Kolleginnen und Kolleginnen sitzen bei einem Tisch zusammen
Beim "Cheffing" führen Mitarbeitende die Führungskraft – und wollen für mehr Zufriedenheit sorgen.
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Das alles bestimmende, tonangebende, vielleicht sogar autoritäre Bild der Führungskraft in einem Unternehmen verblasst in der Arbeitswelt immer mehr. Heute heißt es, Führungskräfte sollen sich empathisch und zugänglich zeigen, auf Augenhöhe kommunizieren, die Stärken der einzelnen Mitarbeitenden fördern.

Was sich viele Beschäftigte wünschen, wird aber noch nicht überall gelebt. Zahlreiche Organisationen sind nach wie vor hierarchisch geordnet, in vielen Teams, in Ressorts und Abteilungen hat nur der Chef oder die Chefin das Sagen. Sie delegieren Aufgaben, geben genaue Abläufe vor oder blockieren vielleicht sogar neue Ideen.

Dem entgegen tritt in der Arbeitswelt das sogenannte Cheffing. Der Begriff bedeutet nichts anderes als das Führen von unten nach oben, also dass Mitarbeitende Einfluss auf ihre Entscheidungsträgerinnen und -träger nehmen. Gründe dafür kann es zahlreiche geben: Die Teamleiterin ist nur noch gestresst, weil sie alles am liebsten selbst erledigt, was wiederum die Stimmung am Arbeitsplatz negativ beeinflusst. Der Abteilungsleiter will die Arbeitszeitregelung nicht lockern und kein Homeoffice genehmigen, sein Team kann sich dadurch nicht entfalten. Oder die CEO treibt einen kulturellen Wandel in der Firma nicht voran.

Und da kommen die Handlungsempfehlungen "von unten" ins Spiel. Mitarbeitende machen Vorschläge für neue Abläufe, plädieren für mehr Kommunikation oder wollen Vorgaben ändern. Erhofft wird sich dadurch eine bessere Zusammenarbeit, eine entlastete Führungskraft oder effizientere Prozesse im Team. Ein Beispiel wäre: Die Mitarbeitenden eines Teams wünschen sich klarere Kommunikation und planen deswegen wiederkehrende Termine, bei denen sie die Aufgaben im Detail besprechen wollen.

Kritik am Begriff

Vieles kann Angestellte dazu veranlassen, auf die Führungskraft einwirken zu wollen. Elisabeth Sechser, Organisationsentwicklerin und Coach für New Work, sieht allerdings den Begriff "Cheffing" kritisch. Denn es zeige sich schon durch das Wort eine Art Pseduoermächtigung. Eigentlich füttere der Ausdruck nur das Prinzip der Hierarchie, obwohl man in der Arbeitswelt schon viel weiter sein könnte, sagt die Unternehmensberaterin. Das eine bedinge das andere, in dem Fall: die Einflussnahme auf den Chef die starre Hierarchie.

"Es sollte besser hinterfragt werden, wie wir Führung verstehen", sagt Sechser. "Häufig wird sich in der Arbeitswelt auf einzelne Führungskräfte fixiert, dabei sollte eigentlich das ganze Team führen." Keine Organisation brauche das "Cheffing", wenn es eine partnerschaftliche Zusammenarbeit gibt, in der jede Person sich mit ihren Stärken einbringt und sich genauso verantwortlich für das Miteinander und das Produkt sieht wie die Kolleginnen und Kollegen.

Altes neues Konzept

Ganz neu ist der Begriff "Cheffing" außerdem nicht, und er ist auch nicht erst mit der "New Work"-Bewegung aufgekommen. Bereits im Jahr 2005 gab es ein Buch im deutschsprachigen Raum über das Konzept, "Cheffing – Führung von unten". Darin beschreiben die Autoren, wie dieser Einfluss auf die Führungskraft im Alltag aussehen kann. Mitarbeitende sollten am besten immer wieder nachfragen und darauf drängen, völlige Klarheit über eine Aufgabe zu haben. Sie sollten auch sich selbst überprüfen und die eigene Qualität gegenchecken, bevor der Chef oder die Chefin die Leistung kontrolliere. Wenn Angestellte aktiv an einer effizienten Kommunikation mitwirken und sich in Kritikfähigkeit üben würden, wäre das auch schon eine Art Führung von unten und würde zu einer allgemeinen Verbesserung des Unternehmens beitragen.

In einigen Karriereratgebern wird noch dazu betont, dass "Cheffing" nicht mit "Bossing" zu verwechseln sei. Unter Zweitem versteht man meist Mobbing durch den Chef oder die Chefin. Cheffing hingegen sollte einen positiven Effekt zum Ziel haben soll. Denn manche könnten auch aus egoistischen Gründen Einfluss auf die Führung der Führungskraft nehmen wollen, um allein ihre eigenen Interessen zu verwirklichen. Kommt eine Führungsperson außerdem drauf, dass sie beeinflusst wird, könnte es ebenfalls zu Konflikten kommen.

Zu einer solchen Situation müsse es gar nicht kommen, sagt Organisationsexpertin Sechser. Firmen sollten vorantreiben, dass sich alle Mitarbeitenden bestmöglich einbringen und verwirklichen können. Das könne aber schwierig werden, wenn Führung nicht als gemeinsamer Prozess gesehen wird, sondern alleine an auserwählten Menschen hafte. (Melanie Raidl, 19.3.2024)