Social-Media-Satirikerin Toxische Pommes hat ihren ersten Roman geschrieben.
Social-Media-Satirikerin Toxische Pommes hat ihren ersten Roman geschrieben.
Muhassad Al-Ani

Noch als sie ein Baby ist, beschließen die Eltern, Rijeka zu verlassen. Denn sie wissen nicht, wie rasch der Krieg auf dem Balkan, der aus bisherigen Nachbarn "Ethnien und Religionen" gemacht hat, auch zu ihnen kommt. Wien, das soll schön sein, haben sie gehört. Dorthin wollen sie als Gastarbeiter, nicht als Asylwerber, weil sie auch gehört haben, dass Letztere nachts in Bussen wieder abgeschoben wurden.

"Es ist ein autofiktionales Buch", sagt die Satirikerin Toxische Pommes über ihren am Montag erschienenen ersten Roman. Seit 2020 parodiert sie auf Tiktok und Instagram Balkanklischees, Wiener und Bobos, 182.000 Nutzer folgen dem auf Instagram, 95.000 auf Tiktok. Ein Buch wollte sie schon länger schreiben, dann hat Zsolnay angeklopft. Wie in ihren Videos hat sie auch für "Ein schönes Ausländerkind" mit persönlichem Material gearbeitet, es weiterentwickelt und verändert. Eine Autobiografie fände Irina, wie Toxische Pommes bürgerlich heißt, "langweilig". Die Geschichte soll über ihre eigene hinausgehen, sagt sie, auch für andere Menschen Anknüpfungspunkte bieten. Was erlebt und was Erfindung ist, möchte sie deshalb auch im Gespräch nicht auseinanderklauben.

Ausbeuterische Österreicherin

Was jedenfalls übereinstimmt: Irinas Familie sowie die Familie in ihrem Buch schlagen in den 1990ern in Wiener Neustadt auf. Das "neue" Wien, muss das nicht noch besser sein als das "alte"? Auch sonst geht im Buch einiges schief. Denn die Lehrerin Renate, die die Flüchtlingsfamilie bei sich wohnen lässt, hat sich immer schon ein Hausmädchen gewünscht und teilt die Mutter sechs Tage die Woche zur Arbeit ein: Böden wischen, den Messiekeller aufräumen, Schnitzel für die Schwiegermutter panieren. Der Vater bekommt indes, weil sich die Behörden querlegen, keine Arbeitserlaubnis. Und das, obwohl beide Eltern in der Heimat studiert haben.

Der Vater ist die tragische Figur der 200 Seiten, vereinsamt in der Folge sozial, spricht kaum Deutsch, schämt sich, vergräbt sich bis tief in die Nacht in das neuartige Internet. Sie wollte sich mit der Frage beschäftigen, was es bedeutet, als Migrantin oder Migrant in Österreich nicht integriert zu sein, sagt Irina. Weil über diese Personen sehr einseitig und negativ berichtet werde, sie als Bedrohung oder Faule dargestellt würden, die nur das Sozialsystem ausbeuten wollen. Das kann man dem Vater nicht vorwerfen. Er wird in diese Rolle gedrängt.

Krise durch Komplexitäten

Was zu einem interessanten Rollentausch führt: Während die Mutter später in ihrem Berufsfeld Pharmabranche den Wiedereinstieg schafft, kocht und putzt er, geht mit der Tochter zum Leistungsschwimmen. Er ist ein Vater, so sanft und zugewandt, wie man ihn in der heimischen Literatur selten findet. "Ich wollte zeigen, dass vermeintlich nicht integrierte Personen auch Menschen sind und kein empathieunwürdiger, gesichtsloser Einheitsbrei", sagt Irina.

Geschildert wird dies alles über den Blick der Tochter. Das Verhältnis zum Vater bekommt allmählich aber Risse. Wenn er ihr in der Welt da draußen ins Ohr flüstert, was sie im Laden ins Deutsche übersetzen soll, verändert das ihr Bild von ihm. "Seine Körperhaltung veränderte sich, sein Gang wurde bedächtiger, sein Rücken gebückter und seine Stimme schwächer", heißt es im Roman.

Sei es der Wunsch nach Barbies oder dass Frauen in der Fußgängerzone ihre Handtaschen fester halten, wenn sie die Familie miteinander sprechen hören: das Kind muss in dieser Coming-of-Age-Story unter speziellen Bedingungen mit vielen Komplexitäten umgehen. Es ist eine Geschichte, die viele Migrantinnen und Migranten auf die eine oder andere Art teilen, sagt Irina. Sie hofft, dass Menschen ohne und mit Migrationsbiografie sie lesen. Zwar möchte sie für niemanden sprechen, aber: Wenn die einen eine neue Perspektive gewönnen und die anderen sich in der Geschichte wiederfänden, fände sie das schön.

"Nichts ersetzt gute Politik"

Sie selbst hatte als Kind nämlich wenige Vorbilder mit einer ähnlichen Biografie. Justizministerin Alma Zadić? So eine hätte sie sich "als Zeichen, dass man auch gesehen wird, Chancen hat in dieser Welt, wirklich gewünscht". Heute ist Irina Juristin und als Social-Media-Comedian selbst womöglich ein Vorbild. Dass Social Media ebenso wie Kunst zum Community-Building, zu Vernetzung und Sichtbarkeit beitragen können, glaubt sie schon. "Aber nichts davon ersetzt eine gute, nachhaltige Politik, die auf die Bedürfnisse von all den Menschen achtet, die in einer Gesellschaft leben. Und die sind nun einmal divers." Auf eine solche Politik warte aber nicht nur sie schon sehr lange.

So schafft ihre junge Heldin denn auch nicht wegen, sondern trotz des Systems den Aufstieg. Von der Deutschlehrerin trotz ihres tadellosen Deutsch für die Hauptschule empfohlen, geht sie doch aufs Gymnasium. "Ein Schulsystem ist kein gutes, wenn es von Individuen abhängt, die Migranten ausnahmsweise fördern", sagt Irina. Dabei hatte sie noch Glück: "Ich sage immer, ich bin Luxusmigrantin: weiß, christlich, esse Schweinefleisch." Daher – dass man dem Mädchen das Zugewandertsein nicht ansieht – kommt auch der Buchtitel, der "die Frage aufwirft, ob es hässliche Ausländerkinder gibt. Und gute Ausländer und schlechte Ausländer."

"Ein schönes Ausländerkind" ist ein bedachtes Buch, das authentisch zu erzählen scheint, gekonnt auf sprechende Episoden und Details fokussiert, auch informativ ist. Es kalauert nicht, hat aber Humor, wenn es das österreichische Selbstverständnis von Bei-uns-ist-alles-so-super-und-deshalb-wollen-alle-Ausländer-hierher ankratzt.

Heimatbegriff "entladen"

Alles von Kleidern über Seife bis hin zu elektronischen Geräten nimmt die Familie jeden Sommer im obligatorischen Heimaturlaub mit zu den Verwandten in Ex-Jugoslawien. Es sind Wochen der sehr komisch geschilderten Bestechung von Grenzbeamten, von Umarmungen mit Mundgeruch, voller Freiheit und dann doch auch Sehnsucht nach den sauberen Straßen in Wiener Neustadt. "Das waren auch die Momente, in denen sich Österreich am meisten wie mein Zuhause anfühlte – wenn ich nicht dort war", steht im Buch.

Ein sehr großer Teil ihrer Familie lebe noch auf dem Balkan, sagt Irina auf die Frage, was er ihr heute bedeute. Fragen nach Heimat und Zuhause stelle sie sich "aber eigentlich gar nicht mehr wirklich". Sie versuche, "diese aufgeladenen Begriffe zu entladen, weil sie ja oft missbraucht werden und die Antworten darauf auch gar nicht so wichtig sind". Dieses Buch hingegen kann man jedem empfehlen. (Michael Wurmitzer, 18.3.2024)

Video: Satirikerin Toxische Pommes im Interview.
DER STANDARD