Menschenmasse, verschwommen, auf einem Zebrastreifen
Wie schnell die Menschheit wächst, hängt von vielen Faktoren ab, darunter Bildung und die Entwicklung des Klimas.
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Herauszufinden, wie viele Menschen tatsächlich derzeit den Planeten bevölkern, ist ein Ding der Unmöglichkeit. Und auch die Schätzungen klaffen zum Teil um einiges auseinander. Laut dem World Population Dashboard des United Nations Population Fund wurde offiziell die Acht-Milliarden-Marke am 15. November 2022 überschritten. Momentan dürften wir uns auf 8,1 Milliarden zubewegen.

Differierende Berechnungen gibt es auch darüber, wie sich die Weltbevölkerung weiterentwickeln wird, inwieweit sich die "Bevölkerungsexplosion" des letzten Jahrhunderts einbremsen wird – und wann der Peak, also der Höhepunkt, erreicht sein und die Menschheit wieder schrumpfen wird. Laut neuen, umfassenden Prognosen von Demografinnen und Demografen des Internationalen Instituts für Angewandte Systemanalyse (IIASA) in Laxenburg bei Wien und des Wiener Wittgenstein Centre for Demography and Global Human Capital (WIC) wird die Weltbevölkerung nun doch länger und stärker wachsen als bisher angenommen.

In einem mittleren, "realistischen" Szenario für die gesellschaftliche, wirtschaftliche und klimatische Entwicklung der Erde wird demnach um das Jahr 2065 die Zehn-Milliarden-Menschen-Grenze überschritten. Nach einem Peak in den 2080er-Jahren gebe es bis zum Jahr 2100 nur einen leichten Rückgang auf rund 9,9 Milliarden Menschen. Grund sei vor allem, dass ein höheres Bildungsniveau die Geburtenzahlen in einigen Weltregionen weniger drückt als erwartet.

Neue Daten zu Corona und Krieg

Die Uno ging zuletzt von einem Höchststand von rund 10,4 Milliarden Menschen erst im Jahr 2080 aus. Das Forschungsteam von IIASA und WIC rund um den Demografen Wolfgang Lutz hatte traditionell einen weniger starken Anstieg der Weltbevölkerung als die Uno-Berechnungen vorhergesehen. 2013 ging man noch von einem weltweiten Allzeithoch von etwa 9,4 Milliarden um das Jahr 2070 und rund 8,9 Milliarden um 2100 aus. In einer Überarbeitung im Jahr 2018 lag man mit einem Höhepunkt von 9,7 Milliarden um 2070 und rund 9,3 Milliarden am Jahrhundertende schon etwas höher. In dem neuen Arbeitspapier wurden somit die bisherigen Zahlen noch einmal nach oben revidiert. Das Update beinhaltet neue Bevölkerungs-, Bildungs- und Migrationsdaten, außerdem wurden Effekte der Covid-19-Pandemie und der Fluchtbewegungen infolge des Ukrainekriegs eingearbeitet.

Bei den Berechnungen orientiert sich das Team an den "Shared Socioeconomic Pathways" (SSPs) genannten Zukunftsszenarien, in denen der Weltklimarat (IPCC) verschiedene Entwicklungswege bis zum Jahr 2100 beschreibt, die dann zu unterschiedlichen Treibhausgaskonzentrationen in der Atmosphäre führen. In der Studie geht man von dem aus heutiger Sicht wahrscheinlichsten Szenario aus, genannt "Mittelweg", "Fortführung der bisherigen Entwicklung" oder "SSP2". In diesem Szenario entwickelt sich die Einkommensverteilung weltweit weiter auseinander, die internationale Kooperation verbessert sich nur geringfügig, die Umweltsituation verschlechtert sich entsprechend weiter, und die Weltbevölkerung wächst moderat weiter.

Langanhaltende Zunahme

Unter diesen Annahmen würde es den Demografinnen und Demografen zufolge weltweit zu einer sich zwar abschwächenden, aber lange anhaltenden Zunahme der Bevölkerung kommen. Im Zeitraum 2065 bis 2070 würden der Prognose zufolge erstmals knapp mehr als zehn Milliarden Menschen auf der Erde leben. Ihren Höhepunkt erreicht die Entwicklung demnach zwischen 2080 und 2085 mit rund 10,13 Milliarden Menschen. Bis zum Ende des Jahrhunderts sei dann mit einer Abnahme auf rund 9,89 Milliarden zu rechnen.

Asien hätte dann knapp 4,5 Milliarden Einwohner, Afrika mit mehr als 3,5 Milliarden mehr als die doppelt so viele wie heute. Europa läge bei 671 Millionen, Latein- und Nordamerika bei 669 bzw. 450 Millionen und Ozeanien bei 62 Millionen. Skizziert werden allerdings auch andere Szenarien, in denen die Welt etwa auf dem "fossilen Weg" bleibt, was eine deutlich stärkere Erderhitzung und eine markante Abnahme der Weltbevölkerung bedeuten würde.

Es war an der Zeit für eine grundlegende Überarbeitung, sagt Anne Goujon, die Leiterin des "Population and Just Societies"-Programms (Popjus) am IIASA. Der Klimawandel habe in den letzten Jahren deutlich Fahrt aufgenommen, dazu kamen neue Kriege und Unruhen, die die Migrationsströme veränderten, und nicht zuletzt die Pandemie, die eine weltweit spürbare Übersterblichkeit brachte. In den neuen Langzeitberechnungen ist Covid aber nur eine kleinere Delle in der nach oben zeigenden Gesamtentwicklung. Die Lebenserwartung nimmt seitdem wieder zu, betont Goujon.

Unklare Mechanismen

Die Unterschiede zu den früheren Prognosen erklären sich vor allem damit, dass in vielen Ländern des Südens die Kindersterblichkeit glücklicherweise stärker als erwartet zurückgegangen ist. Im südlichen Afrika etwa sei dies das Resultat von Impfkampagnen, internationaler Hilfe und besserer Hygiene, sagt Goujon. Dazu komme, dass man eigentlich davon ausging, dass die Geburtenraten mit dem tendenziell steigenden Bildungsniveau in vielen dieser Staaten stärker sinken würden als zuletzt beobachtet. In manchen Ländern habe sich hier wenig verändert: "Das haben wir nicht vorhergesehen." So wurde etwa in Pakistan 2017 zum ersten Mal seit den 1990ern eine Volkszählung durchgeführt – mit dem Ergebnis, dass man die Annahmen zur dortigen Bevölkerung bis 2100 gleich um ganze 150 Millionen anheben musste, auch weil die Geburtenraten dort kurz sogar hinaufgingen.

Die Mechanismen dahinter sind vielfach noch unklar: So könnte es sein, dass sich der Effekt erst verzögert einstellt. Wenn etwa viele Frauen zwar im Schnitt mehr Bildung erfahren, dann aber keine adäquaten Arbeitsstellen finden, führt das vielleicht wieder dazu, dass sie in traditionellen Strukturen mit vielen Kindern landen, vermutet Goujon. Spekuliert wird auch über kulturelle Faktoren wie festgefahrene Vorstellungen zur idealen Kinderanzahl. "Ich bezweifle das aber", sagt die Forscherin, die mittelfristig auch mit einer Abnahme der Fertilitätsrate im Globalen Süden rechnet, von der man aber noch nicht sagen könne, wie schnell sie vonstattengeht.

Vorausgesetzt, die Erderhitzung macht viele Gegenden nicht mehr oder weniger unbewohnbar, stehen die Zeichen nun darauf, dass die Erde zumindest für einige Zeit mehr als zehn Milliarden Leute beherbergen wird. Das alleine sei kein Anlass zur Panik, erklärt die Forscherin: "Ich fürchte mich nicht vor der Anzahl an Menschen, sondern davor, was sie tun." Wenn es die Welt bis dahin hinbekomme, nachhaltiger, innovativer, gemeinschaftsorientierter und umweltbewusster zu leben, sei das machbar. Goujon zeigt sich zuversichtlich: "Ich glaube an die Intelligenz des Menschen." (APA, kri, 18.3.2024)