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Warteschlange vor der russischen Botschaft in Wien am Sonntag, 17. März 2024.
APA/TOBIAS STEINMAURER

Wien – Mit rund 88 Prozent brachten die Wahlen in Russland bereits am Sonntag das erwartete Rekordergebnis für den russischen Präsidenten Wladimir Putin. Die Wahlbeteiligung wurde am Sonntagabend mit mehr als 70 Prozent angegeben, dem historisch höchsten Wert bei einer russischen Präsidentenwahl. Die Opposition spricht von einer Farce, in Russland gab es Protestaktionen und Festnahmen.

In Österreich hingegen fiel das Ergebnis anders aus, zumindest laut den in Salzburg und Wien abgegebenen Stimmen. Im Generalkonsulat in Salzburg votierten die Auslandsrussinnen und -russen mehrheitlich für Wladislaw Dawankow, den stellvertretenden Vorsitzenden der Staatsduma. Er war als Gegenkandidat zugelassen worden, gilt aber nicht als radikaler Herausforderer Putins.

Laut Angaben der Zentralen Wahlkommission sind am Sonntag insgesamt an 1.437 Personen Wahlkarten im russischen Generalkonsulat in Salzburg ausgegeben worden: 52,68 Prozent davon stimmten für Dawankow, 22,82 Prozent wählten ungültig, 21,09 Prozent für Putin.

Hohe Wahlbeteiligung

Bei den letzten Präsidentschaftswahlen in Russland im Jahr 2018 hatten im Generalkonsulat an der Salzach lediglich 237 Personen gewählt. Der hohe Anstieg der Wahlbeteiligung in Salzburg ergibt sich allerdings auch dadurch, dass auch zahlreiche in Deutschland lebenden Russinnen und Russen in Salzburg votierten. Die Regierung in Berlin hat vier von fünf Generalkonsulate in Deutschland geschlossen, darunter auch das in München. Vor diesem Schritt hatte die Regierung in Moskau ihrerseits eine Obergrenze für die "deutsche Präsenz" an diplomatischen Vertretungen, aber auch Kulturinstituten, angekündigt.

In Österreich hatten sich – wie in vielen anderen Ländern auch – am Sonntag vor den diplomatischen Vertretungen lange Menschenschlangen gebildet. Vor der russischen Botschaft in Wien sowie auch vor dem Generalkonsulat in Salzburg wurde das vielfach als Zeichen des wachsenden Unmuts gelesen. In der Bundeshauptstadt schätzte die Landespolizeidirektion Wien die Menschentraube vor der Botschaft im dritten Bezirk zur Spitzenzeit auf um die 1.200 bis 1.300 Personen ein.

Lange Schlangen

In Wien gingen 43,50 Prozent der gültigen Stimmen an Dawankow und 33,98 Prozent an Putin. Die Wahlbeteiligung in der Hautstadt hat sich trotz der längeren Wartezeit vor der russischen Botschaft laut offiziellen Angaben im Vergleich zu 2018 nicht verändert. 2.278 Russinnen und Russen wählten am Sonntag laut offiziellen Angaben in der Botschaft in Wien.

Nicht alle kamen allerdings ausschließlich oder überhaupt, um zu wählen. So gaben in Wien einige Anwesende im Gespräch mit Medien an, sich nur angestellt zu haben, um Zeit mit Freunden zu verbringen. Viele versammelten sich in der Nähe der diplomatischen Vertretungen, um an der internationalen Aktion Protestaktion "Zu Mittag gegen Putin" teilzunehmen. Die Kundgebung um 12 Uhr hatten Anhängerinnen und Anhänger des in Haft verstorbenen Oppositionellen Alexander Nawalnys initiiert, um ein Zeichen gegen Putin zu setzen. Sie fanden in Russland, aber auch weltweit vor diplomatischen Vertretungen statt. Die Witwe Nawalnys, Julia Nawalnaja, hatte aufgerufen, in Massen zu den Wahllokalen zu strömen. Sie selbst reihte sich in die Warteschlange vor der russischen Botschaft in Berlin ein.

Inoffizielle Wahlbeobachter

Laut Angaben der Behörden in Wien zählte die Gruppe jener, die in der Hauptstadt lautstark demonstrierten, rund 70 Personen. In Salzburg war es Medien zufolge eine kleinere Gruppe. Noch vor dem großen Ansturm zu Mittag hatten Anhängerinnen und Anhänger des in Haft verstorbenen Politikers Alexej Nawalnys wieder die improvisierte Gedenkstätte für den verstorbenen Oppositionsführer gegenüber der Botschaft errichtet. Die seit 16. Februar existierende Gedenkstätte war davor am Samstagabend von Unbekannten entfernt worden.

Das Salzburger und Wiener Ergebnis für Dawankow deckten sich dabei fast exakt mit den Resultaten eines von der Initiative "Vote Abroad" durchgeführten Exit Polls. Die Bewegung wurde 2021 gegründet, sie besteht aus eigenen Angaben aus unabhängigen Beobachtern, die inoffizielle Wahlbefragungen durchführen. So auch am Sonntag in Wien und Salzburg. Für den Kandidaten Putin hatte die Initiative "Vote Abroad" in Salzburg niedrigere Zahlen genannt, nämlich acht Prozent. In Wien sahen sie Dawankow mit 44 Prozent an der Spitze und Putin bei sieben Prozent.

Experte sieht Protest

Der russische Politologe Kirill Rogov wertet den großen Ansturm vor den Wahllokalen im Ausland als "Demonstration". Er war am Sonntag vor der Botschaft in Wien zugegen. Rogov ist ein russischer politischer Analyst und Publizist. Nach Beginn des russischen Angriffskriege gegen die Ukraine verließ er seine Heimat. Derzeit ist er Stipendiat am Institut für die Wissenschaften vom Menschen (IWM) in Wien. 2023 wurde er vom russischen Justizministerium als "ausländischer Agent" eingestuft.

Rogov sagt, viele Russinnen und Russen seien am Sonntag gekommen, um ihren Protest gegen Präsident Putin auszudrücken. Wahlen, wie sie derzeit in Russland stattfinden, könne niemand mit seiner Stimme beeinflussen. Widerstand, sagt Rogov, finde daher in anderen Formen statt: Durch die Trauerbekundungen für den im Straflager verstorbenen Kreml-Kritiker Nawalny etwa. Oder davor durch die Unterstützung des von der Präsidentenwahl ausgeschlossenen Oppositionspolitikers Boris Nadeschdin. Und eben durch Schlangestehen am Wahltag.

Nicht repräsentativ für Russland

Der österreichische Politologe und Russland-Experte Gerhard Mangott bringt die Menschenansammlungen vor den Wahllokalen im Ausland ebenfalls in Verbindung mit dem Umstand, dass Putin außerhalb Russlands schlechter abschneidet. Er warnt aber umgekehrt davor, Putins Resultate im Ausland als Indiz dafür zu werten, wie ein Urnengang in Russland aussehen könnte, wenn es dort freie Wahlen gäbe. "Das wäre ein Fehlschluss", sagt Mangott. Denn: Wer Russland verlassen habe, ob nun aus wirtschaftlichen Gründen oder aufgrund von politischer Repression, ergebe ein "Sample, das nicht repräsentativ ist".

Gebildete, besser verdienende, eher urbanere und oftmals jüngere Russinnen und Russen würden in Russland die "kreative Klasse" ergeben, die sich eher gegen Putin oder den Ukrainekrieg ausspreche, erklärt Mangott. In Russland mache sie um die 18 bis 20 Prozent aus. Im Westen sei diese Bevölkerungsschicht stärker vertreten. Alleine seit Ausbruch des Ukrainekrieges sind eine Million Menschen aus Russland weggezogen. (Anna Giulia Fink, red, 18.3.2024)