"Wir schlagen eine neue Seite auf im Geschichtsbuch unserer Nation." Mit dem stolzen Satz nahm Vaughan Gething am Wochenende die Wahl zum neuen Labour-Vorsitzenden in Wales an. An diesem Mittwoch wird somit, geschlossenes Abstimmungsverhalten seiner Fraktion im Cardiffer Parlament Senedd vorausgesetzt, erstmals ein Schwarzer der Ministerpräsident der Region im Westen der britischen Insel.

Vaughan Gething posiert für ein Foto.
Vaughan Gething ist der Sohn eines weißen walisischen Tierarztes und einer schwarzen Geflügelzüchterin aus der afrikanischen Ex-Kolonie Sambia.
AP/Ben Birchall

Die europaweite Premiere demonstriert einmal mehr die außergewöhnliche Fähigkeit des Vereinigten Königreichs zur Integration und Förderung ethnischer Minderheiten. Zu dem indischstämmigen Hindu Rishi Sunak als britischem Premierminister haben sich schon bisher der schottische Erste Minister Humza Yousaf sowie Londons Bürgermeister Sadiq Khan, beide Söhne pakistanischer Einwanderer und gläubige Muslime, gesellt. In Belfast amtiert seit kurzem Michelle O'Neill, als Katholikin Angehörige der jahrzehntelang diskriminierten Minderheit, als Ministerpräsidentin. Schwarze bekleideten schon bisher hohe Kabinettsämter in London, Edinburgh und Cardiff, haben es aber noch nicht an die Spitze geschafft.

Am Ehrgeiz des Rechtsanwalts Gething gibt es wenig Zweifel. Schon 2018 bewarb sich der Sohn eines weißen walisischen Tierarztes und einer schwarzen Geflügelzüchterin aus der afrikanischen Ex-Kolonie Sambia um den regionalen Labour-Vorsitz. Damals unterlag er dem 20 Jahre älteren Mark Drakeford, dem er anschließend loyal als Gesundheits- und Wirtschaftsminister diente. Einen Tag nach seinem 50. Geburtstag ging nun für den verheirateten Vater eines Sohnes der Wunsch nach dem höchsten Amt in Wales in Erfüllung.

Knappes Rennen

Allerdings rumort es parteiintern heftig, weil Gething im Wahlkampf mit umgerechnet 234.000 Euro von einem verurteilten Umweltsünder unterstützt wurde. Womöglich deshalb hatte er bei der Urwahl durch die Labour-Mitglieder mit 51,7 Prozent nur denkbar knapp die Nase vorn. Der unterlegene Bildungsminister Jeremy Miles versicherte den neuen Chef zwar seiner Loyalität, fügte aber hinzu: "Das Vertrauen der Waliser muss immer aufs Neue verdient werden."

Die 3,1 Millionen Bewohner der Region haben seit Einführung des Regionalparlaments 1999 stets die seit Jahrzehnten dominante Arbeiterpartei im Amt bestätigt. Der unauffällig auftretende Ex-Professor Drakeford hinterlässt seinem deutlich glamouröseren Nachfolger mancherlei Probleme. So verzeichnet das Gesundheitssystem NHS in Wales deutlich längere Wartezeiten und schlechtere Ergebnisse als in England und Schottland.

Das Stahlwerk in Port Talbot ist von der Schließung bedroht, was für den ohnehin strukturschwachen Bezirk einer Katastrophe gleichkommt. Ganz Wales kämpft mit langfristigen Trends: Die Bevölkerung ist älter als im Rest des Landes, der Anteil von Arbeitslosen und Langzeitkranken liegt höher, die Wirtschaftskraft ist geringer. (Sebastian Borger aus London, 18.3.2024)