der junge Mann. Der Angeklagte beteuert aber, weder ein Messer gezückt noch damit gedroht zu haben.

Auf die Spur kam man ihm recht rasch: Zunächst rief seine Freundin auf dem beim Taxler verbliebenen Mobiltelefon an und gab M.s Daten heraus. Der pakistanische Lenker war mittlerweile zur Polizei gefahren, die bei den Eltern des vor elf Jahren nach Österreich gekommenen Angeklagten vorbeischaute. M.s Mutter rief also die Nummer des Opfer-Handys an und forderte ihren Sohn auf, heimzukommen, was der machte und danach mit seinem Vater zur Polizei fuhr.

Der Teenager erzählt die Geschichte durchaus überzeugend, man könnte tatsächlich meinen, es habe sich vielleicht um ein eskaliertes sprachliches Missverständnis gehandelt. Aber nur so lange, bis sich das Bild durch die Nachfragen zu wandeln beginnt. "Bei der Polizei und der Jugendgerichtshilfe haben Sie noch gesagt, Sie haben das Handy des Taxifahrers mit Ihrem verwechselt und es sei ein Versehen gewesen", hält Allmayer dem Angeklagten vor. "Ich hab auch ein 14er, er ein pro, ich ein mini", lautet die für weniger Technikaffine zunächst kryptisch klingende Antwort. Wie sich herausstellt, haben beide unterschiedliche Modelle desselben Herstellers.

Saftige Scooter-Strafen

Beisitzerin Martina Frank gibt sich damit aber nicht zufrieden. Sie will wissen, warum M. zwei Mal von einer Verwechslung gesprochen hat und nun behauptet, er habe das Gerät im Rausch aus Rache mitgenommen. Aufklären kann der Angeklagte diesen Widerspruch nicht wirklich. Eine Schöffin will wissen, wie M. zu den 7.000 Euro Schulden gekommen ist, die er bei seiner Festnahme zu Protokoll gab und die seine Mutter mittlerweile beglichen hat. "Wegen des Scooters", lautet auch hier die verblüffende Antwort. "Haben Sie sich einen gekauft?", fragt der Vorsitzende nach. "Nein, ich bin drei Mal darauf berauscht erwischt worden und musste jedes Mal 2.500 Euro zahlen", erläutert der Angeklagte.

Der auch nicht so unbescholten ist, wie sich herausstellt. "Warum sind Sie sich so sicher, dass Sie kein Messer dabeihatten?", bohrt Allmayer nach. "Weil ich so was nicht mag", sagt M. zunächst. "Nicht auch, da Sie ein Waffenverbot haben?" – "Ja, das auch." – "Warum haben Sie das?" – "Ich hatte einmal Streit mit der Freundin, da kam die Polizei", verrät der Teenager. "Hatten Sie sonst schon einmal Probleme mit der Polizei oder der Justiz?", will der Vorsitzende später wissen. "Nein. Nur das mit dem Scooter", fühlt der Angeklagte sich sicher. "Sie hatten vor nicht allzu langer Zeit zwei diversionelle Erledigungen durch die Staatsanwaltschaft, seh ich hier!", kontert der Vorsitzende. "Ach so, da kam ich nur zur Einvernahme, aber ich war nie vor Gericht", versucht M. sich herauszuwinden.

Der Taxifahrer erzählt als Zeuge eine gänzlich andere Geschichte. Er habe das Duo chauffiert, der Zweite sei am Zielort ausgestiegen, aber neben der Beifahrertür stehen geblieben und habe sich mit dem Angeklagten auf Arabisch unterhalten. Plötzlich habe der hinter ihm sitzende M. ihm möglicherweise ein Messer an den Nacken gehalten und gesagt: "Gib mir alles, was du hast!" Auf seine Antwort: "Ich habe gar nichts, nimm, was du willst", habe der junge Mann das Handy des Zeugen geschnappt, anschließend seien beide weggelaufen.

Opfer verzeiht 19-Jährigem

"Hat Ihnen der Angeklagte sein Handy zum Aufladen gegeben?", will der Vorsitzende wissen. "Nein. Er hat seines verloren, das habe ich danach hinten bei der Fußmatte gefunden", gibt der Zeuge an. "Hat einer der beiden gesagt, dass sie kein Geld haben und eines holen müssen?" – "Nein." – "Hat der Angeklagte gesagt, dass er mit dem Handy zahlen will?" – "Nein." – "Ist das in Ihrem Taxi überhaupt möglich?" – "Ja." Die 22,80 Euro Fuhrlohn oder Schmerzengeld will der 41-jährige Zeuge nicht: "Es ist Ramadan, ich verzeihe ihm. Er ist jung, ich hoffe, er lernt etwas!"

An noch etwas kann sich der Taxifahrer erinnern: Der Angeklagte habe blutige Hände und blutige Kleidung getragen, auch das Mobiltelefon sei blutig gewesen. "Er hat gesagt, er hat am Westbahnhof eine Schlägerei gehabt", erzählt der Zeuge. Der Angeklagte bestreitet vor Gericht, überhaupt geblutet zu haben. Womit er es schafft, die sonst so überaus korrekte Beisitzerin Frank quasi zu einem emotionalen Ausbruch zu bringen: "Schön langsam verärgern Sie mich!", erklärt sie M. nämlich.

Und hält ihm den Polizeibericht vor: Dort vermerkten die Beamten zwölf Stunden nach dem angeklagten Raub, als M. mit seinem Vater in die Polizeiinspektion kam, nämlich, dass der Angeklagte zahlreiche Blutflecken auf der Kleidung aufwies. Die erste Erklärung des 19-Jährigen: Er leide an Krätze und habe sich blutig gekratzt. Die zweite Erklärung: Er habe sich tags zuvor mit einem Messer geschnitten. "Es war kein Messer!", beteuert der Angeklagte nun. "Es war eine Glasflasche! Ich habe mich auf dem Weg zur Polizeistation an einer Glasflasche geschnitten." – "Wie schneidet man sich beim Trinken an einer Glasflasche?" – "Ich habe Sie zerbrochen." – "Warum?" – "Um mich absichtlich zu schneiden", lautet die kuriose, aber nicht näher begründete Antwort. "Aber im Taxi habe ich nicht geblutet!", versichert M. nachdrücklich.

Teilbedingte Haft

Spätestens mit diesem Dialog ist klar, welche Richtung das Verfahren nimmt. Da der Zeuge die Waffe nicht genau beschreiben konnte, ist der Senat zwar gnädig zum Angeklagten, geht nicht von einem Messer aus und stuft das Delikt vom schweren zum "einfachen" Raub herunter. Dennoch wird der Unbescholtene zu 15 Monaten Haft, fünf davon unbedingt, verurteilt.

Man habe keine Zweifel an der Aussage des Taxifahrers gehabt, begründet Allmayer die Entscheidung. "Mit dem Blut war etwas, der Angeklagte hat dazu immer wieder seine Aussage geändert, da gibt es sicher eine Vorgeschichte, die er uns offensichtlich nicht erzählen will", ist der Vorsitzende überzeugt. Dem Senat sei es auch wichtig gewesen, den unbedingten Teil der Strafe so auszumessen, dass M. nicht nach zwei Monaten Untersuchungshaft sofort heimgehen könne. "Da heißt es dann immer, es sei ein Freispruch", macht sich Allmayer keine Illusionen über die Wahrnehmung von Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Zumindest ein Monat werde M. also noch in der Justizanstalt verbringen, und sobald er herauskommt, muss er Bewährungshilfe in Anspruch nehmen und entweder eine Entzugs- oder eine Psychotherapie absolvieren. (Michael Möseneder, 19.3.2024)