Hilfsorganisationen warnen schon seit Wochen vor einer Hungersnot in Gaza.
IMAGO/Yasser Qudihe

Das Paket fiel "wie eine Rakete" auf das Dach eines Hauses: So beschreibt ein Augenzeuge die Hilfslieferung via Airdrops nahe dem Flüchtlingscamp Al-Shati im Norden des Gazastreifens, den schon seit Monaten kaum Hilfsgüter erreichen. Bei der nicht nach Plan verlaufenen Lieferung gab es mehrere Tote, weil sich die Fallschirme nicht öffneten und die Pakete Menschen erschlagen haben.

Nicht nur deshalb bezeichnen Hilfsorganisationen Airdrops unter anderem als schlechteste Form der Hilfe, die nur im äußersten Notfall zum Einsatz kommen sollte. Auch eine ordentliche oder auch nur ansatzweise gerechte Verteilung ist unmöglich. Es gilt das Recht des Stärkeren – und die Gefahr, dass die Hilfen in die Hände der Hamas oder krimineller Gangs kommen, die sie zu einem hohen Preis oder gar nicht an die Menschen verteilen, ist deutlich größer als bei anderen Formen der Unterstützung. "Wer mit Sicherheit nicht die Hilfe bekommt, sind die, die es am meisten brauchen", sagt Walter Hajek vom Roten Kreuz.

Katastrophale Mangelversorgung

Die Situation in Gaza ist schon seit Monaten dramatisch, die Zerstörung nach fast einem halben Jahr Krieg massiv. Israel hält an der Militäroperation in der Stadt Rafah fest, in die mehr als eine Million Menschen geflüchtet sind, weil ihnen dort Sicherheit zugesagt wurde. Hilfsorganisationen zufolge ist die gesamte Bevölkerung im Gazastreifen von einer Hungersnot bedroht, die Hälfte der rund 2,2 Millionen Einwohner leiden einem UN-Bericht zufolge unter "katastrophalem Hunger". Im Norden des Gazastreifens gilt eines von drei Kindern unter zwei Jahren als akut mangelernährt. Ärzte berichten, dass dort Babys mittlerweile an Unterernährung sterben.

Im Gazastreifen ist die gesamte Bevölkerung von mehr als 2,2 Millionen Menschen von einer Hungersnot bedroht, auch aus der südlichen Stadt Rafah kommen Bilder unterernährter Kinder. Im Norden des Gazastreifens, wo kaum Hilfsgüter ankommen, ist die Lage noch prekärer: Dort gilt mittlerweile eines von drei Kindern unter zwei Jahren als akut mangelernährt.
REUTERS/Mohammed Salem

Trotzdem kommen viel zu wenige Hilfsgüter in den Gazastreifen. Israels Regierungssprecher Eylon Levy sprach Anfang März von durchschnittlich 102 Lebensmittellastern pro Tag, die das Küstengebiet erreichen, und einer Steigerung von 50 Prozent im Vergleich zur Zeit vor Kriegsbeginn. Vor dem 7. Oktober waren es allerdings etwa 500 Lkws täglich, UN-Angaben zufolge waren im Jahr 2022 rund ein Viertel davon Lebensmittel. Bedacht werden muss auch, dass Israel in den ersten beiden Wochen des Krieges überhaupt keine Hilfsgüter in das Gebiet zugelassen hat und die Produktion innerhalb des Gazastreifens mit Kriegsbeginn weitgehend zusammengebrochen ist. Dem World Food Programme zufolge braucht es mindestens 300 Lastwagen pro Tag, nur um die Grundbedürfnisse der Menschen zu stillen.

Israel hätte an den eigenen Grenzübergängen die beste Kontrolle darüber, dass wirklich nur humanitäre Güter hereinkommen. Der Großteil der Lieferungen wird aber den langen Weg über Ägypten umgeleitet. Sie müssen durch aufwendige und langwierige Kontrollen, viele Hilfsgüter werden zurückgewiesen oder der Zugang aus Israel wird von radikalen Siedlern aus dem Westjordanland blockiert. Jene Hilfen, die durchkommen, können immer schwerer verteilt werden, die hungernden Menschen werden verständlicherweise immer verzweifelter. Palästinensische Polizisten, die Konvois schützen sollten, hat Israels Militär in den vergangenen Wochen wegen mutmaßlicher Verbindungen zur Hamas in großer Zahl getötet.

Ja, die Hamas hat am 7. Oktober mit dem Massaker an 1.140 Menschen und der Entführung von rund 240 Geiseln den Krieg ausgelöst. Über die Reaktion und ihr Ausmaß entscheidet aber die israelische Regierung. Die derzeitige Entscheidung bedeutet Hunger, Leid und katastrophale Zustände in mittlerweile unbeschreiblichem Ausmaß – und zwar für die gesamte Bevölkerung im Gazastreifen, nicht nur die Hamas. Dieses Leid darf nicht in Kauf genommen werden.

Mittlerweile wirft auch Deutschland Hilfen aus der Luft über Gaza ab. Hilfsorganisationen sehen diese Form der Unterstützung kritisch – nicht nur, weil sich nicht immer alle Fallschirme öffnen.
EPA/SHERIFA KAESTNER / GERMAN AR

Der Hunger in Gaza ist menschengemacht, also vermeidbar. Israel hätte die Möglichkeiten und die Verantwortung, mehr Hilfsgüter zuzulassen. Lieferungen aus der Luft oder über den Seeweg sind nicht die Lösung. Länder wie die USA oder Deutschland müssten mehr Druck auf Israel ausüben, damit deutlich mehr Hilfen über den Landweg nach Gaza kommen – und die humanitäre Katastrophe beendet wird. (Noura Maan, 18.3.2024)